VfB-Profi Martin Harnik:Affe gegen die Verschwendung

VfB Stuttgart v Hamburger SV - Bundesliga

Spaß am Affentheater: Martin Harnik (Mitte) und seine VfB-Kollegen Daniel Ginczek (links) und Daniel Didavi

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Er schluckt Fliegen und tanzt wie ein Primat: Stürmer Martin Harnik muss den Flow spüren, damit er erfolgreich ist. Im Saisonfinale verkörpert er beim VfB Stuttgart die neue Lust am Abstiegskampf.

Von Matthias Schmid

Robin Dutt hat es gar nicht so gerne gesehen, dass Martin Harnik am Donnerstag gegen Trainingsende noch so viele Torschüsse fabriziert hat. Harnik schoss mit links, er schoss mit rechts und wenn es sein musste, köpfelte er auch noch die Flanken von links und rechts aufs Tor. "In der jetzigen Situation, zwei Tage vor dem Saisonende, wird das die Qualität der Torabschlüsse nicht wesentlich verbessern", stellte der Sportvorstand des abstiegsbedrohten VfB Stuttgart humorlos fest.

Der Fußballakademiker hätte einen anderen methodischen Ansatz gewählt als das klassische Torschusstraining von Fußball-Arbeiter Huub Stevens. Dutt würde einen Mentaltrainer bevorzugen, er kennt die Verschwendungssucht seiner Spieler vor dem Tor, die am Samstag (15.30 Uhr/im SZ-Liveticker) im letzten Saisonspiel beim SC Paderborn zum Verhängnis werden könnte. Denn nur ein Sieg verhilft dem VfB sicher zum Klassenverbleib.

Die Statistik besagt: 34 Chancen haben die Stuttgarter in den vergangenen vier Spielen erspielt, daraus aber nur acht Tore gemacht. Allein vier hat Martin Harnik in den vergangenen sechs Partien erzielt. Der österreichische Nationalspieler hat mit seinen vier Treffern und drei Torvorlagen einen großen Anteil daran, dass der VfB nach den beiden Siegen gegen Mainz (2:0) und den Hamburger SV (2:1) erstmals nach 13 Spieltagen den direkten Abstiegsplatz verlassen hat und sich auf dem Relegationsrang wiederfindet. "Wir gehen mit viel Selbstvertrauen ran und spielen super Fußball", sagt Harnik. Seine Analyse ist nicht einmal übertrieben. Seit Huub Stevens seinen Spielern einen attraktiven Hochgeschwindigkeitsfußball mit schnellem Kurzpassspiel lehrt und sich von seinem Sicherheitskonzept verabschiedet hat, glauben die Spieler an das Happy End in dieser Saison.

Diesen Stilwechsel haben sie in Stuttgart dem Trainer ebenso wenig zugetraut wie Harnik dessen wundersamen Aufschwung nach schwierigen Wochen, in denen der rechte Außenstürmer meist nur mit Ballverlusten und anderen Unzulänglichkeiten aufgefallen war. Der gebürtige Hamburger mit österreichischem Vater ist ein Instinktkicker, er lebt von seinem Selbstvertrauen. Er ist einer dieser Laufspieler, die den Flow spüren müssen, damit sie erfolgreich sind. Dann erst kann er seine Stärken entfalten, seine Dynamik, seine Schnelligkeit, seine Kreativität.

Sieben Fliegen für einen Eiweißschub

Diese neue Entschlossenheit vor dem Tor lebt Harnik seinen Mitspielern vor, er reißt sie mit, auch beim Torjubel. Mit einem ausdrucksstarken Affentänzchen feierte er gemeinsam mit Daniel Ginzcek und Daniel Didavi seinen 2:1-Siegtreffer gegen den HSV, weil Stevens die Spieler Tage davor im Training als Affen beschimpft hatte.

Harnik beendete das Affentheater auf seine Art und Weise, mit subtilem Humor. Denn ganz nachvollziehen konnte der 27-Jährige den verbalen Ausraster seines Trainers ("Auf Niederländisch heißt das irgendwas in Richtung Kinder") nicht. "Wir waren da erst ziemlich sprachlos", erzählte Harnik. Und wer ihn näher kennt, findet seine Sprachlosigkeit verblüffend. "Denn Martin ist nie um einen flotten Spruch verlegen", bekennt VfB-Kapitän Christian Gentner.

In der Tat verkörpert Harnik mit seiner wieder gefundenen Lockerheit all die positiven Eigenschaften, die Stevens - abgesehen von seiner Entgleisung - im Abstiegskampf vorlebt und predigt. "Abstiegskampf muss auch Spaß machen", wiederholt der 61-Jährige wie ein buddhistischer Mönch seine Mantras. Lust auf Fußball und seinen Beruf hat Harnik reichlich. Beispiele gefällig? "Der Trainer ging mir die ganze Zeit auf den Sack und hat mich gefragt, ob es noch geht", sagte Harnik nach dem 2:0 gegen Mainz, um selbst eine erstaunliche Erklärung für seine Kraftreserven in den letzten Minuten zu liefern: "Ich glaube, dass ich sieben Fliegen verschluckt habe. Das war am Ende noch mal ein Eiweißschub."

Weniger kreativ ist Harnik allerdings, wenn es darum geht, die Gerüchte um seine Zukunft zu kommentieren, Schalke und Köln sollen an ihm interessiert sein. Er hat darauf keine Lust und schweigt. Viel lieber spricht er vor dem Spiel in Paderborn darüber, dass der VfB auch in der nächsten Saison weiter in der ersten Liga spielt. "Wir haben die komfortable Situation, dass wir die Sache selbst in der Hand haben. Wir wollen uns jetzt nicht mehr auf andere verlassen und das Ding selber klarmachen", sagt Martin Harnik. Das Toreschießen hat er nun ja reichlich geübt.

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