VfB Stuttgart - Glasgow Rangers:Schwäbisches Rumoren

Das 1:1 gegen Glasgow offenbart beim VfB Stuttgart eine angespannte Atmosphäre: Teile des Publikums pfeifen die Mannschaft aus, Sami Khedira schimpft zurück.

Johannes Aumüller, Stuttgart

Im Prinzip sind die Verantwortlichen des VfB Stuttgart selbst schuld. Schließlich sind sie es ja gewesen, die mit ihrem Wirken in den vergangenen Monaten neue Ansprüche und neue Erwartungen geweckt haben. Sie haben mit Aliaksandr Hleb einen Spieler verpflichtet, der zu den wenigen Bundesliga-Akteuren zählt, die an guten Tagen das Prädikat "Weltklasse" verdienen. Sie haben die vielen Millionen aus dem Verkauf von Mario Gomez genutzt, um mit Stürmern von gehobenem internationalen Format zu verhandeln (Klaas-Jan Huntelaar) und einen Stürmer von solidem internationalen Format zu verpflichten (Pawel Pogrebnjak). Und sie haben so eine Vorstellung entworfen, die den VfB dauerhaft in der erweiterten Bundesliga-Spitze und im exquisiten Kreis der Champions-League-Teilnehmer sieht.

VfB Stuttgart - Glasgow Rangers: Sami Khedira (rechts) fand nach dem Spiel deutliche Wort zu den Pfiffen des Publikums.

Sami Khedira (rechts) fand nach dem Spiel deutliche Wort zu den Pfiffen des Publikums.

(Foto: Foto: Getty)

Wohin diese neuen Ansprüche führen, zeigte das 1:1 gegen Glasgow am Mittwochabend: Als die Stuttgarter Spieler nach einer in der ersten Hälfte guten Leistung, einem Tor von Pawel Pogrebnjak (18.) und einem Gegentreffer von Madjid Bougherra in der 77. Minute ihr erstes Champions-League-Spiel seit fast 24 Monaten beendeten, empfanden das manche Fans so dermaßen unter den neuen Stuttgarter Erwartungen, dass sie die Mannschaft mit Pfiffen in die Kabine verabschiedeten. Bereits während des Spiels und sogar während der aus Stuttgarter Sicht überzeugenden ersten Hälfte hatten manche Zuschauer ihren Unmut kundgetan - als die Elf von Markus Babbel mal kurzzeitig ihr ansonsten hohes Tempo reduzierte und anstelle eines schnellen Angriffes einige Sicherheits-, Quer- und Rückpässe zeigte.

Eine ob der VfB-Leistung ziemlich erstaunliche Reaktion war das, was sich das Publikum da leistete. Immerhin war dies keine Partie im Rennen um die schwäbische Meisterschaft, sondern die Champions League; immerhin war der Gegner kein unbekannter FC Heckhuscheid, sondern der amtierende schottische Meister; und immerhin war der VfB spielerisch keineswegs enttäuschend, sondern über weite Strecken der Partie die klar bessere Mannschaft.

Entsprechend schwer taten sich auch die Stuttgarter Profis, damit umzugehen. Der russische Angreifer Pawel Pogrebnjak fand die Reaktion der Zuschauer normal, Innenverteidiger Serdar Tasci gab zu Protokoll, die Pfiffe nicht gehört zu haben, und Kapitän Thomas Hitzlsperger wollte die Unmutsäußerungen überhaupt nicht kommentieren.

Nur Mittelfeldspieler Sami Khedira fand deutliche Worte: "Ich finde es unverständlich, wenn die Zuschauer in der ersten Halbzeit pfeifen. Das steigert nicht gerade das Selbstbewusstsein." Gegen eine extrem defensiv eingestellte Rangers-Mannschaft habe man gespielt, da könne man nicht immer Powerfußball spielen, sondern müsse auch mal ruhig bleiben - so wie das im Training einstudiert worden sei. Und wer das kritisiert, der solle sich mal mehr mit Fußball beschäftigen. Zudem versuchte der 22-jährige Mittelfeldspieler, die Pfiffe im Stadion zu verorten. Nicht aus der Fankurve seien sie gekommen, sondern von der Haupttribüne. Die Stuttgarter Haupttribüne gilt traditionell als ziemlich kritisch.

Was passiert mit dem Rotationsprinzip?

Letztlich sind diese Unmutsäußerungen die akustischen Symptome für eine angespannte Atmosphäre beim letztjährigen Bundesliga-Dritten. Nur ein Sieg aus den bisherigen fünf Liga-Partien und der damit einhergehende zwölfte Platz erzeugen für Nervosität. Zumal sich beim 1:1 gegen Glasgow wieder einmal Problemfelder zeigten, denen sich VfB-Trainer Markus Babbel in den nächsten Tagen widmen muss.

Mittelfeldspieler Aliaksandr Hleb war anzumerken, dass er noch weit von den Tagen entfernt ist, an denen er sich das Prädikat "Weltklasse" verdient. Manchmal hatte es gar den Eindruck, als lähme der Weißrusse den Spielfluss der Mannschaft, die lange Zeit aus dem Mittelfeld flott kombinierte und vorne über Pogrebnjak und Cacau einige gute Kombinationen zeigte. Ganz generell stellt sich die Frage, ob die Stuttgarter angesichts ihres guten, aber eben nicht herausragenden Personaltableaus die Erwartungshaltung nicht grundsätzlich senken müssen: Spieler wie Christian Träsch, Arthur Boka oder Roberto Hilbert tun sich schwer in der Champions League.

Zudem muss Babbel eine Erklärung dafür finden, warum es seine Mannschaft nie schafft, über die volle Spielzeit eine gute Leistung zu zeigen. Gegen Glasgow ließ die Mannschaft ab der 60. Minute deutlich nach und brachte sich so um den Lohn der Arbeit. Es sei kein physisches, sondern ein psychisches Problem gewesen, sagte Babbel.

Der Trainer selbst hat auf den holprigen Saisonstart schon reagiert. Auch wenn offiziell noch das Rotationsprinzip existiert, war sowohl beim jüngsten Bundesligaspiel gegen Hamburg (1:3) als auch nun gegen die Rangers festzustellen, dass er im Wesentlichen die nominell stärkste Elf aufs Feld schickte. Die Qualität der Gegner in den nächsten vier Spielen (Bundesliga gegen Köln, DFB-Pokal in Lübeck, Bundesliga in Frankfurt, Champions League in Urziceni) böte sich auf den ersten Blick allerdings dafür an, die Akteure wieder munter durchzuwechseln. Jedoch weiß Babbel um das Risiko: Wenn die Fans schon bei einem 1:1 gegen Glasgow pfeifen, was soll da erst bei einer unerwarteten Niederlagen gegen Köln, in Urziceni oder gar in Lübeck passieren?

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