VfB-Sieg gegen Hoffenheim:Hinten ist vorne

02.10.2021, Deutschland, Fußball Bundesliga, VfB Stuttgart vs. TSG 1899 Hoffenheim, Jubel nach dem 2:0 Tor, Torschütze

Gemacht aus Wucht und Willen: Konstantinos Mavropanos krönt sein Solo zum 2:0 mit einem Jubel-Sprint.

(Foto: Alexander Keppler/Pressefoto Baumann/Imago)

Ein Solo wie von Lucio: Der spektakuläre Grieche Konstantinos Mavropanos steht stellvertretend für den kuriosen Weg, den der VfB Stuttgart gerade beschreiten muss. In Ermangelung von Stürmertoren treffen einfach die Verteidiger.

Von Christof Kneer, Stuttgart/München

Viele Reporter haben das schon versucht, aber die meisten sind an diesem Vorhaben gescheitert. Dabei wollen Reporter oft nichts Böses, wenn sie den Sportchef eines Vereins nach historischen Vergleichen fragen - ob ihm vielleicht ein Spieler aus der Vergangenheit einfalle, an den der Spieler XY erinnere? Sportchefs fürchten diese Frage wie der Torschütze den Videobeweis. Meistens antworten sie dann, dass Vergleiche doch keinem was bringen, oder sie sagen, nein, mir fällt keiner ein, auch wenn ihnen einer einfällt. Die Sorge, die sie bei solchen Vergleichen haben, ist die: Wenn sie eine zu prominente Referenzgröße wählen, dann wird ihr armer Spieler ab sofort immer daran gemessen.

Als Sven Mislintat, der Sportchef des VfB Stuttgart, im Juli den Angreifer Chris Führich vom Zweitligisten Paderborn verpflichtete, sagte er gut gelaunt, mit diesem Führich könne es "eine ähnliche Geschichte wie bei Marco Reus" werden (Mislintat meinte damit nicht Reus' Verletzungsgeschichte). Und als Mislintat am Wochenende, nach dem 3:1 seines VfB gegen die TSG Hoffenheim, auf das Tor zum 2:0 angesprochen wurde, nannte er es erst mal "außergewöhnlich" und "Wahnsinn" - bevor er einen dieser Sätze sagte, die gewöhnliche Sportchefs nie sagen würden. Mislintat meinte, er fühlte sich beim Sololauf des Verteidigers Konstantinos Mavropanos "an einen Brasilianer erinnert, der mal bei Leverkusen und Bayern gespielt hat". Für Leverkusen und Bayern spielte der unzerstörbare Lucio.

Mislintat, 48, ist offenkundig nicht der Meinung, dass man Spieler vor allzu großen Vorbildern schützen muss. Er misst Spieler an ihren Höhen, und natürlich ist es auch so: Wenn er Spieler lobt, dann lobt er meist auch ihren Entdecker, Sven Mislintat. In seiner Zeit als Chefscout beim FC Arsenal hatte Mislintat den jungen Griechen bei einem Erstligisten in Ioannina aufgespürt.

Die Partie gegen Hoffenheim war ein guter Anlass, um Komplimente zu verteilen. Der VfB, der inzwischen zu großen Teilen Mislintats VfB ist, hat nach längerer Kreativpause wieder eine gute Geschichte geliefert, eine Sportgeschichte, ganz nach Mislintats Geschmack. Es dürfte Mislintat gefallen, dass sich die markante Formsteigerung des VfB nach fünf sieglosen Spielen mit Sach- und Fachargumenten erklären ließ - etwa mit jenem kompakten, aus drei gebürtigen Sechsern gebauten Mittelblock (Endo, Mangala, Karazor), mit dem Trainer Pellegrino Matarazzo die zuletzt überlastete Defensive schützte; überhaupt mit der Rückkehr des lange verletzten Belgiers Mangala, dessen extreme Ballsicherheit den Kollegen ein gutes Gefühl vermittelt; auch mit dem Einsatz des fidelen Chris Führich, der bisher noch gar nicht zeigen konnte, dass er ein Spielertyp wie Reus sein könnte, weil er bisher mit einem Schlüsselbeinbruch ausgefallen war.

Aber ganz unbedingt hatte der Sieg auch mit jenem Mann zu tun, dessen Tor man mit offizieller Genehmigung von Sven Mislintat "à la Lucio" nennen darf.

"Da hat er einfach mal die Maschine angeschmissen", sagt Mavropanos' Entdecker, VfB-Sportdirektor Sven Mislintat

In der 60. Minute erkämpfte sich der Verteidiger Mavropanos, 23, in der Nähe der Außenlinie den Ball, er marschierte los, zog nach innen und ignorierte alle Hoffenheimer, die den rührenden Versuch unternahmen, sich ihm in den Weg zu stellen. Am Ende des Weges schlenzte der Grieche den Ball mit links ins Tor. "Da hat er einfach mal die Maschine angeschmissen", schmunzelte Mislintat später. Vor ein paar Wochen, gegen Freiburg, hatte Mavropanos bereits ein ähnliches aus Wucht und Willen gefertigtes Tor hergestellt, auf seinem Weg zum Tor nutzte er arglos herumstehende Mit-und Gegenspieler als Doppelpasspartner und/oder Ballwand, am Ende drosch er den Ball unter die Latte.

Trainer Matarazzo ernannten den Griechen zum "Prototypen" des Spiels gegen Hoffenheim, er meinte die Entschlossenheit und den Lernwillen des jungen Mannes, der seine wilde Energie immer besser zu kanalisieren lernt. Gleichzeitig steht der Grieche für den kuriosen Weg, den die Stuttgarter gerade beschreiten müssen. Von den 55 Toren, die der VfB in der Vorsaison erzielte, fehlen zurzeit 37 - die verletzten Sasa Kalajdzic (16 Tore) und Silas (11) werden irgendwann zurückerwartet, Nicolas Gonzales (6) und Gonzalo Castro (4) haben den Verein verlassen. So behilft sich der VfB einstweilen mit fachfremden Toren. Der Verteidiger Marc-Oliver Kempf, der auch gegen Hoffenheim traf, führt die Liste mit drei Toren an, ihm folgt der Verteidiger Mavropanos mit zweieinhalb. Am vorigen Wochenende konnte zwar wieder kein Gegenspieler sein Tor verhindern, aber dann stornierte es das Videogericht.

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