VfB Stuttgart in der 2. Liga:Im Ländle ist die Tendenz abschüssig

Tim Walter (Trainer/VfB Stuttgart) beim Spiel SV Sandhausen vs. VfB Stuttgart in der 2. Fussball Bundesliga am 01.12.20

Ein Mann mit großen Ideen und großen Gesten: Stuttgarts Trainer Tim Walter musste sich zuletzt immer wieder aufregen.

(Foto: Michael Bermel/Imago/Eibner)
  • Beim Zweitligisten VfB Stuttgart klappt es unter dem im Sommer gekommenen Trainer Tim Walter nicht mehr so gut wie zu Saisonbeginn.
  • Fünf der letzten sieben Spiele haben die Stuttgarter verloren.
  • Walters Spielidee ist hübsch, aber die Liga kennt sie halt längst.

Von Christof Kneer

Die Fortbildungsreise, auf der sich Thomas Hitzlsperger gerade befindet, ist schwäbisch im besten Sinne. Sie verspricht sehr nützlich zu werden, und sie ist ausgesprochen preisgünstig: keine Reisekosten, keine Spesen, nix. Thomas Hitzlsperger, der Vorstandschef des Zweitligisten VfB Stuttgart, macht seine Fortbildung in Stuttgart, rund ums Klubgelände. Er muss dort Gespräche führen, viel denken und ein Gefühl für Szenarien entwickeln. Was, zum Beispiel, würde passieren, falls der VfB am Montag gegen den 1. FC Nürnberg verlöre und der Abstand auf die direkten Aufstiegsplätze wüchse? Wäre dann etwa der Job von Trainer Tim Walter gefährdet, der im Sommer geholt wurde, um dem VfB einen neuen Fußball beizubringen?

Die günstige Prognose für den VfB lautet: Nürnberg kommt zur rechten Zeit, die wissen ja gar nicht mehr richtig, wie Gewinnen überhaupt geht. Die nicht so günstige Prognose: So toll ist die Zeit, in der Nürnberg kommt, auch wieder nicht. Denn wie Verlieren geht, das weiß der gewohnheitsmäßige Erstligist aus Stuttgart inzwischen besser, als er das in der zweiten Liga je wissen wollte. Fünf der letzten sieben Spiele haben die Stuttgarter verloren, dank eines wirklich guten Saisonstarts reicht das immer noch für Relegationsplatz drei.

Aber die Tendenz ist abschüssig, so dass Hitzlsperger eine auswärtige Fortbildungsreise sicherheitshalber abgesagt hat; der DFB hatte einen USA-Trip für junge Führungskräfte organisiert, für interessierte Leute wie Hitzlsperger. Aber was sollen die interessierten Leute machen, wenn sie doch für den VfB arbeiten? Beim VfB kann man doch nicht weg, nicht mal in der zweiten Liga kann man den Klub allein lassen.

Dann spielen die Stuttgarter Pässe, Pässe, Pässe

Für reflektierte Menschen wie Hitzlsperger oder den Sportdirektor Sven Mislintat ist dieser VfB ein widerspenstiger Patient: Man möcht' ihm so gern helfen, am Anfang schlägt die Therapie ja auch an, aber dann kommt ein Rückfall, und keiner weiß genau, warum. Die entscheidende Frage ist jetzt: Weiß es Tim Walter, der Trainer?

Es gebe "unterschiedliche Ansichten zum Spiel, was die Dominanz angeht", so zitierte der kicker nun Mislintat, man könne "nicht nur immer davon reden, viel den Ball zu haben, sondern wir müssen auch die nötigen Ergebnisse erzielen". Es gibt kaum eine andere Möglichkeit, als diese Sätze als Grußadresse an den Trainer zu verstehen, der als Radikalverfechter des Ballbesitzfußballs gilt. Walters Idee ist speziell, die Außenverteidiger rücken beim Spielaufbau nach innen, ein Innenverteidiger rückt dafür ins Mittelfeld auf, und dann spielen die Stuttgarter Pässe, Pässe, Pässe.

Durchkomponierte Idee

Meist spielen sie rund 600 Pässe pro Spiel, die Gegner spielen um die 200, und wer den VfB im vergangenen Jahrzehnt verfolgt hat, mag das weiter für eine gute Idee halten: endlich einen Trainer zu haben, der eine durchkomponierte Idee besitzt und dann auch noch die vom schöneren, edleren Fußball, der nicht immer nur auf diese billigen Konter setzt. Die kann ja jeder.

Das Problem für den VfB ist nur: Konter kann wirklich jeder, auch jeder Zweitligist. Und diese Zweitligisten kontern besonders gerne gegen den VfB, wenn der Innenverteidiger im Mittelfeld rum turnt und hinter ihm verführerisch offene Räume locken.

Walter, 43, hat das System inzwischen angepasst und die Elf kompakter gebaut, aber es ist ihm noch nicht gelungen, begabte Buben wie die Angreifer Nicolas Gonzalez, 21, oder Silas Wamangituka, 20, so einzubauen, dass sie vorne verlässlich ein Tor mehr schießen, als sie hinten kassieren. Walters Idee ist schon hübsch, aber die Liga kennt sie halt längst, und so hat der VfB einen blöden Rekord aufgestellt: Von allen Spielhälften im Weltfußball ist die, in der der VfB gerade angreift, die vollste. Alle Stuttgarter und alle Gegenspieler ballen sich dort, so dass das Spiel im stockenden Verkehr irgendwann zum Erliegen kommt. Der VfB hat, gemessen an der Liga, exquisite Offensivspieler, aber sie müssen sich in diesem Spielstil wahnsinnig quälen, um zumindest mal zum Schuss zu kommen.

Tim Walter hat früh geliefert, was die VfB-Bosse von ihm wollten, er spielt offensiv, ist forsch und selbstbewusst, aber im Moment erweist sich die Lieferung als bedenklich unvollständig. Es fehlen die Punkte, die mitbestellt waren und irgendwo unterwegs verloren gegangen sein müssen, und so ist aus dem Nürnberg-Spiel tatsächlich eine Art Trainer-Spiel geworden. Einen Nachfolger zu finden, der die Linie fortsetzt, wäre allerdings unmöglich. So wie Walter spielt keiner.

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