VfB Stuttgart:Sparen, bis es selbst die Schwaben schmerzt

VfB Stuttgart: Willkommenstreffer: Mit dem Ausgleichstor vier Minuten nach der Einwechselung stellt sich Gil Dias dem Stuttgarter Publikum vor.

Willkommenstreffer: Mit dem Ausgleichstor vier Minuten nach der Einwechselung stellt sich Gil Dias dem Stuttgarter Publikum vor.

(Foto: Lars Baron/Getty)

In Stuttgart freuen sie sich über ein entscheidendes Pokaltor des frisch verpflichteten Gil Dias. Dass der VfB aber gleichzeitig das Talent Ahamada verkaufen muss, zeigt die Zwänge des Klubs.

Von Ulrich Hartmann und Christof Kneer, Paderborn

Seit zwei Monaten ist Fabian Wohlgemuth Sportdirektor beim VfB Stuttgart. Zuvor hatte er dieses Amt bei jenem SC Paderborn ausgeübt, den die Stuttgarter am Dienstagabend durch sehr späte Treffer in der 86. und 95. Minute herzlos aus dem DFB-Pokal warfen. Hat Wohlgemuth also Mitleid mit seinen alten Paderbornern? "Ich bin ja jetzt als Stuttgarter hier", sagte der 43-Jährige im Kabinengang der Paderborner Arena, "und mit Mitleid ist es sowieso schwierig im Fußball."

Da hatte er natürlich recht. Mitleid will im Fußball niemand, was sie in Stuttgart ohnehin wissen. Wie oft hieß es in den vergangenen Monaten: So nett haben die Stuttgarter wieder gespielt! Aber wieder verloren!

Auch beim Pokalachtelfinale in Paderborn fehlten nur ein paar Minuten zu diesem Fazit - obwohl der Zweitligist gegen einen deutlich überlegenen VfB nur ein einziges Mal selbst aufs Tor geschossen hatte. Zu ihrer frühen 1:0-Führung in der vierten Minute mussten die Paderborner aber nichts beitragen, es reichte, nach einem Stuttgarter Einwurf seriös herumzustehen und zuzuschauen, wie dem VfB-Verteidiger Konstantinos Mavropanos ein historisches No-look-Eigentor rausrutschte. Aus nachgemessenen 48,1 Metern spielte er ohne Blickkontakt zum Torwart Florian Müller zurück, der vorschriftsgemäß neben seinem Tor Position bezogen hatte, um sich dort als Anspielstation anzubieten.

Das Jahr ist noch jung, aber wie Müller dann in einer verzweifelten Choreografie Mavropanos' Ball hinterherhechtete und dabei nahezu Hände und Füße verwechselte, drängt sich schon jetzt für jeden Jahresrückblick auf. Danach berannten die Schwaben fast eineinhalb Stunden lang das Paderborner Tor, ehe sie vier Minuten vor Ende der regulären Spielzeit durch ihren tags zuvor erworbenen Zugang Gil Dias das 1:1 erzielten. Fünf Minuten nach Ende der regulären Spielzeit köpfte Mittelstürmer Serhou Guirassy dann den 17. (!) Eckball zum 2:1 ins Paderborner Tor.

Etwa 1,7 Millionen Euro hat der DFB fürs Erreichen des Pokal-Viertelfinales ausgelobt, womit die Stuttgarter ihre Ausgaben vom Vortag fast schon wieder drin haben. An diesem Pokalabend zumindest fühlte sich das Geld gut angelegt an. Nicht zuletzt durch die Einwechslung des ballkundigen Japaners Genki Haraguchi erhöhten die Stuttgarter zur zweiten Halbzeit den Druck, und der Portugiese Gil Dias betrat zwar erst in der 82. Minute den Rasen, ihm gelang aber bereits vier Minuten später mit einem prächtigen Drehschuss der Ausgleich. Dias, 26, kam für etwas mehr als eine Million Euro von Benfica Lissabon; Haraguchi, für Stuttgarter Verhältnisse bereits steinalte 31, kam für etwas weniger als eine Million von Union Berlin.

Ahamada verlässt den Klub eigentlich zu früh - er hatte gerade erst damit begonnen, gut zu werden

"Fabian hat es gut organisiert und eingestielt", lobte Labbadia den Sportchef Wohlgemuth - wohl wissend, dass diese Transfers maximal so etwas wie eine Minimallösung waren. Relativ ohnmächtig und kein bisschen vergnügt hatte Labbadia zuvor verfolgt, wie die Konkurrenten im Abstiegskampf Spieler um Spieler verpflichteten, während sein Sportchef kaum Mittel bewilligt bekam. Der VfB muss so sehr sparen, dass er auf dem Markt nur bedingt handlungsfähig ist - und verführerische Angebote fürs eigene Personal nur mit Mühe abwehren kann. Beim Linksverteidiger Borna Sosa sind die Stuttgarter hart geblieben, die etwa zehn aus Leverkusen angebotenen Millionen waren ihnen in Ermangelung tauglichen Ersatzes deutlich zu wenig. Den etwa zwölf Millionen Euro, die der englische Erstligist Crystal Palace für das 20-jährige Mittelfeldtalent Naouirou Ahamada offerierte, konnten die Stuttgarter dann aber nicht mehr widerstehen. Kurz vor Fristende ging der Transfer am Dienstagabend über die Bühne.

"Wir hätten den Spieler lieber behalten", sagte Labbadia nach der Partie in Paderborn, "er hat in dieser Saison bei uns den Durchbruch geschafft. Aber wenn der Verein sagt, wir brauchen das, dann müssen wir uns beugen. Das ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander - und unsere einzige Chance."

VfB Stuttgart: Naouirou Ahamada hat viel Talent, macht aber auch noch naive Fehler - nun bei Crystal Palace.

Naouirou Ahamada hat viel Talent, macht aber auch noch naive Fehler - nun bei Crystal Palace.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Zwei unterschiedliche Weltanschauungen prallen in Stuttgart gerade aufeinander. Ahamada stammt noch aus der Denkschule des Ex-Sportchefs Sven Mislintat, der sich nachträglich in seinem Weg bestätigt sehen dürfte: Er hatte den jungen Franzosen einst aus der A-Jugend von Juventus Turin ausgeliehen und später für 1,5 Millionen Euro verpflichtet - dass der Marktwert des Spielers so schnell steigen würde, hatte wohl nicht mal Mislintat vorhergesehen.

Im Grunde verlässt Ahamada den Verein auch zu früh - er hat ja gerade erst begonnen, seine mitunter noch naiven Fehler mit beeindruckenden Läufen und Pässen zu flankieren. Aber die Stuttgarter können es sich nicht mehr leisten, auf die Entwicklung des Spielers zu warten. Sie brauchen das Geld und versuchen sich deshalb an der herkömmlicheren Denkschule. Der Plan ist einstweilen, die Stabilität der Elf mit routinierteren Akteuren zu stärken - was ebenfalls riskant ist, weil sie aus Finanzgründen auf Spieler wie Gil Dias setzen müssen, der in den vergangenen Jahren eher glücklos durch Europa getingelt ist.

Immerhin hat der Portugiese in Paderborn gezeigt, wozu er zumindest momentweise fähig ist - Fortsetzung dringend nötig, ab sofort wieder im Abstiegskampf der Bundesliga.

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