VfB Stuttgart:Relegation 2.0

Stuttgart Germany 26 07 2019 2 Bundesliga VfB Stuttgart vs Hannover 96 1 Spieltag Marcin Kami

Schock in der 35. Minute: Marcin Kaminski muss ausgewechselt werden - er fehlt dem VfB nach einem Kreuzbandriss wohl sechs Monate lang.

(Foto: imago)

Der VfB zeigt erfrischenden Offensivfußball - beklagt aber den zweiten Langzeitverletzten.

Von Thomas Hürner, Stuttgart

Der VfB Stuttgart beginnt eine neue Saison normalerweise ohne viele Gewissheiten, aber auf eines können Funktionäre, Trainer und Spieler immer vertrauen: Wenn es los geht, scheppert es auf den Rängen in der Stuttgarter Arena, und das im positivsten Sinne. Elektrisierend, beinahe bedingungslos fühlt sich die Unterstützung des Publikums an, das scheint häufig gerade auf Neuankömmlinge eine irreführende Wirkung zu haben. In Wahrheit ist diese Unterstützung nämlich an Bedingungen geknüpft, und wenn diese nicht erfüllt werden, dann kann sich die Anfangseuphorie schnell ins Gegenteil verkehren.

Am Freitag sind die Stuttgarter in die Saison 2019/20 gestartet, sie haben Hannover 96 2:1 besiegt, viele neue Gesichter waren dabei, und die Fans brüllten ihre Mannschaft so selbstverständlich und lautstark nach vorne, als sei in den vergangenen Wochen nichts Erwähnenswertes vorgefallen. Zum Beispiel ein Abstieg aus der ersten Liga, eine missratene Mitgliedsversammlung oder ein selbstgerechter Rücktritt des Präsidenten Wolfgang Dietrich. Es hat etwas Nobles, dass die VfB-Anhänger pünktlich zum Saisonstart vergeben können, ganz egal, wie heftig sie in der vorangegangenen Spielzeit noch gepfiffen haben.

Bis Herbst geht es in Stuttgart also auch immer darum, den von den Anhängern gewährten Kredit nicht leichtfertig zu verspielen. Der neue Trainer Tim Walter sagte daher: "Die Überzeugung ist groß, der Mut ist da. Da kann richtig was entstehen."

Da fiel es auch nicht so sehr ins Gewicht, dass es sich bei diesem Spiel eher um eine Relegation 2.0 handelte. Die echte, klassische Zweitligasaison beginnt gefühlt erst am Sonntag beim Auswärtsspiel in Heidenheim und geht danach gegen St. Pauli, Aue und Bochum genauso unangenehm weiter. Erst dann wird sich zeigen, ob der VfB seine guten Ansätze gegen Hannover mitnehmen kann. Immerhin, diese Ansätze waren nach Jahren des statischen Defensivfußballs genauso erfrischend wie der Dauerregen, der in der zweiten Hälfte herabfiel. Pass an Pass reihten die Stuttgarter nach der Pause, sie spielten sich Chance um Chance heraus, und die 52 000 Zuschauer schienen großen Gefallen zu haben an diesem Auftritt, der ab der 64. Minute aufgrund eines Platzverweises gegen zehn Hannoveraner vorgetragen wurde.

"Wir haben einen Trainer mit einer ganz anderen Intention als bisher", sagte Stürmer Mario Gomez, der nicht nur den Führungstreffer nach einer sehenswerten Direktabnahme erzielte (29.), sondern für einen 34-Jährigen auch auffällig viel unterwegs war. "Super zufrieden" war Walter mit seinem Altschwaben aber auch deshalb, weil dieser sich einer Art Vermittlerrolle angenommen habe, zwischen Trainer und Mannschaft, aber auch zwischen Jung und Alt. Gerade diese Mischung soll neben aufregendem Ballbesitzfußball den VfB künftig ausmachen, wenn es nach dem ebenfalls neuen Sportdirektor Sven Mislintat geht. Es sei "immer gut, etwas Neues zu beginnen", sagte Mislintat nach der Partie, aber genauso wichtig seien "die Alten, die etwas gutmachen wollen".

In diese Kategorie fällt auch der zweite Stuttgarter Torschütze Daniel Didavi, der per Freistoß das zwischenzeitliche 2:0 erzielte (36.). Didavi ist mit 29 Jahren zwar noch nicht wirklich alt, aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit aber immer noch ein uneingelöstes Versprechen. Jetzt soll der Spielmacher den VfB gemeinsam mit Gomez, Gonzalo Castro und Neu-Kapitän Marc-Oliver Kempf zum direkten Wiederaufstieg führen, was eine nicht zu unterschätzende Erwartungshaltung ist angesichts der Tatsache, dass fast alle Zugänge jung und relativ unerfahren sind. Gegen Hannover ließen sich das die meisten von ihnen aber nicht anmerken, zu ihnen gehörte auch Gregor Kobel, 21, die neue Nummer eins im Stuttgarter Tor.

Anders war das bei Maxime Awoudja, 21, der mit seinem ersten Ballkontakt in seiner ersten Profipartie ein unglückliches Eigentor erzielte (39.) und in der Schlussphase mit einer gelb-roten Karte des Feldes verwiesen wurde. Awoudja war in der ersten Halbzeit für den verletzten Marcin Kaminski eingewechselt worden; der Verteidiger hatte sich einen Kreuzbandriss zugezogen und fällt vermutlich sechs Monate aus. Sportdirektor Mislintat muss sich also vielleicht erneut auf dem Transfermarkt umsehen, weil auch Ersatzinnenverteidiger Holger Badstuber ständig von Blessuren geplagt wird und Abwehrspieler Timo Baumgartl erst in der vergangenen Woche nach Eindhoven gewechselt ist. Nun wird sich auch zeigen, wie mutig die Kaderplanung war, nachdem talentierte Spieler wie Benjamin Pavard sowie Routiniers wie Andreas Beck, Christian Gentner und Torwart Ron-Robert Zieler gegangen sind. Ein anderer zentraler Spieler, der österreichische Angreifer Sasa Kalajdzic, fällt nach einem Kreuzband-, Innenband- sowie Außenbandriss ebenfalls mehrere Monate aus.

Am Freitag wollte Mislintat nichts zu seinen Plänen sagen. Der Sportdirektor zog es vor, sich über diesen "tollen Auftakt" zu freuen, den man "natürlich erst in fünf, sechs Wochen" vollständig bewerten könne. Dann, wenn der VfB gegen Heidenheim, St. Pauli, Aue und Bochum gespielt haben wird. Womöglich wird dann auch Pascal Stenzel Recht behalten haben: "Das hat sich hier heute nicht nach zweiter Liga angefühlt." Der Zugang war sichtlich beeindruckt von der Atmosphäre im Stadion. In fünf, sechs Wochen wird er wissen, ob das auch für die Mühen des Zweitligaalltags gilt.

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