VfB Stuttgart:Das Land schwätzt Schwäbisch

Germany v Norway - FIFA 2018 World Cup Qualifier

Zwei echte VfBler, die nicht mehr das VfB-Trikot tragen: Mario Gomez und Joshua Kimmich (rechts).

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Beim Länderspiel zuletzt in Stuttgart haben sechs frühere VfB-Spieler gespielt.
  • Die Verantwortlichen wollen nun verhindern, dass Talente wie Kimmich, Leno und Werner den Klub so einfach verlassen.
  • Hier geht es zu den Ergbnissen in der Bundesliga.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Ron-Robert Zieler, Andreas Beck, Holger Badstuber und Dennis Aogo haben zusammen 58 Länderspiele bestritten. In diesem Zusammenhang stellt sich jetzt natürlich die spitzfindige Frage, ob man diese vier nun als Nationalspieler oder als Ex-Nationalspieler bezeichnen sollte. Aber ein Weltmeister bleibt ja auch für immer ein Weltmeister, oder hat man schon mal gehört, dass jemand Franz Beckenbauer als Ex-Weltmeister bezeichnet hat? Zieler, Beck, Badstuber und Aogo sind also deutsche Nationalspieler, so gesehen - mit der kleinen Zusatzanmerkung vielleicht, dass sie nicht mehr in der deutschen Nationalmannschaft spielen.

Als die deutsche Nationalmannschaft vorigen Montag in Stuttgart auftrat, hat niemand im Publikum Zieler, Beck, Badstuber und Aogo vermisst, obwohl alle vier neuerdings beim örtlichen VfB Stuttgart Fußball spielen. Das war nicht bös gemeint vom Publikum, niemand hat was gegen Zieler, Beck, Badstuber und Aogo; aber an diesem Abend hatte das Publikum einfach keine Extra-Emotionen mehr frei. Die Leute waren völlig damit ausgelastet, ihre vorhandenen Emotionen zu sortieren: Sollten sie Timo Werner auspfeifen, der es vor einem Jahr gewagt hatte, den abgestiegenen VfB zu verlassen, um an seine Karriere zu denken? Oder sollten sie ihm zujubeln, dem Kerle, dem schwäbischen? Und überhaupt, die Reihenfolge: Sollten die Leute erst "Mario Gomez" brüllen und dann "Sami Khedira" oder umgekehrt?

Wer alles im virtuellen VfB-Trikot steckt

Der VfB Stuttgart hat eine Art Bundesliga-Heimspiel gehabt beim Länderspiel zwischen Deutschland und Norwegen (6:0). In einem virtuellen VfB-Trikot steckten: Sami Khedira, Mario Gomez, Timo Werner, Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, Sebastian Rudy und Bernd Leno. Sie bildeten die Gruppe der sieben Schwaben, die ursprünglich sogar mal zu acht zum DFB angereist waren, bevor sie unterwegs Serge Gnabry wegen einer Verletzung verloren. Der Form halber sollte hier allerdings ebenfalls eine Zusatzanmerkung angefügt werden: Denn diese sieben Schwaben, herangewachsen und ausgebildet alle beim VfB, spielen inzwischen für Klubs, die knapp außerhalb Schwabens beheimatet sind, für Juventus Turin etwa, den VfL Wolfsburg, RB Leipzig, Bayern München, den FC Chelsea oder Bayer Leverkusen.

Mit einer "Mischung aus Stolz und Wehmut" nehme er das hohe Schwabenaufkommen im DFB-Aufgebot wahr, sagt Wolfgang Dietrich, 69, der dem VfB seit Oktober 2016 als Präsident vorsteht. Dietrich ist keiner, der die Abtastphase in einem Fußballspiel für eine gute Erfindung hält, er hat vom Anpfiff weg ein hohes Tempo vorgelegt. Er ist mit dem VfB in die erste Liga aufgestiegen, er hat die Ausgliederung der Profiabteilung durchgesetzt, und kürzlich hat er sich getraut, gegen die öffentliche Meinung den Sportchef Jan Schindelmeiser aus dem Amt zu entfernen.

Außerhalb der Klubmauern ist die Entscheidung bis heute nicht leicht zu durchschauen, es ging dabei sicher auch um Große-Jungs-Dinge, also wer mehr zu sagen, wer was auszuführen und wer wann wen zu informieren hat; aber es ging auch ums Grundsätzliche, um den Weg, der den VfB mittelfristig wieder ans Ziel führen soll.

Przemyslaw Tyton statt Bernd Leno

Wenn Dietrich die Nationalelf Schwäbisch schwätzen hört, setzt das in ihm zwei Wünsche frei: Er möchte erstens, dass sein VfB bald wieder aktuelle Nationalspieler stellt - und zweitens, dass die den Verein dann nicht mehr alle verlassen. Natürlich habe jeder Abschied "seine eigene Geschichte", sagt Dietrich, und ein Klub habe "ja alles richtig gemacht", wenn er Profis wie Khedira und Gomez selbst herstellt und dann teuer an Real Madrid und Bayern München verkauft. Nicht alles richtig macht ein Klub aber, wenn er einen Keeper wie Bernd Leno gehen lässt, um später mit einem Menschen namens Przemyslaw Tyton im Tor abzusteigen; oder wenn er ein Talent wie Sebastian Rudy übersieht, um stattdessen auf den seltsamen Zdravko Kuzmanovic zu setzen; oder wenn der kleine Kimmich nicht zu den Profis befördert wird, weil er eben der kleine Kimmich ist.

Jeden, der an der Kimmich-Entscheidung beteiligt war, würde er "gern erschlagen", hat der Trainer Alexander Zorniger mal in seiner berüchtigten Brachialrhetorik gesagt; es war allerdings derselbe Zorniger, der das Sturmtalent Timo Werner mittels Brachialpädagogik wissen ließ, er sei nicht dessen "Kindermädchen".

Man habe nun "die Rahmenbedingungen geschaffen, damit die Quote an Fehlentscheidungen massiv sinkt", sagt Wolfgang Dietrich. So soll am Nachwuchsleistungszentrum nicht mehr gespart werden, "wenn oben bei den Profis mal was drückt", sagt Dietrich, "in der Autoindustrie käme auch keiner auf die Idee, ausgerechnet bei Forschung und Entwicklung zu sparen".

Kienle und Hitzlsperger sollen die Jungen an den Klub binden

Seine Hoffnung verbindet er mit drei Personalien: Der branchenbekannte Jugendpfleger Marc Kienle, der Werner und Kimmich einst ebenso ausbildete wie Rudy und Rüdiger, verantwortet nun das Nachwuchsleistungszentrum; Thomas Hitzlsperger, bislang im Klub eher beratend tätig, soll künftig als Mentor den Weg der Toptalente begleiten; und Michael Reschke, der neue Sportchef, soll oben bei den Profis die richtigen Entscheidungen treffen - als erste Amtshandlung hat er der Elf erst mal die Routine der Ex-Nationalspieler Aogo und Beck hinzugefügt.

Der Plan ist, dass auf stabilem Boden irgendwann wieder Spieler wachsen, für die sich Joachim Löw und sein Assistent Thomas Schneider interessieren. Beide waren natürlich mal Trainer beim VfB Stuttgart.

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