Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Sankt Mario kommt nach Hause

Lesezeit: 4 min

Von Christof Kneer, München

Zumindest in Stuttgart war der Sommer 2009 der düsterste seit Beginn der Wetteraufzeichnung. In diesem Sommer wurde es überhaupt nicht hell, jedenfalls in Bad Cannstatt nicht, drunten im Tal, wo der VfB seine Heimat hat. Mario Gomez, der Sonnenschein der Stadt, hatte Stuttgart verlassen und war zum sehr bösen FC Bayern weiter gezogen, und selbst das Geld war den Schwaben in diesem Moment völlig wurscht. 35 Millionen Euro? Na und? Onser Mario isch weg! Es wurde dann auch nicht heller, als der Manager Horst Heldt versuchte, das Geld wieder unter die Leute zu bringen. Die Wunschnachfolger Patrick Helmes und Demba Ba verletzten sich, und ein Holländer namens Huntelaar deponierte seine Absage auf der Mailbox des damaligen Trainers Babbel.

Am Ende landeten dann zwei Angreifer drunten im Tal, deren Existenz sie beim VfB inzwischen sicherheitshalber verdrängt haben: der Russe Pawel Pogrebnjak und der Rumäne Ciprian Marica, zwei Quartalsstürmer, die verlässlich einmal pro Vierteljahr gut spielten.

Man kann das nicht anders sagen: Mario Gomez ist in Stuttgart eine historische Figur. Er ist 2007 Meister geworden mit dem VfB, 21 war er damals und das nächste große Ding auf dem Stürmermarkt, und von seinem Abschied hat sich der Verein nie erholt. Die schönen 35 Millionen waren erstens brutto und zweitens schnell weg, weil sie netto an Pogrebnjaks, Maricas und ähnliche Menschen weitergeleitet wurden. Gomez hat den VfB also, sozusagen, ins Verderben gestürzt - "aber natürlich kann er selbst da am wenigsten dafür", sagt Michael Reschke, der aktuelle Sportchef des VfB.

Nur 13 Treffer hat der VfB in der Vorrunde erzielt, Gomez aber auch nur einen

Vielleicht ist das jetzt auch eine Weihnachtsg'schicht, auf die schwäbische Art: dass Gomez, inzwischen 32, nun all das wiedergutmachen darf, wofür er gar nichts kann. Driving home for Christmas: Recht stolz haben sie beim VfB jetzt die Heimkehr des obersten Schwaben vermeldet, und noch a bissle stolzer sind sie auf diese Rechnung: Für Gomez werden sie dem VfL Wolfsburg eine Ablöse von etwa 3,5 Millionen Euro überweisen - aber das Geld kommt schön schwäbisch wieder rein, weil sie eine fast identische Summe gerade für Simon Terodde kassiert haben, den sie zum 1. FC Köln gehen ließen.

Der Rheinländer Terodde, übrigens, kehrt pünktlich zum Fest ebenso nach Hause zurück wie Gomez oder Sandro Wagner, der in seine Geburtsstadt München wechselt. Und wer sich von dieser weihnachtlichen Familienromantik auf dem Stürmermarkt inspiriert fühlt, darf gerne auch noch Anthony Ujah in die Geschichte hinein komponieren: Der Nigerianer hat China gerade für den FSV Mainz 05 verlassen, seinen ersten Verein in Deutschland.

"Natürlich hat die Heimkehr von Mario Gomez einen gewissen Folklore-Charakter", sagt der Rheinländer Reschke, aber es ist ihm schon wichtig zu betonen, dass er sich in der Personalpolitik nicht vom Stern von Bethlehem leiten lässt. "Hinter dem Transfer steckt vor allem eine tiefe sportliche Überzeugung", sagt er, "ich bin mir sicher, dass sich mit Mario Gomez die Wahrscheinlichkeit auf Tore deutlich erhöht."

Nur 13 Treffer hat der VfB in der Vorrunde erzielt, "das war unsere größte Baustelle", sagt Reschke. In der Theorie sind die Stuttgarter da vorne nicht so schlecht aufgestellt, in der Praxis haben sie zuletzt aber eher Fehlzeiten als Tore addieren müssen. "Anastasios Donis hat in der Vorrunde nur etwa 40 Prozent aller möglichen Minuten absolvieren können, Daniel Ginczek etwa 20 Prozent und Carlos Mané null Prozent", sagt Reschke. Sie alle werden im Januar zurück erwartet, aber kein Doktor und kein Prophet kann abschätzen, in welcher Verfassung etwa der Portugiese Mané aus seiner dreivierteljährigen Pause wegen eines Knorpelschadens zurückkehrt; und wie belastbar der Körper des Schwerathleten Ginczek ist, das weiß kein Doktor, kein Prophet und nicht mal ein Reschke.

Ginczek, übrigens, trägt beim VfB das legendäre Gomez-Trikot mit der "33", er wollte das damals unbedingt haben. Und jetzt muss er wohl erleben, wie ihm sein einstiges Vorbild mit einer anderen Nummer - frei wäre Teroddes Neun - jenen Platz wegnimmt, den er nach erfolgter Gesundung wieder für sich reklamieren wollte.

Wochenlang hat der Sportchef Reschke im Geheimen zwei unterschiedliche Handlungsstränge verfolgt, er kämpfte parallel um den sehr erfahrenen Gomez und den sehr unerfahrenen Argentinier Maxi Romero, 18, den die Zeitschrift France Football gerade in die Liste der "Zwölf größten Talente des Weltfußballs" aufgenommen hat. Dieser junge Mensch war am Ende aber doch zu teuer geworden, beim VfB haben sie jetzt lieber ihren Hausheiligen genommen, den sie sich aus zwei Gründen leisten konnten: weil Gomez ihnen "beim Gehalt brutal entgegen gekommen ist", wie Reschke sagt - und weil der VfB im Gegenzug den aus Wolfsburg ausgeliehenen Josip Brekalo, 19, vorzeitig an den VfL zurückgegeben hat. "Ohne Brekalo hätte der Gomez-Transfer nicht funktioniert", sagt Reschke.

Natürlich ist den Stuttgartern nicht entgangen, dass Sankt Mario in der Vorrunden nur ein Liga-Tor geschossen hat, aber sie haben sich das auch mit Wolfsburgs Spielsystem erklärt und außerdem das Gefühl gewonnen, "dass Mario total brennt", wie Reschke sagt. "Er will unbedingt mit zur WM." Bundestrainer Joachim Löw dürfte all die weihnachtlichen Heimfahrten vergnügt zur Kenntnis nehmen: Bei der Besetzung der WM-Kader-Planstelle "Stoßstürmer" kann er nun lässig zuschauen, wie sich seine Kandidaten beim Karrierefinale dahoim (Gomez) bzw. dahoam (Wagner) gegenseitig hochschaukeln.

Noch ist aber nicht sicher, wie die Weihnachtsg'schicht weitergeht, wenn Weihnachten mal vorbei ist. Werden die orthodoxen VfB-Fans den Hausheiligen etwa auspfeifen, weil er vom Glauben abgefallen ist und sich zur Bruderschaft der Bayern bekannt hat? Immerhin kommt Mario Gomez nicht direkt über die A8 aus München angereist, für den Schluss der Geschichte dürfte es also kein Nachteil sein, dass er danach noch in Istanbul, in Florenz und sogar in Wolfsburg war.

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SZ vom 23.12.2017
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