VfB Stuttgart in der Relegation:"Die ganze Stimmung gefällt mir nicht"

Mario Gomez vom VfB Stuttgart in der Relegation 2019 gegen Union Berlin

Enttäuscht auch über die eigenen Fans: VfB-Stürmer Mario Gomez.

(Foto: REUTERS)
  • Der VfB Stuttgart muss nach dem verpatzten Relegations-Hinspiel gegen Union Berlin den Sturz in die zweite Liga fürchten.
  • Mario Gomez kritisiert die eigenen Fans, ist aber auch selbstkritisch.
  • Am Montag muss Stuttgart nun vermutlich in Berlin gewinnen, um die Klasse zu halten.

Von Tobias Schächter, Stuttgart

Nach ein paar sehr langen Sekunden unheimlicher Stille entlud sich dann lauthals die Enttäuschung: Pfiffe, Buhrufe und Beschimpfungen der 55 000 Fans des VfB Stuttgart schallten durch das Stadion, einige Unverbesserliche aus der Cannstatter Kurve drangen schließlich in den Innenraum ein und zeigten mit bedrohlichen Gesten in Richtung der Spieler auf dem Rasen. Die Ordnerzahl wurde deutlich erhöht. Die Profis des VfB näherten sich mit hängenden Köpfen der Kurve, blieben aber mit einigem Sicherheitsabstand stehen und drehten dann schließlich ab. Das 2:2 (1:1) gegen den 1. FC Union Berlin im ersten Relegationsspiel um die Zugehörigkeit zur Bundesliga fühlte sich für den VfB an wie eine Niederlage. Statt Zuversicht vor dem Rückspiel am Montag bei den heimstarken Berlinern zu entfachen, ließ der Auftritt des VfB die Anhänger wütend, ratlos und skeptisch zurück. Der Favorit wankt, der Außenseiter hat Hoffnung und Zuversicht gewonnen.

Die Spieler des Dritten der abgelaufenen Zweitligarunde feierten "eine tolle Leistung" (Union-Trainer Urs Fischer) zusammen mit ihren 5000 Fans. Der VfB bekam einen Vorgeschmack darauf, was passieren könnte, sollten die Spieler im Rückspiel diese vermurkste Saison nicht doch noch mit dem Klassenverbleib retten. VfB-Stürmer Mario Gomez, ein Schwabe, der den Verein kennt wie nur wenige, sagte nach dem Spiel: "Die ganze Stimmung gefällt mir nicht. Es ist klar, die ganze Saison haben wir nichts geboten. Den Fans steht es bis zum Hals und uns steht es bis zum Hals. Dass da die Emotionen raus müssen, ist klar. Der Großteil der Kurve hat uns dann am Ende doch noch gepusht. Ich hoffe, dass wir die Fans auch in Berlin haben. Die Mannschaft tut sich schwer, das sieht man."

Die Fans des VfB unterstützen die Mannschaft zunächst mit großer Begeisterung, es waren tatsächlich "55 000 Signalspieler" wie Trainer Nico Willig die Anhänger im Vorfeld genannt hatte, um deren Wichtigkeit zu unterstreichen. Am Ende aber machte die mangelhafte Leistung ihrer Elf viele wieder zu Bruddlern, die ihrer Verärgerung freien Lauf ließen. Nun lautet die Frage: Können sich Anhänger und Mannschaft noch einmal für einen letzten Kraftakt am Montag in Berlin zusammenraufen?

Zweimal verspielte Stuttgart die Führung

Das Bild, das VfB-Trainer Nico Willig später für die entstandene Situation in der Relegations-Halbzeit wählte, passte: "Wir fühlen uns jetzt wie ein Boxer, der eine abgekriegt hat. Jetzt müssen wir uns schütteln und positiv an das Rückspiel rangehen", sagte Willig und nahm sich in die Verantwortung. Bei Union sei die Enttäuschung nach einem 2:2 beim VfL Bochum über den verpassten Aufstieg auch riesig gewesen. Union-Trainer Fischer habe es aber in vier Tagen geschafft, seine Elf wiederaufzurichten. "Nun ist es an mir zu beweisen, dass ich das auch kann", sagte Willig.

Vor fünf Wochen wurde der 38-Jährige von Sportvorstand Thomas Hitzlsperger vom Junioren- zum Profitrainer befördert. Willig ist nach Tayfun Korkut und Markus Weinzierl der dritte Trainer in dieser Saison, er kehrt nach Abschluss der Relegation wieder in den Nachwuchsbereich zurück. Ob er seinem Nachfolger Tim Walter, der von Holstein Kiel kommt und den VfB ligaunabhängig ab Juli übernehmen wird, eine Erstliga-Mannschaft hinterlässt, ist seit Donnerstag offener denn je.

Zwei Mal verspielten die Stuttgarter eine Führung durch Christian Gentner (42.) und den eingewechselten Mario Gomez (51.) leichtfertig. Am Ende mussten sie sich bei Torhüter Ron-Robert Zieler bedanken, der mit zwei starken Paraden nach Abschlüssen von Sebastian Andersson (78., 90.) wenigstens das Remis rettete. In der Endphase wirkte Union dem Sieg näher als die zunehmend ratloseren Gastgeber.

Auch auf dem Feld fehlt Harmonie

Unter Willig hatte der VfB im Liga-Endspurt einen kleinen Aufwärtstrend mit sieben Punkten aus vier Spielen und drei Partien ohne Gegentor gezeigt. Am Donnerstag stellte die Mannschaft aber ihre Schwächen zur Schau, die sie an den Rand des Abstiegs geführt hat. Im Mittelfeld fehlt es an Tempo, vor allem Routinier Gonzalo Castro verlangsamte den Spielaufbau immer wieder mit zu langem Ballhalten. Der schnelle Angreifer Anastasios Donis hatte in der 4-2-3-1-Grundordnung als einzige Spitze zwar immer wieder gute Momente - so wie vor dem 1:0, als er unaufhaltsam davonzog und Gentner bediente -, aber richtig eingebunden in ein Gesamtkonstrukt wirkte er nicht.

In der Defensive schenkten die Stuttgarter den Berlinern ihre Tore durch Suleiman Abdullahi (43.) und Marvin Friedrich (68.) fast schon - Friedrich durfte nach einer Ecke ungehindert wie im Training einköpfen. Und, was am schwersten wiegt: Die Berliner wirkten wie eine Mannschaft - der VfB lässt das schon die gesamte Saison über vermissen. Es gibt eine Fraktion älterer Profis wie Gentner, Castro oder Gomez, die nicht mehr an frühere Leistungen herankommen, und es gibt einige talentierte Spieler wie Donis und Gonzalez im Angriff, oder Kempf und Kabak in der Abwehr, die noch nicht reif genug sind. Im Zusammenspiel wirkt vieles schlicht unharmonisch, so als passten die Typen nicht zusammen. Auch das war ja ein Vorwurf, der im Februar Sportvorstand Michael Reschke schließlich den Job kostete.

Am Donnerstag war Reschkes Nachfolger Thomas Hitzlsperger 100 Tage im Amt, der ehemalige Nationalspieler hat sich ein anderes Jubiläumsergebnis gewünscht: Es herrschte eher Untergangs- als Aufbruchsstimmung vor dem Gang am Montag nach Berlin: Die Fans hissten wieder ihre Plakate gegen VfB-Präsident Wolfgang Dietrich ("Dietrich raus"). Statt sich im Bundesliga-Mittelfeld zu etablieren, taumelt der VfB Richtung zweite Liga. Die Erwartung bei Verantwortlichen, Spielern und Fans war auch gegen Union größer als die reale Leistungskraft dieser Mannschaft.

Und dennoch: Es ist erst ein Spiel gespielt und vielleicht tut sich diese Auswahl ja auswärts leichter. Union-Trainer Urs Fischer gab dann zu, dass eine zu große Euphorie "auch ein Problem" für seine Elf werden könne. Er wolle dies aber nicht zulassen, bekräftigt der notorisch sachliche Schweizer. Gelingt ihm das, hat Union Berlin am Montag tatsächlich gute Chancen, zum ersten Mal in die Bundesliga aufsteigen.

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