VfB Stuttgart:Wieder angriffsbereit

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Der zuletzt kaum beachtete Anastasios Donis schießt das entscheidende Tor beim 1:0 von Stuttgart gegen Gladbach. An dem Stürmer zeigt sich, wie klug der VfB-Interimstrainer Nico Willig die Mannschaft umgebaut hat.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Die Arbeitstage des Stürmers Anastasios Donis waren bis zum Samstagnachmittag meist kurz gewesen. Mal wurde er für 20 Minuten eingewechselt, mal nur für zwei. Jüngst, beim denkwürdigen 0:6 in Augsburg, durfte er eine komplette Halbzeit mitmachen, aber da lag Stuttgart bereits aussichtslos zurück. Oder er spielte eben gar nicht. Den Großteil seiner Zeit verbrachte Donis auf der Bank, von wo aus er beobachten konnte, wie seine Kollegen in der Regel kein Tor schossen.

Es war ein Rätsel, warum Stuttgarts bis zum 0:6 in Augsburg werkelnder Trainer Markus Weinzierl auf einen der Schnellsten und Gefährlichsten beim VfB verzichtete. Mit Weinzierls Nachfolger Nico Willig, der bisher die Stuttgarter U 19 trainierte, soll in letzter Sekunde der Klassenerhalt gesichert werden. Willig muss einen Plan für ein Team entwickeln, das zuvor planlos wirkte. Dass dies gelingen kann, offenbarte Willigs Premiere gegen Mönchengladbach. Seine beste Idee war es, den besten Angreifer des Vereins zu nominieren.

Donis spielte von Beginn an. Er schoss das einzige Tor des Spiels zum 1:0 für Stuttgart, und er war der auffälligste Spieler auf dem Platz. Donis rannte, flankte, sorgte für Unruhe. Zwei Mal provozierte er bei Gladbachs Verteidiger Nico Elvedi schwerwiegende Ballverluste. Nach dem ersten traf Donis den Pfosten (53.), nach dem zweiten mit wuchtigem Schuss ins Tor (56.). Bei seiner Auswechslung in der 67. Minute standen viele Zuschauer auf und klatschten. Sie hatten längst verdrängt, dass Donis in der dritten Minute Gladbachs beste Chance mit einem Fehlpass eingeleitet hatte - doch Alassane Plea schoss lieber Torhüter Ron-Robert Zieler an, als einen freien Mitspieler zu bedienen.

Mit freundlicher Unterstützung: Anastasios Donis (rechts neben Thorgan Hazard) nutzt enschlossen einen Abwehrfehler zum Siegtor für Stuttgart. (Foto: imago images/Sportfoto Rudel)

Donis, der 22-jährige Grieche, hat eine schwierige Saison hinter sich. Unter den für ihre defensive Ausrichtung bekannten Trainern Tayfun Korkut und Markus Weinzierl konnte er das VfB-Spiel nicht prägen. Hinzu kam eine Muskelverletzung im vergangenen Herbst. Der Einsatz am Samstag war erst sein neunter in der Startelf.

Gegen Mönchengladbach war Donis die Verkörperung einer Mannschaft, die mit Dynamik und Körperspannung auftrat. Die Stuttgarter spielte einen Fußball, den man von einem Tabellensechzehnten erwarten muss. Sie gewannen mehr Zweikämpfe als die erstaunlich desinteressiert wirkenden Gladbacher. Und sie wählten im Zweifel harte Lösungen, 18 Fouls sind ein Höchstwert in der Saison. "Wir waren wieder eine Familie", sagte Donis. Unter dem Trainer Weinzierl war das eher nicht der Fall: "Alle Spieler hatten Probleme, es war vorbei, sie mussten etwas ändern." Mit "sie" meinte er wohl seine Vorgesetzten.

Willig hat der Elf eine neue Struktur gegeben. Eine "ständige Angriffsbereitschaft" wolle er erzeugen, hatte er versprochen; sie zeigte sich insofern, als die Stuttgarter konsequent ihren Gegner störten, die Mannschaftsteile arbeiten als Einheit zusammen. Zwar war noch keine komplexe Offensividee zu erkennen - der Plan bestand vor allem darin, den Ball zum schnellen Donis zu befördern. Doch das war gefährlicher als jede Bemühung der vergangenen Wochen. Auch weil Willig neben Donis den technisch versierten Daniel Didavi aufgeboten hatte. Allein die Präsenz der beiden Offensivspieler störte den Spielaufbau der Borussia, wie Gladbachs Trainer Dieter Hecking einräumte.

Willigs zweitbeste Idee war allerdings eine andere: Andreas Beck, "ein Signalspieler" (Willig), bislang eher bekannt für seine Qualitäten auf dem rechten Flügel, spielte zentral im Mittelfeld. "Wir wollten in diesen Räumen Signale setzen, dann ist Andi da besser aufgehoben als an der Linie", sagte Willig. Zusammen mit Dennis Aogo und Gonzalo Castro ergab das ein stabiles Konstrukt vor der Abwehr. "Wir haben keine Lösung gegen einen tief stehenden Gegner gefunden, der es mit ganz einfachen Mitteln für uns unmöglich gemacht hat, ein Tor zu schießen", sagte Gladbachs Christoph Kramer später. Es war das erste Mal, dass Stuttgart in der Rückrunde ohne Gegentor blieb. "Wir haben eine ganz andere Mannschaft gesehen", fand Donis.

Vor Spielbeginn hatten die VfB-Fans ein Banner über die Kurve gespannt, auf dem zu lesen war: "Verdient euch diese Kurve". Zu Beginn schwieg das Stadion auch. Doch nach 20 Minuten, als die Courage der VfB-Elf nicht mehr zu leugnen war, begannen die Fans mit Gesängen. Sie wurden lauter, je länger die Partie dauerte. Am Ende: lauter Jubel. Die Stimmung hat sich, zumindest für einen Samstag, gedreht, obwohl sich die Chancen auf den direkten Klassenverbleib durch den Schalker Sieg gegen Dortmund eher verschlechtert haben.

In Stuttgart sprechen sie aber ohnehin mehr vom Sichern des Relegationsplatzes. Und damit das nicht so nach Schadensminimierung klingt, hat Willig während der Woche den "Relegationspokal" erfunden, den es zu erreichen gelte. Nun gab Andreas Beck den "Titel Relegation" als Ziel aus. Immerhin: In diesem Wettbewerb ist der VfB Stuttgart Favorit.

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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