VfL Wolfsburg:Dax-Manager unter Tage

VfL Wolfsburg: Trat als Doppeltorschütze in Erscheinung: VfL-Angreifer Lukas Nmecha.

Trat als Doppeltorschütze in Erscheinung: VfL-Angreifer Lukas Nmecha.

(Foto: Stuart Franklin/Getty)

Der VfL Wolfsburg schafft mit einem 4:0 gegen Arminia Bielefeld einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenverbleib. Die Schwierigkeiten des Champions League-Teilnehmers in dieser Saison sind aber kein neues Phänomen.

Von Thomas Hürner, Hamburg/Wolfsburg

Auf einmal sah es aus, als stünde da ein echtes Champions-League-Team auf dem Platz. Die Verteidiger Maxence Lacroix, Sebastian Bornauw und John Anthony Brooks organisierten die Defensive mit der Autorität von Türstehern, der junge Flügelmann Ridle Baku fegte im Dauersprint die rechte Seitenlinie rauf und runter, und dem Fleißarbeiter Yannick Gerhardt gelang selbiges auf der linken Außenbahn.

Sie alle waren Teil einer stabilen Lieferkette, die den Ball verlässlich nach vorne beförderte, zumeist über eine Zwischenstation bei den Mittelfeldmännern Maximilian Arnold und Xaver Schlager, die an guten Tagen eine Eigenschaft mit dem heiligen Antonius von Padua teilen: Arnold und Schlager, so wirkt das dann, können an mehreren Orten gleichzeitig erscheinen - nur dass Arnold die besseren Freistöße drauf hat, wie sein Treffer in der zweiten Halbzeit bewies.

Der Wolfsburger Trainer Florian Kohfeldt sprach von einer "sehr guten Reaktion" seines Teams

Von solchen Qualitäten profitiert insbesondere die Belegschaft im Angriff. Lukas Nmecha traf doppelt, per Linksschuss und per Kopf, und der ewige Torschlawiner Max Kruse drückte den Ball ausnahmsweise mit der Stirn ins Netz. Leidtun konnte einem nur der Torwart Koen Casteels. Denn in seinem 220. Bundesliga-Spiel trat der Belgier eigentlich nur dadurch in Erscheinung, dass sein Name auf dem Spielberichtsbogen stand. Nur: Was sollte er tun? Casteels wurde ja so wenig beschäftigt, dass es für die Finanzbuchhaltung des VfL Wolfsburg ein gerichtstaugliches Argument gäbe, um dessen Siegprämie einzubehalten.

Mit 4:0 gewannen die Niedersachsen gegen Arminia Bielefeld, es war ein überzeugender Kraftakt im Duell mit einem direkten Konkurrenten im Kampf um den Klassenverbleib. Wirklich schlau ist man aus diesem Spiel trotzdem nicht geworden. Das lag einerseits an einer Arminia, die so überfordert wirkte, dass sie von den mitgereisten Gäste-Fans nach dem Schlusspfiff zum Rapport am Fangzaun bestellt wurde. Das lag aber auch am Auftritt der Heimelf, die der VfL-Trainer Florian Kohfeldt eine "sehr gute Reaktion" auf das "sehr schlechte Spiel" in der Vorwoche in Augsburg (0:3) nannte.

Die Werkself-Spieler hatten in dieser Saison Probleme, an ihr Leistungslimit zu kommen

Weshalb also wieder mal die Frage bleibt: Wie konnte ein so hochwertig besetztes Team nur derart in die Bredouille geraten, dass in einer Wolfsburger Lokalzeitung neulich eine Sportpsychologin zum Thema "Das ist wichtig im Abstiegskampf" interviewt wurde?

In der Tat, sagte Kohfeldt, dieser unvermittelte Leistungssprung nach oben sei "nicht einfach zu erklären". Weil der redegewandte Coach aber nun mal gerne erklärt, tat er das wenig später in bewährter Ausführlichkeit: Kohfeldt lobte die Performance als Gruppe, er berichtete von selbstkritischen Sätzen in Mannschaftssitzungen unter der Woche, er erwähnte den Siegeshunger seiner Spieler - und fügte mit einem Lächeln an, dass es generell "schon gut" sei, wenn jedes Kadermitglied auch "an sein Leistungslimit" komme.

VfL Wolfsburg: Hey, Max, hiergeblieben! Wolfsburgs Trainer Florian Kohfeldt (rechts) schafft, was vielen Verteidigern nicht gelingt: Max Kruse aufzuhalten.

Hey, Max, hiergeblieben! Wolfsburgs Trainer Florian Kohfeldt (rechts) schafft, was vielen Verteidigern nicht gelingt: Max Kruse aufzuhalten.

(Foto: Darius Simka/Imago)

Im Fußball sind schon viele Formeln zum Gewinnen aufgestellt wurden, doch keine davon kam je ohne die Variable "Einzelspieler" aus. Insbesondere beim VfL haben sie in dieser Saison mit dieser Variablen zu kämpfen, da auf nahezu allen individuellen Leistungsbarometern Einbußen im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen sind. Es macht halt was mit dem Gesamteindruck eines Teams, wenn sich ins Spiel des Abwehrchefs Brooks eine seltsame Flatterhaftigkeit schleicht, wenn die Pässe des Mittelfeldchefs Arnold nicht in gewohnter Präzision ihr Ziel erreichen, oder wenn der im Winter nach England verkaufte Stürmer Wout Weghorst weniger Tore schießt und stattdessen das Betriebsklima stört.

In der Geschäftsstelle des VfL ist man davon nicht überrascht, denn neben allen Standortvorteilen (Ruhe, Geld, Infrastruktur) weiß man dort auch von einem Malus, der sich nicht so leicht beheben lässt: Für Fußballprofis ist der VfL entweder eine kalkulierte Zwischen- oder Endstation auf ihrem Karriereweg, eine finanziell lukrative zwar und sportlich anspruchsvoll, aber am Ende bleibt es für sie eine eher geschäftsmäßige Angelegenheit.

"Es ist noch nicht vorbei", mahnte Kohfeldt am Samstag - trotz der vergleichsweise guten Ausgangslage

Insbesondere nach so erfolgreichen Saisons wie der vergangenen, in der die Wolfsburger vom Österreicher Oliver Glasner in die Champions League gecoacht wurden, stellt sich im Umfeld deshalb eine intrinsische Genügsamkeit ein, die den Werksklub in Schwierigkeiten bringt. So war das, zum Beispiel, auch nach der Meisterschaft 2009 unter Felix Magath oder nach dem zweien Platz 2015 unter Dieter Hecking: Eine ambitionierte Mannschaft muss sich auf einmal im Abstiegskampf abstrampeln - und die VfL-Solisten fühlen sich dabei in etwa so unwohl, wie es DAX-Managern unter Tage ergehen dürfte.

"Es ist noch nicht vorbei", mahnte Kohfeldt am Samstag noch, trotz der rechnerisch mittlerweile günstigen Ausgangslage. 34 Punkte haben die Wolfsburger durch den Sieg am Samstag eingesammelt, in der Vorsaison hätte das für den Verbleib in der Erstklassigkeit gereicht. Und wer sollte das besser wissen als Kohfeldt? Als damaliger Trainer von Werder Bremen hat er ja die Erfahrung gemacht, dass auch eine emotionale Traditionsmarke Fliehkräfte nach unten entwickeln kann. Kohfeldts letztes Erfolgserlebnis mit Werder war übrigens: ein Sieg gegen Arminia Bielefeld.

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