Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart vor Kaiserslautern-Spiel:Das fehlende Puzzlestück

15 VfB-Tore in vier Wochen: Stürmer Vedad Ibisevic hat das Spiel der Stuttgarter verändert, die in der Offensive nun auf ein neues magisches Dreieck bauen können. Vor der Partie am Freitagabend gegen Kaiserslautern verzeichnet die schwäbische Angriffs-Renaissance dennoch einen Verlierer: Nationalspieler Cacau.

Christof Kneer

Bruno Labbadia sagt, er habe sich gefreut, als er von den drei Toren erfuhr, die Pawel Pogrebnjak gerade für den FC Fulham erzielte. "Ist doch schön für Pawel", sagt er, "manchmal hilft einem Stürmer ja ein Tapetenwechsel." Normalerweise ist es für Trainer die Höchststrafe, wenn ein Stürmer, der den Verein verlassen hat, anderswo plötzlich Tore schießt. Warum hat er das bei euch nicht geschafft?!, fragt die Öffentlichkeit dann vorwurfsvoll, und im Zweifel ist es der Öffentlichkeit sogar egal, wenn der Verflossene seine Tore nur im Testspiel gegen eine Altherren-Auswahl schießt.

Aber Pogrebnjak ist im Moment keine Bedrohung für Bruno Labbadia, er kann es sich erlauben zu gönnen. "Pawel ist ein guter Stürmer, das wussten wir immer", sagt er, "und es gab immer wieder Phasen, da dachten wir: Jetzt explodiert er. Aber dann kamen immer wieder Verletzungen oder was anderes dazwischen."

Es trifft sich gut, dass Labbadia gerade ein Team trainiert, das in den vergangenen vier Spielen 15 Tore erzielt hat - genau so viele, wie Pogrebnjak in drei Jahren für den VfB geschossen hat. Plötzlich ist der zuletzt so trostlose VfB wieder ein Spektakel: 5:0 gegen Hertha; 4:2 in Hannover; 4:1 gegen Freiburg; 4:0 beim HSV.

Vor dem Freitagsspiel gegen Kaiserslautern erkennen kundige Beobachter wieder den Anfangsverdacht auf den VfB-typischen Rückrunden-Lauf, auch Labbadia kann das nicht ausschließen. "Fredi Bobic und ich sind darauf vorbereitet, dass es auch wieder eine Wellenbewegung in die andere Richtung geben kann."

Tief in seinem Trainerherzen hofft Labbadia aber, dass die aktuelle Erfolgsserie nichts mehr mit den Erfolgsserien der Vergangenheit zu tun haben könnte. Die alten Serien haben den Verein mit ihrer grundlosen Wucht überwältigt, schön waren die Siege, aber erklären konnte sie keiner - ebenso wenig den Anti-Lauf, der stets folgte. Die neue Serie macht Labbadia Hoffnung, weil er glaubt, sie erklären zu können. Die Erklärung könnte der Mann sein, der Pogrebnjak abgelöst hat.

Vedad Ibisevic ist genau der Spieler, den wir gebraucht haben", sagt Labbadia über den Stürmer, der im Januar für eine ansehnliche Gebühr von knapp fünf Millionen Euro aus Hoffenheim kam. Ibisevic, 27, ist kein Messi, und er ist auch nicht der Welttorjäger, den man in den Hoffenheimer Goldgräbertagen zu erkennen glaubte, als er in 17 Vorrundenspielen ungefähr 180 Tore erzielte (genau genommen waren es 18, aber es kam einem damals vor wie 180).

Ibisevic ist Ibisevic, ein spielintelligenter, strafraumkundiger, nicht rasend schneller, nicht wahnsinnig trickreicher Angreifer - aber manchmal ändert sich die Bedeutung eines Spielers durch die Elf, für die er spielt. Es gibt Teams, für die Ibisevic eher unwichtig, eher mittelwichtig, eher wichtig wäre. Für den VfB Stuttgart ist er extrem wichtig. Er ist der Katalysator, der selbst unverändert bleibt, aber das Spiel des gesamten Teams beeinflusst.

"Wie ein Puzzlestück, das uns noch gefehlt hat" sei dieser Ibisevic, sagt Labbadia, "seit er da ist, hat Martin Harnik viel mehr Platz, auch Shinji Okazaki kann seine Wege besser gehen." Der VfB hat keine Elf mehr, die den gepflegten Ball beherrscht, der VfB lebt von diesen beiden torgefährlichen Flügelspielern, die Räume mindestens so sehr brauchen wie den Ball. Mit Ibisevic haben sie jetzt einen, der sie mit Räumen aller Art ausstattet.

Zusammen haben die drei in der Rückrunde 22 Scorerpunkte angehäuft, zurzeit sind sie das effektivste Trio der Liga. Harnik hat 2012 achtmal getroffen (plus zwei Vorlagen), Okazaki viermal (zwei Vorlagen), Ibisevic zweimal (vier Vorlagen). "Wir hatten früher auch Torchancen", sagt Labbadia, "aber jetzt haben wir einen vorne drin, der präsent ist, alle Tricks drauf hat und vor allem die Abwehrspieler bindet.

Diese Qualität wird gern unterschätzt." Labbadias Lieblingstor ist eines, das sich nicht für die globalen Schönheitswettbewerbe aufdrängt, aber beruflich stehen Fußballtrainer ja eher auf Schönheiten, die sich erst auf den dritten Blick offenbaren.

Das 1:0 gegen Freiburg also: Nach Zuspiel von Sakai sprintet Harnik los, Ibisevic täuscht eine Ballannahme an, die Verteidiger stürzen sich auf ihn, Ibisevic lässt den Ball durch - und Harnik hat eine ganze Gasse für sich allein. "Vedad ist eine Bereicherung, auch ich profitiere sehr von ihm", sagt Harnik, der Ibisevic vier der acht Rückrundentore verdankt.

Ibisevic muss zurzeit nicht mal selbst seine beste Leistung bringen, es reicht, dass er aus den Kollegen das Beste herausholt. Auch Cacau könnte seine helle Freude haben am neuen Raumausstatter, auch er liebt es, wenn ihm einer ganz vorne die Räume freisperrt. Aber bevor Ibisevic kam, hat er selbst so lange ganz vorne spielen müssen, dass er darüber die Form verlor.

Jetzt muss Cacau von draußen zusehen, wie drinnen Harnik, Okazaki und auch Regisseur Hajnal aufblühen. "Das ist nicht einfach für Cacau", sagt Labbadia, "aber ich stelle nach bestem Wissen und Gewissen auf." Das hat schon der Stürmer erfahren müssen, der jetzt beim FC Fulham spielt.

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SZ vom 09.03.2012/fred
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