Tausend Trainer haben diesen Wunsch im Laufe ihrer Karrieren schon geäußert, und mindestens 999 von ihnen haben ihn noch nie erfüllt bekommen. Wie gerne hätten all diese Trainer wenigstens einmal im Leben ein Training ohne diese tagesaktuelle Geräuschkulisse absolviert, ohne Gegrummel der Fans, ohne Gebrumme der Gremien, ohne Gemecker der Medien. Einfach mal in Ruhe arbeiten: Wäre das nicht herrlich?
Seit dieser Woche muss man wohl sagen: Das kommt drauf an. Als der neue Trainer Tayfun Korkut in dieser Woche erstmals den Trainingsplatz des VfB Stuttgart betrat, kam es ihm vor, als hätte irgendwer den "Tonstopp"-Knopf gedrückt. Oder haben die in Stuttgart plötzlich unsichtbare Schallschutzwände am Trainingsplatz? Korkut sah die Fans ja alle, fast 250 Menschen standen da. Nur: Er hörte sie nicht.
Die Bundesliga ist 55 Jahre alt, aber sehr viele groteskere Trainingseinheiten als diese Woche in Bad Cannstatt dürfte sie kaum erlebt haben. Aus Protest gegen die Politik der Klubführung hatten sich die Fans ein Schweigegelübde auferlegt, sie feuerten keinen an, beschimpften keinen, kommentierten nicht mal einen Pass. Ein paar Stunden zuvor hatte jemand eine Grabkerze, eine Trauerkarte und weiße Lilien vor der Geschäftsstelle niedergelegt. Stuttgart nahm auf gespenstisch stille Weise übel, jedenfalls der eine Teil von Stuttgart. Der andere Teil lärmte im Internet.
Tayfun Korkut wohnt in Stuttgart-Bad Cannstatt, das war wahrscheinlich das Allerbizarrste an diesem bizarren Empfang. Korkut, 43, ist ja eigentlich genau das, was der Fan sich wünscht: ein Trainer, der im Wortsinne die Sprache der Fans spricht und zu Fuß ins Stadion laufen kann.
Aber Korkuts schwäbische Biografie hatte am Ende keine Chance gegen all das, was sich da in den Fan-Seelen zu maximaler Ablehnung verdichtete. Zum einen ist Korkuts Bilanz in Hannover, Kaiserslautern und Leverkusen kein Grund, Fans jubeln zu lassen, und den vor Jahren kursierenden Ruf, ein bemerkenswertes Trainertalent zu sein, hat Korkut bisher nirgendwo bestätigen können. Und so haben die Fans halt nicht kapiert, warum man einen Korkut überhaupt holen muss, wenn man doch selber ein bemerkenswertes Trainertalent hat, Hannes Wolf, den coolen Aufstiegshelden. Aber den haben sie ja unbedingt entlassen müssen, die hohen Herren.
Es war also vor allem ein Stellvertreter-Shitstorm, in den Korkut da geriet. Wer den Trainer am Trainingsplatz anschwieg oder im Internet anbrüllte, meinte damit wohl eher den Sportchef Michael Reschke oder den Präsidenten Wolfgang Dietrich, der aus seiner Zeit als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 den Ehrennamen "Spalter" mit zum VfB gebracht hat.
Der Präsident war früher Sprecher von Stuttgart 21
So etwas sei er nie gewesen, sagt Dietrich zu solchen Anwürfen stets. Er geht davon aus, dass die Leute "Spalter" mit "Macher" verwechseln.
Und genau darum geht es jetzt in dieser schwäbischen Geschichte: dass Dietrich und Reschke gemacht haben. Sie haben die schöne Geschichte nicht einfach laufen lassen, die Geschichte einer Stadt und einer Mannschaft, die der Abstieg auf romantische Weise wieder zusammengeführt hat. Eine Geschichte, die zu neuen Mitgliederrekorden führte, zu einem selbst in der zweiten Liga ständig vollen Stadion, zu Heimsiegen, zum Wiederaufstieg. Und für die Ausgliederung der Fußballabteilung aus dem Gesamtverein haben die Klubmitglieder zur eigenen Überraschung auch noch gestimmt, weil sie den handelnden Personen ausnahmsweise mal vertrauten. Weil sie sich - ein bisschen - verliebt hatten in sie, in den Trainer Wolf, den Manager Jan Schindelmeiser, den Stürmer Simon Terodde.