VfL Bochum:„Viernull gegen Bologna – mehr muss man doch wohl nicht sagen“

Lesezeit: 3 Min.

Einst Co-Trainer von Ralf Rangnick: Bochums Trainer Peter Zeidler hat „höchsten Respekt vor der Qualität der Bundesliga“. (Foto: Tim Rehbein/dpa)

Nach holprigem Start wähnt der neue Bochumer Trainer Peter Zeidler seine Mannschaft nun in der Spur. Doch der Kader ist nach vielen Abschieden noch nicht komplett – und der Transfermarkt „zäh“.

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Im Ruhrstadion kann man neuerdings sogar heiraten. Wo sonst Bierbecher fliegen und Rauchtöpfe qualmen, wo Blutgrätschen und Beleidigungen zelebriert werden, wo normalerweise also eine eher rustikale Atmosphäre herrscht, dort können sich unbeirrt Romantische jetzt tief in die Augen schauen und vor Standesbeamten verliebt „Ja“ hauchen (Kosten: 450 Euro). Das Stadion wäre in solchen Momenten verständlicherweise nicht vollbesetzt mit teils ungebührlich auftretenden Fans.

Das bislang letzte Pflichtspiel, das im Ruhrstadion stattgefunden hat, war so ziemlich das Gegenteil von romantisch. Vor zweieinhalb Monaten verlor der VfL Bochum das Relegationshinspiel gegen den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf mit 0:3. Nach jenem Spiel hätten selbst eingefleischte VfL-Fans in diesem Stadion gewiss niemals mehr heiraten wollen, aber vier Tage später sah die Sache schon wieder ganz anders aus, weil nämlich der VfL das Relegationsrückspiel in Düsseldorf mit 3:0 sowie im Elfmeterschießen mit 6:5 gewann. Seit klar ist, dass der Klub nun also seine vierte Saison nacheinander in der Bundesliga spielen darf, rätselt so manch verliebter Ultra womöglich, ob man im Ruhrstadion eigentlich auch den VfL Bochum heiraten darf. Aber das geht nicht.

Weibliche Fans könnten freilich auf den Gedanken kommen, den Bochumer Relegationshelden Kevin Stöger ehelichen zu wollen, zwecks näherem Kennenlernen ist es da zuträglich, dass Stöger beim ersten Bochumer Heimspiel der neuen Saison am 31. August im Ruhrstadion auch wieder mitspielen wird – allerdings trägt er dann das Trikot des Gegners Borussia Mönchengladbach und verliert dadurch zwangsläufig seinen Status als Traum aller Bochumer Schwiegermütter.

Überhaupt werden sich die Fans an ihren VfL erst einmal wieder ganz neu gewöhnen müssen, denn trotz des Klassenverbleibs in letzter Sekunde haben erstaunlich viele Spieler den Klub verlassen. Von jenen, die Ende Mai beim ‚Wunder von Düsseldorf‘ mitgewirkt haben, spielen Stöger und der Torwart Andreas Luthe (Karriereende) sowie Patrick Osterhage (SC Freiburg), Takuma Asano (RCD Mallorca), Keven Schlotterbeck (SC Freiburg) und Goncalo Paciencia (Celta Vigo) nicht mehr für den VfL, und auch der Torwart Manuel Riemann (Zerwürfnis) sowie Christopher Antwi-Adjei, Philipp Förster (beide Vertragsende) und Danilo Soares (1. FC Nürnberg) gehören nicht mehr zum Kader. Für den Linksverteidiger Bernardo, neben Stöger bester Bochumer in der vergangenen Saison, soll sich Union Berlin längst mehr als nur interessieren.

Zeidler und Kaenzig haben sich 2017 beim französischen Klub FC Sochaux kennengelernt

Solche gravierenden Umwälzungen sind in Bochum nichts Ungewöhnliches, irritierend ist momentan allenfalls, dass sich die Zahl der relevanten Zugänge eineinhalb Wochen vor einem Erstrunden-Pokalspiel in Regensburg sowie zweieinhalb Wochen vor dem ersten Saisonspiel in Leipzig auf fünf beschränkt: auf die beiden Torhüter Patrick Drewes vom Karlsruher SC und Timo Horn von RB Salzburg, auf den defensiven Mittelfeldmann Ibrahima Sissoko von Racing Straßburg, den offensiven Mittelfeldspieler Dani de Wit von AZ Alkmaar und den Flügelflitzer Samuel Bamba von Borussia Dortmund II. Der Transfermarkt sei „zäh“, klagt der Sportdirektor Marc Lettau, der nach dem Rücktritt des Sport-Geschäftsführers Patrick Fabian noch mehr in der Pflicht steht als zuvor. Einziger Geschäftsführer bleibt vorerst der fürs Finanzielle zuständige Schweizer Ilja Kaenzig, 51.

Dass der neue Bochumer Trainer Peter Zeidler heißt, hat auch mit Kaenzig zu tun, denn die beiden haben sich 2017 beim französischen Klub FC Sochaux kennengelernt, wo Zeidler Trainer war und Kaenzig Vorstandsboss. Am Mittwoch stand der Schwabe Zeidler, 61, nach dem Vormittagstraining im Schatten jenes Ruhrstadions, in dem gerade niemand heiratete, in dem aber derzeit viel gewerkelt wird, weshalb es in diesem Jahr kein Vorbereitungsheimspiel gibt. Der VfL hat soeben ein Trainingslager in Südtirol beendet, mit einem 4:0-Sieg gegen den italienischen Champions-League-Qualifikanten FC Bologna. Am Samstag findet die Generalprobe in Le Havre an der französischen Atlantikküste statt.

Wenn man Zeidler jetzt fragt, wie denn die ersten Wochen mit dem VfL so waren, dann antwortet er lachend: „Viernull gegen Bologna – mehr muss man doch wohl nicht sagen.“ Das ist aber natürlich nur die halbe Wahrheit seines Dienstantritts beim VfL. „Am Anfang war’s holprig“, gibt er zu, ein mageres 1:1 beim Zweitligisten Magdeburg und eine 1:3-Niederlage in Südtirol gegen den italienischen Zweitligisten Spezia Calcio waren nicht gerade für Euphorie geeignet. Aber diese Mannschaft, die nicht erst seit der Relegation neulich für blitzschnelle Stimmungsumschwünge bekannt ist, rehabilitierte sich gegen Bologna gerade noch rechtzeitig vor der Heimkehr nach Bochum. Zeidlers derzeitige Wunschelf spielte dabei mit den Neuen Drewes, Sissoko und de Wit. Sissoko und de Wit sowie zwei Mal Moritz Broschinski erzielten die vier Treffer. Idealerweise drei Spieler sollen in den kommenden Wochen aber noch zum VfL-Kader hinzukommen: je einer in der Abwehr, im offensiven Mittelfeld und im Sturm.

„Die Frage ist: Wie wollen wir gemeinsam auftreten?“, sagt Zeidler, zuvor sechs Jahre beim FC St. Gallen, über seinen Ansatz. Zu seiner Philosophie gehören „Spielfreude, nach vorne spielen, Tempo, Mut, Risiko“ – und er ergänzt: „immer mit dem Gefühl: Wir gehen jetzt auf Balljagd!“ Von diesem Mindset will er seine Spieler vollends überzeugen. Er habe allerdings „höchsten Respekt vor der Qualität der Bundesliga“, die er kennt, seit er von 2008 bis 2011 Co-Trainer von Ralf Rangnick bei der TSG Hoffenheim war.

Und so gehen die Bochumer mit vielen neuen Impulsen in ihr viertes Bundesligajahr am Stück. Zeidler weiß, dass es nach all den personellen Verlusten nicht leicht wird, aber bei Rückschlägen will er seine Spieler an das „Referenzspiel“ erinnern: „das Referenzspiel Bologna“. Spielt sein VfL so auch im Ruhrstadion, dann wird man dort auch weiterhin wohl doch lieber Fußball schauen als heiraten.

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