VfB Stuttgart:Unbeliebt in der Heimatstadt

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Die neue sportliche Doppelspitze des VfB Stuttgart: Sportchef Michael Reschke (rechts) hat Tayfun Korkut als Trainer verpflichtet.

(Foto: imago/Sportfoto Rudel)

Von Christof Kneer

Tausend Trainer haben diesen Wunsch im Laufe ihrer Karrieren schon geäußert, und mindestens 999 von ihnen haben ihn noch nie erfüllt bekommen. Wie gerne hätten all diese Trainer wenigstens einmal im Leben ein Training ohne diese tagesaktuelle Geräuschkulisse absolviert, ohne Gegrummel der Fans, ohne Gebrumme der Gremien, ohne Gemecker der Medien. Einfach mal in Ruhe arbeiten: Wäre das nicht herrlich?

Seit dieser Woche muss man wohl sagen: Das kommt drauf an. Als der neue Trainer Tayfun Korkut in dieser Woche erstmals den Trainingsplatz des VfB Stuttgart betrat, kam es ihm vor, als hätte irgendwer den "Tonstopp"-Knopf gedrückt. Oder haben die in Stuttgart plötzlich unsichtbare Schallschutzwände am Trainingsplatz? Korkut sah die Fans ja alle, fast 250 Menschen standen da. Nur: Er hörte sie nicht.

Die Bundesliga ist 55 Jahre alt, aber sehr viele groteskere Trainingseinheiten als diese Woche in Bad Cannstatt dürfte sie kaum erlebt haben. Aus Protest gegen die Politik der Klubführung hatten sich die Fans ein Schweigegelübde auferlegt, sie feuerten keinen an, beschimpften keinen, kommentierten nicht mal einen Pass. Ein paar Stunden zuvor hatte jemand eine Grabkerze, eine Trauerkarte und weiße Lilien vor der Geschäftsstelle niedergelegt. Stuttgart nahm auf gespenstisch stille Weise übel, jedenfalls der eine Teil von Stuttgart. Der andere Teil lärmte im Internet.

Tayfun Korkut wohnt in Stuttgart-Bad Cannstatt, das war wahrscheinlich das Allerbizarrste an diesem bizarren Empfang. Korkut, 43, ist ja eigentlich genau das, was der Fan sich wünscht: ein Trainer, der im Wortsinne die Sprache der Fans spricht und zu Fuß ins Stadion laufen kann.

Aber Korkuts schwäbische Biografie hatte am Ende keine Chance gegen all das, was sich da in den Fan-Seelen zu maximaler Ablehnung verdichtete. Zum einen ist Korkuts Bilanz in Hannover, Kaiserslautern und Leverkusen kein Grund, Fans jubeln zu lassen, und den vor Jahren kursierenden Ruf, ein bemerkenswertes Trainertalent zu sein, hat Korkut bisher nirgendwo bestätigen können. Und so haben die Fans halt nicht kapiert, warum man einen Korkut überhaupt holen muss, wenn man doch selber ein bemerkenswertes Trainertalent hat, Hannes Wolf, den coolen Aufstiegshelden. Aber den haben sie ja unbedingt entlassen müssen, die hohen Herren.

Es war also vor allem ein Stellvertreter-Shitstorm, in den Korkut da geriet. Wer den Trainer am Trainingsplatz anschwieg oder im Internet anbrüllte, meinte damit wohl eher den Sportchef Michael Reschke oder den Präsidenten Wolfgang Dietrich, der aus seiner Zeit als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 den Ehrennamen "Spalter" mit zum VfB gebracht hat.

Der Präsident war früher Sprecher von Stuttgart 21

So etwas sei er nie gewesen, sagt Dietrich zu solchen Anwürfen stets. Er geht davon aus, dass die Leute "Spalter" mit "Macher" verwechseln.

Und genau darum geht es jetzt in dieser schwäbischen Geschichte: dass Dietrich und Reschke gemacht haben. Sie haben die schöne Geschichte nicht einfach laufen lassen, die Geschichte einer Stadt und einer Mannschaft, die der Abstieg auf romantische Weise wieder zusammengeführt hat. Eine Geschichte, die zu neuen Mitgliederrekorden führte, zu einem selbst in der zweiten Liga ständig vollen Stadion, zu Heimsiegen, zum Wiederaufstieg. Und für die Ausgliederung der Fußballabteilung aus dem Gesamtverein haben die Klubmitglieder zur eigenen Überraschung auch noch gestimmt, weil sie den handelnden Personen ausnahmsweise mal vertrauten. Weil sie sich - ein bisschen - verliebt hatten in sie, in den Trainer Wolf, den Manager Jan Schindelmeiser, den Stürmer Simon Terodde.

Niemand beim VfB will Wolf beschädigt haben

Und jetzt ist plötzlich keiner mehr da von denen. Stattdessen immer noch Dietrich und neuerdings Reschke, ausgestattet mit einem Spitzenruf, aber eben ein Rheinländer, der Stuttjacht sagt, wenn er "Stuttgart" meint. Und der jetzt, wenn man das richtig verstanden hat, die zweite Mannschaft abschaffen will oder zumindest so halb. Und warum holt dieser Marktprofi am letzten Transfertag eigentlich keine Spieler mehr? Und hat der überhaupt ein Gespür für Stuttjacht und unseren VfB?

"All das zusammen hat sich wohl zu dieser Stimmungslage verdichtet", sagt Reschke, der aber Wert darauf legt, "dass die Wahrnehmung innerhalb des Klubs eine andere ist". Innerhalb des Klubs sei es "total ruhig", sagt er und meint keine Gespensterruhe wie die am Trainingslatz. "Wir haben den Trainer vorbereitet, dass es nicht gleich Applaus geben wird, und es ist auch nicht unsere Aufgabe, eine Entscheidung zu treffen, für die es Applaus gibt."

Er sei "komplett bei sich", sagt Reschke und nimmt für sich in Anspruch, etwas erlebt zu haben, was keiner der Trainingsplatzschweiger erlebt hat: einen Trainer, der nach dem jüngsten 0:2 gegen Schalke offenbar in der Kabine saß wie ein Mann, dem man eher einen Gefallen tut, wenn man ihn vom Druck der Niederlagenserie befreit. Man habe "keine andere Wahl" gehabt, sagt auch der Präsident Dietrich. Das ist die Version, die sie beim VfB offensiv erzählen, sie soll den Liebeskummer der Fans lindern. Und dass Reschke dem Trainer schon länger misstraut und ihn mit einem kritischen Satz im Sportstudio beschädigt habe, weist Reschke ebenso energisch zurück wie Dietrich. Wolf selbst hält diesen Vorwurf übrigens auch für überzogen.

Das erste Spiel führt Korkut nach Wolfsburg

Reschke versteht, dass die Leute Angst vor dem Abstieg haben, aber er hält es für "populistisch", wenn jemand behauptet, der neue VfB-Weg - Kontinuität, Ruhe, junge Spieler - werde abgewickelt. Tatsächlich hatte Vorgänger Schindelmeiser dem Klub neben Fundstücken wie Pavard auch Talente hinterlassen, die das Team nicht weiterbrachten, und so sieht es Reschke, der Anti-Romantiker, als seine Aufgabe an, sich mit harten Entscheidungen zur Not unbeliebt zu machen. Er halte das aus, sagt er.

Am Samstag hat Korkut nun sein erstes Spiel, in Wolfsburg. Nach Lage der Dinge könnte es für die auswärtsschwachen Stuttgarter sogar von Vorteil sein, dieses erste Spiel nicht zu Hause zu bestreiten.

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