Stuttgarts Sieg gegen Freiburg:Ecke, Flanke, Tor

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Des Unheils erster Teil: Freiburgs Torwart Florian Müller muss machtlos dem Stuttgarter Führungstreffer durch Anthony Rouault (2. v. r.) zuschauen – wie auch die folgenden Gegentore im Anschluss an eine Ecke. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Verkehrte Verhältnisse: Mithilfe von Standardsituationen besiegt ein bestens aufgelegter VfB Stuttgart die Standardspezialisten aus Freiburg. Direkt müssen die Stuttgarter schon wieder Champions-League-Spekulationen abwehren.

Von Christoph Ruf

Nach dem vierten und letzten Tor des Tages waren im Stuttgarter Stadion Jubelgesänge zu hören, die angesichts des Spielstandes unfreiwillig bescheiden klangen: „Die Nummer eins im Land sind wir“, sangen Teile der Cannstatter Kurve in Richtung der bedröppelten Freiburg-Fans. Dabei sind die Ansprüche in Stuttgart inzwischen doch wieder ganz andere als nur, der beste von vier baden-württembergischen Erstligisten zu sein – neben den abstiegsgefährdeten Heiden- und Hoffenheimern. Und eben neben dem SC Freiburg, der an diesem Nachmittag längst nicht so gut war, wie es der Tabellenplatz im gehobenen Mittelfeld nahelegt.

Drei Tore schoss ein bestens aufgelegter VfB schon vor der Pause gegen die merkwürdig abwesenden, nie konkurrenzfähigen Gäste. Alle drei fielen nur wenige Sekunden nach eigenen Eckbällen, zunächst durch Anthony Rouault (3.) und Ermedin Demirovic (17.). Nick Woltemade, dieser für seine Körpergröße erstaunlich wendige und trickreiche VfB-Stürmer, legte später mit einem Elfmeter nach (45+4.), der von Schiedsrichter Felix Zwayer ebenfalls nach einer Ecke und anschließendem Foul an Jamie Leweling gepfiffen wurde. 4:0 stand es am Ende, weil auch noch der eingewechselte Deniz Undav traf (80.) – die luxuriöse Situation eines Klubs, der etablierte Profis wie Undav, Chris Führich, Maximilian Mittelstädt, Jeff Chabot oder Jacob Bruun Larsen auf die Bank setzen kann.

Die Klatsche für Freiburg wäre womöglich noch demütigender ausgefallen, wenn der VfB sich im zweiten Durchgang nicht vernünftigerweise für das Spiel in Bratislava geschont hätte. Dort wäre am Dienstagabend ein Sieg schließlich wichtig bis unerlässlich, um auch in der Champions League noch weiterzukommen und somit weiter an allen drei Wettbewerben beteiligt zu sein.

Am Ende einer englischen Woche stehen für den VfB nun also neun zusätzliche Punkte zu Buche, nach Siegen gegen Freiburg (4:0), Leipzig (2:1) und Augsburg (1:0) sind die Stuttgarter plötzlich auf Platz vier angekommen. Seit Sebastian Hoeneß in Stuttgart das Sagen hat, werden solche Serien wohltuend nüchtern kommentiert. Gegen jene lautsprecherische Dünkelhaftigkeit, die es im VfB-Umfeld früher gerne mal zu hören gab, ist der Trainer zuverlässig geimpft. Allerdings übertrieb es der bescheidene Coach mit dem Understatement ein wenig, als er auch noch behauptete, erst nach dem 4:0 „wirklich“ sicher gewesen zu sein, dass man dieses Spiel gewinnen würde. Schließlich hat in der Geschichte des Fußballs noch keine Mannschaft einen 0:3-Rückstand gedreht, ohne auch nur einmal den gegnerischen Keeper beschäftigt zu haben.

„Es geht nicht, dass wir in jedem Spiel gegen die Topteams vier, fünf Gegentore kriegen“, schimpft SC-Kapitän Christian Günter

Dass VfB-Sportvorstand Fabian Wohlgemuth in der Interviewzone an der eigenen Wahrnehmung zweifelte und betonte, er wisse „jetzt nicht, ob Freiburg eine klare Torchance hatte, ich kann mich an keine erinnern“, war jedenfalls unnötig: Es gab wirklich keine. Die im Durchschnitt auffallend junge VfB-Mannschaft scheint sich wieder der Form aus der Vorsaison zu nähern, was sicher auch daran liegt, dass sich der Kader in der Offensive nach der Rückkehr von Undav und Leweling wieder gefüllt hat. Tatsächlich, fand Wohlgemuth, sei das Spiel  „ein Stück weit eine Demonstration“ gewesen.

Aus diesem Fazit lässt sich im Umkehrschluss herauslesen, wie lang die Liste der Defizite beim Gegner aus Freiburg war. Die Stuttgarter konnten sich nach Herzenslust durchkombinieren, ohne dass es dabei zu lästigen Störversuchen gekommen wäre, wobei die Henne-und-Ei-Frage naturgemäß offenblieb. Ob die Stuttgarter also vor allem von einer Freiburger Trantütigkeit profitierten, oder ob es nicht vielmehr die große Entschlossenheit der Stuttgarter war, die den SC nie ins Spiel finden ließ? Freiburgs Kapitän Christian Günter sprach hinterher jedenfalls von „Phasen, wo wir nicht hart genug waren“– im Grunde dauerte diese Phase 90 Minuten.

Nichts bebilderte die mangelnde Freiburger Wehrhaftigkeit besser als die Tatsache, dass dieses Spiel durch Standardsituationen entschieden wurde – eine Disziplin, auf die die Freiburger traditionell spezialisiert sind. So kam es zu verkehrten Verhältnissen: Nach jedem VfB-Standard wurde es im Freiburger Strafraum so gefährlich, dass Stuttgarts bester Spieler (keine neue Nachricht, dass es sich dabei wieder um Angelo Stiller handelte) später den Co-Trainer Malik Fathi würdigte, der im Stuttgarter Trainerteam für Eckbälle und Freistöße zuständig ist.

„Es geht nicht, dass wir in jedem Spiel gegen die Topteams vier, fünf Gegentore kriegen“, schimpfte der Freiburger Christian Günter, der an anderen Tagen auch gute Eckbälle treten kann. Und tatsächlich verloren die Freiburger in dieser Spielzeit bereits 0:2 in München, 1:3 in Leipzig, 0:4 in Dortmund und 1:5 in Leverkusen. Am vergangenen Dienstag folgte ein 1:4 in Frankfurt, und nun also dieses 0:4 beim VfB. Somit ergibt sich in dieser bisher ordentlichen Freiburger Saison ein doch etwas bedenkliches Unterfazit: Der SC hat bislang drei Probleme, nämlich erstens bei Auswärtsspielen, zweitens gegen Spitzenteams und drittens bei Auswärtsspielen gegen Spitzenteams. Das nächste Spiel ist wieder ein Heimspiel, das stimmt optimistisch. Nicht ganz so optimistisch stimmt, dass es dabei gegen den FC Bayern geht.

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