Erster Stuttgarter Sieg:Viele Tore, wenig Ruhe

Erster Stuttgarter Sieg: Ein bisschen Einigkeit und Liebe beim VfB: Maskottchen Fritzle feiert mit Torschütze Silas (Mitte) und den anderen Stuttgarter Profis.

Ein bisschen Einigkeit und Liebe beim VfB: Maskottchen Fritzle feiert mit Torschütze Silas (Mitte) und den anderen Stuttgarter Profis.

(Foto: Volker Müller/Baumann/Imago)

Nach dem Aus von Trainer Matarazzo besänftigt sich der VfB etwas mit dem 4:1 über Bochum. Doch vor der Klubführung liegen schwierige Tage: Wer übernimmt als Trainer und was tun gegen die aufkommende Misstrauenskultur?

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Sollte Pellegrino Matarazzo den Samstag vorm heimischen Fernseher verbracht haben, dürfte die Zeit von 15.30 bis 17.21 Uhr fast so bitter gewesen sein wie die Stunden nach seiner Beurlaubung. 4:1 siegte der VfB Stuttgart gegen Bochum. Es wäre angesichts des klaren Ergebnisses eine übermenschliche Leistung, sich als ehemaliger Trainer nicht zu fragen: Wie wäre das Spiel mit mir am Spielfeldrand wohl verlaufen?

Am Samstag saß jedoch Michael Wimmer auf der Stuttgarter Bank, weil die VfB-Verantwortlichen Matarazzo am Montag entlassen hatten, ohne sich einen kurzfristig umsetzbaren Plan für die Zeit ohne ihn zurechtgelegt zu haben. So war es der Interimstrainer, der nach zweieinhalb Minuten sah, wie Bochums Danilo Soares Stuttgarts Silas ohne Not von den Beinen holte und der Gefoulte den Strafstoß zum 1:0 verwandelte (3.). Stuttgarter freute sich auch über die zweifelhafte Idee von Bochums Torwart Manuel Riemann, einen langen Ball stark bedrängt 20 Meter vor dem eigenen Tor per Kopf klären zu wollen. Das Vorhaben misslang, Naouirou Ahamadou erhöhte auf 2:0.

Dass das 3:1 just in der besten Bochumer Phase fiel, war dann noch so ein "Momentum", das Sportdirektor Sven Mislintat für den entscheidenden Faktor des Spiels hielt. Er würdigte auch Matarazzo, als er nachschob, dass "das ganz klar auch Rinos Sieg ist. Das ist seine Handschrift und so empfinden das auch alle." Manchmal, so Mislintat, sei "Fußball eben ein Arschloch".

Viel Lob für den ehemaligen Trainer Matarazzo

Spätestens in diesem Moment musste der neutrale Beobachter Matarazzo wünschen, dass er seinen ersten fußballfreien Samstag seit Jahren eingelegt hatte. Er dürfte sich ansonsten noch dringlicher gefragt haben, warum er dann überhaupt hatte gehen müssen. So richtig überzeugend war die einschlägige Begründung schon am Montag nicht ausgefallen. Sowohl Sportvorstand Alexander Wehrle als auch Mislintat überschlugen sich mit Lob für den ehemaligen Angestellten. Warum sich der Klub trotzdem nach 100 Spielen vom hochgeschätzten Coach trennte - zumal nach einem eher guten Spiel, bei dem kein Riss zwischen Team und Trainer zu erkennen war - blieb nebulös.

Es wirkt mindestens unglücklich, dass das Anforderungsprofil an den noch nicht gefundenen Nachfolger in allen Punkten so klingt, als suche man einen Typus wie Matarazzo, der aber halt nicht Matarazzo ist. Der Neue müsse "richtig Bock auf diesen Verein haben und er muss Bock haben, Fußball spielen zu lassen", sagte Mislintat. Gesucht wird kein Feuerwehrmann, sondern ein Trainer, der im Idealfall so lange bleiben kann wie Matarazzo. Wie die dänische Zeitung B.T. berichtete, ist offenbar Jess Thorup ein Kandidat. Der 52 Jahre alte Däne flog bereits nach Stuttgart. Thorup, einst auch Profi beim KFC Uerdingen, wurde zuletzt im Sommer dänischer Meister mit dem FC Kopenhagen, in dieser Saison aber entlassen..

Einigermaßen verwundert zeigte sich Mislintat derweil über die Zahl der Trainer, die dem VfB angeblich bereits abgesagt hätten. "Genau einen" habe es gegeben, so Mislintat, der damit wohl eher Zsolt Löw als Sebastian Hoeneß meinte. Derzeit habe man zwei Trainer im Blick, den zukünftigen VfB-Coach werde man aber nur holen, wenn alle vier Entscheidungsträger bei der Trainerfindung - Wehrle, Sami Khedira, Mislintat selbst und dessen rechte Hand Markus Rüdt - einhellig den Daumen heben.

Die Verpflichtung von Khedira und Co. ist ein Affront gegen Mislintat

Und auch wenn Mislintat verneinte, dass das Verhältnis zwischen ihm und Wehrle "zerrüttet" sei, kann man getrost davon ausgehen, dass sich beide nicht wechselseitig zum Geburtstag einladen. Ob das künftig ein gemeinsames Arbeiten unmöglich macht, ist einer der vielen Fragen, die sich beim VfB gerade stellen. Dass die Verpflichtung Sami Khedira und Philipp Lahm als externe sportliche Berater sowie Christian Gentner als Leister der Lizenzspielerabteilung ohne Wissen von Mislintat erfolgte, ist - unabhängig davon, an wem ein Gespräch über das Vorhaben im Vorfeld scheiterte - ein krasser Affront gegenüber dem Sportdirektor.

Der VfB scheint gut beraten zu sein, im Zuge der Trainerfrage auch alle anderen Personalentscheidungen zeitnah zu klären - nicht zuletzt die Frage, ob Mislintat über den Sommer 2023 hinaus in der Verantwortung bleibt. Nur so dürfte der Verein wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen. Derzeit herrscht beim VfB, der noch im Sommer organisatorisch und atmosphärisch konsolidiert schien, jedenfalls wieder eine Misstrauenskultur, die überwunden zu sein schien.

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