Manchmal sind Erklärungen für das Geschehene kaum möglich, besonders schwer ist das im Fußball, wo ja die verrücktesten Dinge passieren. Fünf Tore eines Spielers in neun Minuten zum Beispiel, was soll man dazu sagen? Der Torwart Diego Benaglio, geboren in Zürich, versuchte es zumindest. Er redete auf Schweizerdeutsch mit einem Reporter, es fiel ihm in seiner Heimatsprache wohl leichter, den ganzen Wahnsinn in Worte zu fassen. Als die Menschentraube mit Zuhörern um die beiden anwuchs, wechselte Benaglio mitten im Satz ins Hochdeutsche. Der Wolfsburger Keeper ist eben ein höflicher Mensch.
Dabei hätte es ihm niemand übel genommen, wenn er gar nichts gesagt hätte. Oder wenn er ein paar zünftige Schweizer Flüche an den Mann gebracht hätte. Stattdessen erklärte er: "Bei Lewandowski hat alles funktioniert und wir hatten keine Lösung." So banal, so treffend.
Wie es eine Mannschaft hinbekommt, binnen Minuten so zu implodieren, das wird eines der Rätsel der Fußballgeschichte bleiben. Die Wolfsburger konnten hinterher auf dem Weg in den Teambus nur wie geprügelte Hunde davonschleichen.
"Eine gute Halbzeit reicht halt nicht"
Sie brachten nicht mehr als ein paar Deutungsversuche und Ausflüchte ins Übernatürliche zustande. "Wir waren nicht richtig auf dem Platz", ließ Torschütze Daniel Caligiuri wissen, was ja bedeuten würde, dass die Bayern nach der Pause gegen elf Schattengestalten gespielt hatten. Mit Caligiuris Treffer nach 26 Minuten hatte der Abend eigentlich pässlich begonnen. Der VfL piesackte die müden Münchner, denen gegen Dieter Heckings Defensivkonzept (drei Brasilianer als Aufpasser) wenig einfiel. Nach Manuel Neuers algerischer Einlage an der Mittellinie hätten die Gäste sogar auf 2:0 erhöhen können - doch Josuha Guilavoguis Fernschuss aufs leere Tor streichelte nur den Außenpfosten.
"Eine gute Halbzeit reicht halt nicht. Ein Spiel dauert 90 Minuten", bilanzierte Angreifer Max Kruse, der nach dem Wechsel einen "kollektiven Blackout" erlebt haben wollte. Hatten die Wolfsburger nicht mit Lewandowski gerechnet? War man sich zu sicher? Waren die Profis gedanklich schon auf der Heimfahrt oder auf der Wiesn? Auf diese Fragen gab es keine Antworten. Es herrschte Ratlosigkeit. "Wir hatten eigentlich eine gute Ordnung, aber so darf man nicht aus der Pause kommen - egal, ob da Lewandowski steht oder sonst wer", fand Kruse.
Trainer Dieter Hecking saß später neben Pep Guardiola und brachte immerhin noch diesen ulkigen Gedanken heraus: "Ein Weltklassestürmer hat fünfmal aufs Tor geschossen und hätte siebenmal treffen können." Der Pole wirbelte die VfL-Abwehr so dermaßen durcheinander, dass die Herren Naldo, Dante und Träsch wohl noch heute Angstzustände kriegen.
Besonders Dante wirkte der Verzweiflung nahe, als er dreimal vergeblich dem Helden des Abends hinterhergrätschte. Erinnerungen an Brasiliens 1:7 gegen die DFB-Elf bei der WM 2014 dürften ihm zwangsläufig durch den Kopf geschossen sein.
Doch keine Spitzenmannschaft?
Am Ende blieb den Wolfsburgern nur die Erkenntnis, dass man "nicht viel reden" müsse, "die Sprachlosigkeit steht in unseren Gesichtern" (Maximilian Arnold). "Wir haben das nicht im Stile einer Spitzenmannschaft gemacht", folgerte Manager Klaus Allofs. Stattdessen habe die Mannschaft in diesen denkwürdigen 8:59 Minuten mit Lewandowskis fünf Treffern "ein bisschen neben sich gestanden". Das demonstriere, ergänzte Allofs mit ernstem Gesicht, "dass wir schon noch eine Menge aufholen müssen". Von den Bayern, das war wohl die bitterste Lehre, sei man noch ein ganzes Stück entfernt. Dabei hatten sie sich in Wolfsburg trotz ihrer öffentlichen Zurückhaltung weiter gewähnt.
Der Verlust von Kevin De Bruyne sollte mit Julian Draxlers Zukauf aufgefangen, die Abwehr mit Dante verstärkt werden - was in den Spielen zuvor gut funktioniert hatte, missriet gegen die Bayern völlig. "Es ist auf jedenfall ein Rückschlag. Die Enttäuschung ist riesengroß", meinte Benaglio. Weil der Torwart aber nicht nur höflich ist, sondern auch ein Optimist, sagte er noch: "Ich fange jetzt nicht an, grundsätzlich an allem zu zweifeln. Wir haben hier gegen die vielleicht beste Mannschaft Europas gespielt." Dann verabschiedete er sich mit einem universal verständlichen: "Ciao."