Süddeutsche Zeitung

VfL Bochum:Die Nervenbündel von der Castroper Straße

Dem VfL Bochum bleiben nach der Pleite in Gladbach drei Spiele Zeit, den Abstieg zu verhindern. Das Problem: Chancen auf eine Befreiung wecken offenbar ungute Gefühle beim VfL.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Es ist gerade mal 14 Monate her, da hat der dem Bundesliga-Abstieg geweihte Bochumer Trainer Thomas Letsch noch im Achtelfinale der European Conference League gestanden. Am 17. März 2022 gastierte der Schwabe mit seinem damaligen niederländischen Klub Vitesse Arnheim im Olympiastadion von Rom, um eine 0:1-Niederlage aus dem Hinspiel zu egalisieren. 1:0 führten Letschs Spieler bis in die Nachspielzeit, dann glich die AS Rom aus, zog mit ihrem Trainer José Mourinho ins Viertelfinale ein und gewann die Conference League drei Monate später im Endspiel gegen Feyenoord Rotterdam.

"Damals in Rom habe ich mich so leer gefühlt wie nie in meiner Trainerkarriere", erzählte Letsch, 54, am Samstagabend nach der 0:2-Niederlage seines VfL Bochum bei Borussia Mönchengladbach - als der drohende Abstieg dem VfL gefühlt bereits sehr nahe gekommen war. Leer, wollte Letsch mit seiner Erinnerung an Rom freilich ausdrücken, sei er jetzt aber noch lange nicht. "Noch sind drei Spiele zu spielen, noch geben wir nicht auf."

Die Bochumer, älteste Mannschaft der Bundesliga und eigentlich vorteilhaft abstiegskampferfahren, leisten sich in der entscheidenden Phase der Saison immer wieder schwerwiegende Aussetzer. Zwar punkteten sie zuletzt bei Eintracht Frankfurt, bei Union Berlin und daheim gegen Borussia Dortmund (jeweils 1:1), allerdings verloren sie gegen Stuttgart, gegen Wolfsburg und am Samstag 0:2 bei einer Mönchengladbacher Borussia, die im bedeutungslosen Tabellenmittelfeld kaum mehr Ambitionen hegt und die Bochumer immer wieder zu Torerfolgen geradezu einlud.

Die Fußballer von der Castroper Straße jedoch zeigten sich im Borussia-Park als Nervenbündel und vergaben selbst größte Einschusschancen dergestalt, dass ihrem Kapitän Anthony Losilla hinterher der Kamm schwoll. Mit apartem, französischem Akzent schimpfte er im Kabinengang des Gladbacher Stadions: "Ich hatte heute nicht das Gefühl, dass wir davon überzeugt sind, den Klassenerhalt noch schaffen zu können."

"Es ist herausfordernd, dafür eine Erklärung zu finden"

Als diese Aussage etwas später dem Trainer Letsch zu Ohren kam, war er ein bisschen entsetzt. "Das wäre verheerend", sagte er mehrfach, konnte einen ähnlich skeptischen Eindruck aus der Trainingswoche aber nicht bestätigen. Die Inkonstanz seiner Mannschaft bereitet freilich auch ihm Sorgen. In der jüngeren Bilanz steht einem 1:0-Heimsieg gegen RB Leipzig eine 0:2-Heimniederlage gegen Schalke gegenüber sowie einem 2:0-Sieg in Köln eine 2:3-Heimniederlage gegen Stuttgart.

Auffällig ist, dass die Bochumer immer dann das große Nervenflattern bekommen, wenn sich ihnen in einem Spiel eine besondere Chance zur Befreiung aus dem Tabellenkeller bietet. Als der Bochumer Interims-Sportchef Marc Lettau am Samstag nach den Gründen für die arg wechselhaften Leistungen der Mannschaft gefragt wurde, sagte er: "Es ist herausfordernd, dafür eine Erklärung zu finden." Als der Trainer Letsch gefragt wurde, ob er dafür eine Erklärung hat, antwortete er: "Nein!"

Mangelnden Einsatz oder Kampf mögen sie ihren Spielern nicht vorwerfen in Bochum, es liegt wohl eher am schweren Rucksack, den die Fußballer auf ihren Schultern tragen. Dass am kommenden Samstag daheim gegen den FC Augsburg sowie eine Woche darauf auswärts beim Schlusslicht Hertha BSC in Berlin die Chancen auf Befreiung im Tabellenkeller erneut besonders groß sind, könnte in der derzeitigen Verfassung sogar ungute Gefühle wecken. Mit Pfeifen wie im dunklen Wald wird es jedenfalls nicht getan sein. Der aus Freiburg ausgeliehene Abwehrspieler Keven Schlotterbeck hat einen besseren Vorschlag: "Wir müssen die Arschbacken zusammenkneifen!"

Es wird mithin auf die Körperhaltung der Bochumer zu achten sein, wenn sie nächsten Samstag im Ruhrstadion gegen Augsburg auflaufen. Der geschmeidige Rocksong "We're gonna win" von Bryan Adams dröhnt traditionell aus den Lautsprechern, wenn die Spieler zum Aufwärmen aus der Kabine kommen. Die Spieler müssten dieses Mantra nur verinnerlichen. Sollten zuletzt ausgefallene Kräfte wie Kevin Stöger, Patrick Osterhage und Gerrit Holtmann dann wieder zur Verfügung stehen, würden sich auch die Siegchancen erhöhen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5844861
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/koei/tbr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.