VfB Stuttgart:Happy Endo

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So verrückt, wie Stuttgart jubelte, spielte es auch - eine ganze Saison lang und auch an diesem Nachmittag: Wataru Endo lässt sich von seinen Mitspielern feiern. (Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Die Rasselbande des VfB Stuttgart lässt sich vom vernünftigen Wataru Endo retten. Nun soll eine strenge Saison- und Kaderanalyse erfolgen. Es stehen wohl ein paar prominente Abschiede an.

Von Christof Kneer, Stuttgart/München

Als Wataru Endo nach einer langen Nacht heimkehrte, sah er diesen Schriftzug auf der Straße. "LEGENDO" hatte jemand mit bunter Kreide auf den Gehsteig gekritzelt, ein paar Nachbarskinder offenbar, was den Hausherrn derart bewegte, dass er auf Twitter davon Meldung machte. Es kann nun also amtlich festgehalten werden, dass auch dieser Schriftzug noch in Endos persönliche Saisonstatistik eingehen wird: 33 Saisonspiele für den VfB Stuttgart, vier Tore, 17 Länderspiele für Japan, 4342 Spielminuten, eine Grußbotschaft auf dem Gehsteig. Wataru Endo ist in dieser Saison erbarmungslos vermessen worden, die wirklich entscheidenden Daten finden sich aber nirgendwo: all die Flugkilometer, die er zurückgelegt hat - und die präzise Höhe des speziellen Fluges, den ihm die Mitspieler des VfB Stuttgart an diesem Tag spendierten. Nach Spielschluss warfen sie ihn ein paar Mal in die Luft, und professionelle Schätzungen führten zu einem ersten Ergebnis: Hoch war's nicht. Aber schön.

Nach einem 2:1-Sieg gegen den 1. FC Köln darf der Verein für Bewegungsspiele Stuttgart 1893 auch weiterhin in jener ersten Bundesliga mitspielen, in die zum Beispiel Schalke 04 ein Wochenende zuvor zurückgekehrt ist, und man kann nun wunderbar sinnlos darüber diskutieren, von wo die ergreifenderen Bilder kamen. Wieder trat ein Stadion nach dem Schlusspfiff über die Ufer, wieder schwemmte es Unmengen euphorisierter Menschen auf den Rasen.

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Wieder fingen die Kameras Tausende Gesichter ein, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie jauchzen oder heulen sollten und sicherheitshalber beides taten. Das wohl großartigste der 1893 bunten Bildern war das des Trainers Pellegrino Matarazzo, den es im Angesicht von Endos Siegtor in der 92. Minute von seiner Bank wegriss, der mit sperrangelweit aufgerissenen Augen die Seitenlinie entlangraste und für einen Moment von einer schrecklichen Angst heimgesucht wurde. Ob bei diesem Tor wohl alles mit rechten Dingen zugegangen war?

Kurz flackerte der Blick hinüber zum Schiedsrichter, der schien keine Einwände zu haben, also setzte Matarazzo seinen wilden Galopp fort. Irgendwann kam er irgendwo an, er hatte keine Orientierung mehr, er wusste nicht mal, wer dieses Tor geschossen hatte, das er gerade wie von Sinnen bejubelte. Einige Meter entfernt hing Wataru Endo über der Bande und überstand mit knapper Not die Attacke des Mitspielers Konstantinos Mavropanos, der ihn hinterrücks mit Fäusten malträtierte.

Wataru Endo hat das Stuttgarter Spieljahr eingerahmt: Er hat am ersten Spieltag das erste Saisontor geschossen und am letzten Spieltag das letzte

Niemand musste sich über diesen Jubel wundern, er stellte sogar eine Art Nachricht dar. So verrückt, wie Stuttgart jubelte, spielte es auch - eine ganze Saison lang und auch an diesem Nachmittag. Erfahrene VfB-Kenner dürften milde gelächelt über das zugeschaltete Gelegenheitspublikum, das am Fernseher bei jeder vergebenen Stuttgarter Torchance "Ahs" und "Ohs" produzierte. Tiago Tomás scheitert an Kölns Keeper Marvin Schwäbe, Wataru Endo trifft vor dem leeren Tor die Latte, Sasa Kalajdzic vergibt einen Elfmeter? Lächerlich. Würde man einen Schnelldurchlauf der vergebenen Stuttgarter Torchancen aus dieser Saison senden, käme keine dieser Gelegenheiten unter die Top Ten.

Der VfB Stuttgart war ein erstklassiger Dienstleister an diesem letzten Spieltag, für ein dankbares Gelegenheitspublikum hat er seine Saison in knackigen 90 Minuten zusammengefasst. Ein Kopfballtor von Kalajdzic zu einem spektakulären Zeitpunkt (diesmal: direkt nach seinem vergebenen Elfmeter), ein liebevoll selbstgebastelter Gegentreffer (diesmal: ein schwerer Fangfehler von Torwart Florian Müller), Endos Flugkopfballtor als verrückte Wendung in der Nachspielzeit (diesmal: für den VfB) und insgesamt ein wildes Auf und Ab mit viel Talent, viel Leidenschaft und wenig Souveränität.

Teil eines spektakulären Abschlusses: Sasa Kalajdzic trifft per Kopf zu einem spektakulären Zeitpunkt - direkt nach seinem vergebenen Elfmeter. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Es wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Widerspruch, dass sich dieser mit so viel Unvernunft begabte VfB am Ende von seinem vernünftigsten Spieler retten ließ. Wataru Endo, 29, hat das Stuttgarter Spieljahr eingerahmt, er hat am ersten Spieltag das erste Saisontor für den VfB geschossen und am letzten Spieltag das letzte. Das 2:1 gegen Köln war kein leichtes Manöver, wie ein Torjäger hat sich der defensive Mittelfeldspieler in die Flugbahn des Balles gestürzt und damit noch mal seinen Stellenwert für diese Elf dokumentiert. "Wataru ist das Spiegelbild für unseren Spirit", sagt der Sportchef Sven Mislintat.

Viele spielten zu wenig in dieser Saison, Endo spielte viel zu viel

Auf kuriose Weise ist Wataru Endo Stuttgarts Spieler der Saison. Während Führungs- und Unterschiedsspieler wie Kalajdzic, Silas, Borna Sosa, Omar Marmoush oder Chris Führich wegen Verletzungen und/oder Corona viel zu wenig spielten, spielte Endo viel zu viel. Eine Statistik weist ihn als Profi mit den zweitmeisten Einsätzen in Europas Top-Ligen aus, dazu kommen regelmäßige Interkontinentalflüge zur WM-Qualifikation nach Asien - Strapazen, die er ohne seriösen Trainingsaufbau absolvierte, weil er vor der Saison auch noch Japans Olympia-Auswahl ins Halbfinale führte.

Auch das war Stuttgarts Problem in dieser Saison: Endo war müde. Er hat sich tapfer in jeden Zweikampf geschmissen, hat tapfer das Spiel organisiert und tapfer seine Steilpässe versendet, aber man hat ihm vor allem in der Vorrunde angesehen, wie schwer ihm diese Tapferkeit manchmal fiel. Er konnte den Rasselbandenbuben um sich herum nicht so viel Halt geben wie gewohnt, er musste ja selbst erst mal den Jetlag rauslaufen. Aber als es ernst wurde, war er zur Stelle.

Nun, da die Geschichte des VfB doch noch ein Happy Endo gefunden hat, wird man gespannt verfolgen dürfen, welche Schlüsse der neue Klubchef Alexander Wehrle aus dieser Saison ziehen wird. Geplant ist eine strenge Saisonanalyse, in der auch die Strategie des selbstbewussten Sportdirektors Mislintat einer genauen Prüfung unterzogen wird. Die Vorgabe für den Transfersommer lautet, mindestens 20 Millionen Euro Handelsüberschuss zu erwirtschaften, weshalb mindestens die Abschiede von Mittelstürmer Sasa Kalajdzic und Außenverteidiger Borna Sosa anstehen; auch Orel Mangala und Konstantinos Mavropanos sind international umworben. Es dürfte nun also darum gehen, den 100 Talenten im Kader den ein oder anderen stabilen Wettkämpfer hinzuzufügen. Damit Legendo nicht wieder alles alleine machen muss.

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