VfB Stuttgart:Ein Abstieg, so rätselhaft wie unnötig

  • Der VfB Stuttgart war mit großen Hoffnungen in die Saison gestartet.
  • Nun steht ein Abstieg fest, der so rätselhaft wie verdient ist.
  • Die neue sportliche Führung soll das Märchen von 2016 wiederholen und direkt wieder aufsteigen.

Von Christof Kneer

Am 5. August des vergangenen Jahres hat Daniel Didavi das erste Mal gespürt, dass dem VfB Stuttgart eine besondere Saison bevorstehen könnte. Der schwäbische Traditionsverein wirkte an seinem 125. Geburtstag so fidel wie lange nicht mehr, blendend gelaunte Menschen saßen an einem lobenswerten Sommertag im Stadion und sahen ein munteres Jubiläumsspiel gegen Atlético Madrid, das 1:1 endete (Tor: Didavi). Auch beim abendlichen Festakt in den Stadionlogen war der Verein sehr begeistert von sich, Sportchef Michael Reschke konnte kaum drei Meter gehen, ohne von einem Sponsor, einem VIP-Fan oder einem Guido Buchwald zur Komposition des Kaders beglückwünscht zu werden. Ja, auch Buchwald - der sich im Lauf der Saison zum grimmigen Reschke-Feind entwickeln sollte - hat Reschke damals zwischen Bier und Bar herzlich auf die Schulter gehauen: Gut gemacht, Michael, wird 'ne Supersaison! Und auch Didavi hat seinem Sportchef vorgeschwärmt: Was für eine tolle Stimmung in der Stadt doch herrsche, was für ein toller Trainer das sei und was für eine coole Mannschaft. Und der Mario Gomez, der habe das auch gesagt.

Ja, es ist eine besondere Saison geworden in Stuttgart, schon ein paar Wochen später war der tolle Trainer (Tayfun Korkut) nicht mehr da. Und neun Monate und zwei weitere Trainer später ist der VfB abgestiegen - und dass dieser Kader eine Vollkatastrophe ist, das haben jetzt sowieso alle schon immer gewusst.

Dieser Abstieg des VfB - der zweite in drei Jahren - ist tatsächlich alles auf einmal. Er ist rätselhaft, weil immer noch keiner verstanden hat, wie dieser Kader so irreparabel aus der Spur geraten konnte. Der Abstieg ist auch unnötig, weil der Aufwärtstrend unter Interimstrainer Nico Willig zumindest zu einem Relegations-Erfolg gegen das spielerisch unterlegene Union Berlin hätte reichen müssen. Gleichzeitig gehört dieser Abstieg aber, übers Jahr gerechnet, zu den verdienteren in der Bundesliga-Geschichte: Wer versucht, sich an ein richtig gutes Spiel des VfB in der abgelaufenen Saison zu erinnern, der wird die ganze Sommerpause lang nachdenken können, und er wird keines finden.

Reschke will den Trainer entlassen, und geht am Ende selbst

"Sehr, sehr heftig" sei das alles, sagte der immer noch recht neue Sportvorstand Thomas Hitzlsperger nach dem 0:0 in Berlin, "wir haben zu viele Fehler gemacht, deswegen sind wir in der zweiten Liga."

Hitzlsperger hat gewusst, auf welchen Klub er sich einlässt, er geht inzwischen ja trotz seiner urkundlich beglaubigten oberbayerischen Herkunft als Ehrenschwabe durch, aber auch er hat jetzt den Unterschied zwischen Wissen und Erleben kennenlernen müssen. Die Wucht eines Traditionsklubs in der Krise lässt einem manchmal nur die Wahl zwischen einer falschen und einer noch falscheren Entscheidung.

Vielleicht war der 11. Februar der Tag, an dem sich der Abstieg entschied: Nach dem 0:3 in Düsseldorf votierte Reschke intern für eine Entlassung des Trainers Weinzierl, den er selbst geholt hatte. Reschke hat das bald bereut, weil er merkte, dass es nicht passt zwischen Team und Trainer; Reschke hatte sich im Februar bereits mit einem Nachfolger verabredet, der Österreicher Oliver Glasner hätte für den VfB den Linzer ASK verlassen, dank einer fürs Ausland gültigen Klausel. Bei den VfB-Gremien kam Reschke aber nicht durch mit seinem Plan, sie fürchteten einen weiteren Imageverlust des Trainerfresserklubs aus Stuttgart - am Ende ging dann Reschke.

Der VfB hat für die Zukunft nicht viel Zeit

Und sein Nachfolger Hitzlsperger musste erst mal demonstrativ an Kontinuität und den Trainer Weinzierl glauben, bevor die Spieler irgendwann sicherheitshalber mit 0:6 in Augsburg verloren und den Trainerwechsel in Eigenregie - aber offenbar zu spät - herbeiführten.

Oliver Glasner, übrigens, trainiert nächste Saison Wolfsburg im Europacup.

Die zweite Liga startet Ende Juli schon wieder in ihre Saison, der VfB hat für seine Zukunft nicht viel Zeit. "Sehr hart" sei das, sagt Hitzlsperger, "aber Sven Mislintat und ich wussten, worauf wir uns einlassen, dass der Tag kommen kann. Jetzt müssen wir die Pille schlucken". Mislintat ist der neue Sportdirektor, gemeinsam mit Hitzlsperger und dem neuen Trainer Tim Walter wird er im Schnelldurchlauf einen neuen Kader erschaffen müssen. Benjamin Pavards Abschied nach München steht längst fest, Ozan Kabak dürfte von seiner 15-Millionen-Ausstiegsklausel Gebrauch machen, auch die Verträge von Anastasios Donis und Marc Oliver Kempf sollen Nebenabreden enthalten, die den Spielern einen preisgünstigen Abschied ermöglichen. Dagegen haben die gebürtigen VfBler Daniel Didavi und Mario Gomez ihren Verbleib angekündigt, auch Andreas Beck und Torwart Ron-Robert Zieler gelten als gesprächsbereit; ob der Herzens-Stuttgarter Christian Gentner bleiben will und soll, ist offen.

Der Wiederaufstieg sei das Ziel, haben sie beim VfB nach Überwindung des ersten Schocks angekündigt; die Realisierung dieses Plans könnte davon abhängen, ob die Stadt sich entschließt, noch mal an Märchen zu glauben. Vor drei Jahren haben sich Stadt und Klub nach dem Abstieg neu verliebt, es gab Mitglieder- und Zuschauerrekorde, die Mannschaft gewann ständig, und so wurde das Zweitligajahr zum Kuraufenthalt, nach dem Stadt und Klub erfrischt in die Bundesliga zurückkehrten.

Es wird nicht leicht, das Märchen nachzuspielen. Die Anhänger fühlen ihr Vertrauen missbraucht, aus Satisfaktionsgründen wollen viele auch erst mal den umstrittenen Präsidenten Wolfgang Dietrich fallen sehen. Gleichzeitig wirkt der Klub aber viel glaubwürdiger aufgestellt als vor drei Jahren, als der Abstieg Präsident Wahler, Sportchef Dutt und Trainer Kramny die Jobs kostete. Der VfB war damals wochenlang führungslos, in der Not haben die verbliebenen Funktionäre sogar Journalisten gefragt, ob ihnen nicht Spieler einfallen würden, die man holen könne.

Das wird diesmal nicht passieren, Hitzlsperger, Mislintat und Walter kennen sich schon selber aus. Dennoch trifft der Abstieg die Stuttgarter zu einer Zeit, in der sie lieber zwischen Bier und Bar gute Laune haben würden. Ein zweiter Investor soll bald verkündet werden, außerdem erfreut sich der VfB gerade an seinen U 19-Junioren, die das Pokalfinale gewonnen haben und im Finale um die deutsche Meisterschaft stehen. Vielleicht können sie sich den Abstieg ein bisschen schönreden beim VfB: Für die besten Talente des Hauses ist die zweite Liga vielleicht ein guter Einstieg ins Profileben.

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