Louis van Gaal kauerte fast auf dem Tisch. Der sonst so hoch getragene Kopf schien ungemein schwer zu sein, der Niederländer sprach langsam, leise. Und wenig.
Als der Trainer des FC Bayern München sich schließlich bis zum einzigen Tor des Spiels nach 85 Minuten vorgekämpft hatte, wirkte er fast apathisch. Fünf Zentimeter sei Luca Toni da im Abseits gestanden, "deshalb kann ich nicht sagen, dass es eine Fehlentscheidung war". Er senkte den Blick, der Kopf drückte nach unten. Es vergingen einige Sekunden, im gefüllten Pressesaal rührte sich niemand mehr. Dann wiederholte van Gaal: "Fünf Zentimeter." Hob den Kopf und schickte einen leeren Blick an die Decke.
Zwei Meter daneben sprach dann Markus Babbel laut und klar seiner Mannschaft ein Kompliment aus, weil sie "alles gegeben habe". Der "Fight" sei im Vordergrund gestanden, auch wenn sein VfB Stuttgart bald wieder ein bisschen Fußball spielen sollte - mit Betonung auf spielen. Es ging ein wenig hin und her zwischen Lob und Tadel, doch Babbel blieb aufrecht und kraftvoll.
Auf verblüffende Art und Weise wiederholten die Trainer während der Pressekonferenz die Auftritte ihrer Mannschaften. Hier das kontrollierte Vorgehen, das zunehmend in Schläfrigkeit mündete. Dort Elan und Kraft, aber wenig Strategie und Plan.
Das 0:0 zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Bayern München war deshalb ein gerechtes Ergebnis, weil beide Mannschaften es auf ihre Art übertrieben.
Schulterschluss zwischen Mannschaft und Publikum
Die Gastgeber stellten schon vor dem Anpfiff alles auf Offensive und Einsatz. Nach dem Aufwärmen trotteten die Spieler nicht wie gewohnt in die Kabine, sondern liefen geschlossen zur Fankurve, um sich für die geleistete Anfeuerungsarbeit schon vorab zu bedanken.
Nach fünf Pflichtspiel-Niederlagen in Folge wollten die VfB-Profis "ein Zeichen setzen, weil die Fans keine guten Leistungen gesehen haben, wir sie aber weiter brauchen", wie Kapitän Thomas Hitzlsperger erklärte. Das Geste wirkte, es kam trotz der sportlichen Misere zum Schulterschluss zwischen Mannschaft und Publikum.
Überlegenes Balltreten
Und so erlebten die 42.000 im Stuttgarter Stadion eine furiose Anfangsphase mit Chancen für den VfB im Minutentakt. Bayern-Torwart Jörg Butt musste gleich viermal eingreifen, bevor seine Vorderleute den Zugang zu diesem Spiel fanden.
Als die Münchner es dann geschafft hatten, begannen sie mit dem van Gaalschen Kontrollfußball. Mit Mark van Bommel als Drehscheibe im Mittelkreis schoben und passten sie sich bisweilen gekonnt den Ball zu. Das sah nach System aus, nach Überlegenheit. Doch zu Chancen kamen die Bayern nicht.
Genau hier schieden sich die Geister in der Bewertung des Münchner Spiels. Ist der Ligakrösus auf einem gedeihlichen Weg zu einem dominanten Stil, der irgendwann sichere Siege garantiert? Oder verheddert er sich im Quergeschiebe, das in Stuttgart phasenweise an das ehrwürdige Rasenschach der achtziger Jahre erinnerte?
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum es der Ex-Stuttgarter Mario Gomez nicht nur auf dem Platz schwer hatte.
Einzelkritik: FC Bayern:Die Büro-Bayern
Beim 0:0 in Stuttgart vergessen die Zuschauer bald Mario Gomez. Allein der eingewechselte Luca Toni hat eine Torchance.
"Wir haben wenig Chancen kreiert, weil wir in der dritten und vierten Angriffsphase oft den Ball verloren haben", analysierte van Gaal. Ein Verweis auf seine auf dem Reißbrett entworfenen Spielzüge, in denen nach Ballkontrolle die Suche nach dem freien Mann und letztlich nach dem freien Stürmer folgt. In der Sparte "Fehlpässe" taten sich der wechselhafte Bastian Schweinsteiger und der völlig konfuse Anatoli Timoschtschuk besonders hervor.
Spielart der Chaos-Theorie
Philipp Lahm glaubt, seine Mannschaft bekomme ohne frühes 1:0 ein Problem, weil sich dann keine schönen Räume auftun, wo die freien Männer stehen sollen. Manager Uli Hoeneß wies indes auf das Fehlen der verletzten Sonderkönner Franck Ribéry und Arjen Robben hin, die durch ihre Dribblings dem Kontrollfußball eine Überraschungsfacette hinzufügen. "Dafür schlagen wir uns eigentlich noch ganz gut", fand Hoeneß. Er sprach damit stellvertretend für die Münchner Gefühlslage, die sich auch aufgrund der anderen Ergebnisse mit dem einen Punkt in Stuttgart arrangierte.
Im Kontrast zum bayerischen Ballgeschiebe wirkte das Stuttgarter Vorgehen fast wie eine Spielart der Chaos-Theorie. Vor allem als Babbel wegen Verletzungen Roberto Hilbert und Timo Gebhardt auf die rechte Seite schicken musste, bordete das VfB-Spiel über von Dribblern, Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Läufern und technisch limitierten Brechern. Kaum eine klare Passfolge brachten die VfB-Spieler noch zustande und kamen deshalb bis auf einen Kopfball von Hilbert (53.) auch zu keine Torchance mehr.
Misslungener Nachmittag für Gomez
Weil der VfB vorne nicht mehr durchkam und hinten ob des angerichteten Durcheinanders mitunter windschief im Raum stand, lief vieles auf ein spätes Bayern-Tor zu. Die zwei größten Möglichkeiten boten sich dabei Luca Toni nach seiner Einwechslung. Und einmal entschieden bekanntlich Zentimeter gegen ihn.
Dass der Italiener am Ende derart im Fokus stand, vervollständigte den völlig misslungenen Nachmittag des Mario Gomez. Zwar ersparte ihm Trainer van Gaal die Schmach, vor seinem früheren Publikum auf der Bank zu sitzen, doch dann pfiffen die Zuschauer bei jedem Ballkontakt ihres ehemaligen Sturm-Helden, was die Lungen hergaben. "Das hat mich nicht ganz kalt gelassen", gab der 24-Jährige zu.
Nachdem er in der ersten Halbzeit eine halbe Chance hatte, in der er den Ball ans Außennetz drosch, nahm er nach der Pause kaum mehr am Spiel teil. Seinem Sturmpartner Miroslav Klose erging es ähnlich. Aus dem Münchner Mittelfeld kam kein brauchbares Anspiel, dazu schwang sich die Stuttgarter Innenverteidigung mit Mathieu Delpierre und Serdar Tasci zur wohl besten Saisonleistung auf.
Dann hatte van Gaal noch eine Spitze parat für Mario Gomez. Auf die Frage, warum er den Ex-Stuttgarter spielen ließ, wies der Niederländer darauf hin, dass Luca Toni zuletzt einige Einsätze hatte und außerdem am Dienstag eine wichtige Champions-League-Partie anstehe. Sprich, Gomez wird gegen Girondins Bordeaux wieder auf der Bank sitzen. Und so verfestigte sich in Stuttgart das Gefühl, dass die Gastgeber im Sommer einen Stürmer verloren haben, den sie nicht ersetzen können. Während die Münchner einen Stürmer bekommen haben, mit dem sie nichts anzufangen wissen.