VfB-Pleite gegen Schalke:Blick in die Tiefen

VfB Stuttgart v FC Schalke 04 - Bundesliga

Christian Gentner: Überrascht von den schnellen Gegentoren

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schon nach 20 Minuten steht es 0:3: Der VfB Stuttgart wird von Schalke 04 überrollt. Das Team von Huub Stevens ist nach dem 0:4 wieder Letzter - ein alter Bekannter ärgert den Niederländer.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Es war gerade eine Viertelstunde gespielt, als Hubertus Jozef Margaretha Stevens sich das erste Mal von seinem roten Sessel erhob. Er stand an der äußersten Ecke der Coachingzone, die jeden Trainer in seiner Bewegungsfreiheit einengt. Er fuchtelte wild mit seinen Armen herum, er schrie auf Moritz Leitner ein, der gerade in seiner Nähe stand. Am liebsten wäre er wohl auf den Platz gerannt und hätte ihn einmal kräftig durchgeschüttelt.

Der neue Cheftrainer des VfB Stuttgart hatte genug gesehen von seinen Spielern gegen den FC Schalke 04 an diesem ungemütlichen Samstagnachmittag. Zu diesem Zeitpunkt lag seine Mannschaft bereits 0:2 zurück. 0:4 (0:3) verlor der VfB Stuttgart das Heimspiel am Ende gegen die Gäste aus Gelsenkirchen, das den Klub wieder auf den letzten Tabellenplatz abrutschen ließ.

Er wollte eigentlich gar nicht so viel mit ihnen reden, hatte der 61-Jährige in diesen Tagen verkündet. "Viel Reden sei nie ein gutes Zeichen." Doch dem Niederländer, der binnen weniger Monate zum zweiten Mal die Schwaben vor dem Abstieg in die Zweitklassigkeit bewahren soll, wird in den nächsten Wochen nicht viel anderes übrig bleiben, als mit seinen Profis den verbalen Austausch zu suchen. Die Spieler scheinen immerhin bereit für Gespräche zu sein. "Wir müssen die endlich mal Leidenschaft und Einsatz zeigen. So wie heute", sagte VfB-Torwart Sven Ulreich, "geht es gar nicht".

Die Verunsicherung ist sehr viel größer als die Anamnese nach dem ersten Kennenlernen und dem überraschenden 4:1-Sieg zuletzt beim SC Freiburg vermuten ließ. Um wirklich zu einem sorgfältigen psychopathologischen Befund gelangen zu können, sind Spiele wie gegen Schalke unerlässlich. Sie öffnen Stevens den Blick in die Tiefen der Seelen seiner Spieler. "Wenn wir so spielen, dann betteln wir um Probleme. Und die haben wir auch bekommen", diagnostizierte Stevens nach dem Spiel, er fügte an: "Vielleicht wollten meine Spieler den Schalkern Geschenke zum Nikolaus verteilen."

Für den FC Schalke war es nach Toren von Eric Maxim Choupo-Moting (1./21./61.) und Maximilian Meyer (10.) fast schon ein Ereignis historischen Ausmaßes. Zum ersten Mal gelang ihnen in der Bundesligageschichte in Stuttgart mehr als zwei Tore, der VfB war S04 in den vergangenen Jahren zu einer Art Angstgegner erwachsen. Gegen keine andere Mannschaft haben die Stuttgarter mehr Heimspiele gewonnen (30). Fünf Jahre mussten die Schalker nun auf den ersten Auswärtssieg warten, es war überhaupt erst der vierte Erfolg in 46 Spielen in der Fremde.

Choupo-Moting lässt Schalke-Fans ausflippen

Und sie mussten sich dabei nicht einmal groß verausgaben, um als Sieger die Arena verlassen zu können. Nicht einmal 60 Sekunden waren gespielt, als VfB-Torhüter Sven Ulreich das erste Mal den Ball aus dem Tor holen musste. Es war eine feine Ironie des Schicksals, dass den Führungstreffer ausgerechnet Tranquillo Barnetta mit einer präzisen Freistoßflanke von der linken Seite vorbereitet hatte, dessen Qualitäten Stevens als Schalke-Trainer stets ignoriert hatte.

Per Hacke bugsierte Choupo-Moting den Ball schließlich über die Linie. Der Schweizer Barnetta war auch Wegbereiter des zweiten Treffers, seinen Querpass nickte Choupo-Moting in den Lauf von Mayer, der nach einer unglücklichen Grätsche von Stuttgarts Innenverteidiger Timo Baumgartl abermals an den Ball kam und ihn schließlich aus spitzem Winkel einköpfeln konnte (10).

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Und der VfB? Schoss sogar auch mal aufs Tor. Schalke-Torhüter Ralf Fährmann musste gar geistesgegenwärtig reagieren, um den Schuss von Sercan Saraer mit der rechten Hand zu parieren (12.). Mehr hatte er aber nicht zu tun in der ersten Hälfte, mit körperbildenden Übungen vertrieb er sich den geruhsamen Nachmittag und durfte anschließend auch noch das 3:0 seiner Mannschaft bewundern, das Choupo-Moting per Kopf besorgte (21.). "Das war mein Gegenspieler, der das Tor gemacht hat. Da muss ich besser aufpassen", sagte Stuttgarts Martin Harnik. Die Klagen über das Stuttgarter Verhalten bei Standardsituationen, sie sind seit Wochen die traurige Belgeitmusik der Stuttgarter Auftritte.

Nach dem Seitenwechsel erinnerten die Schalker Fußballfreunde ihre Spieler an das Gründungsjahr. "0:4 Schalke" schrien sie immer wieder und wollten unbedingt noch einen vierten Treffer ihrer Lieblinge erleben. Und sie wurden erhört. Choupo-Moting ließ mit seinem dritten Tor - wieder per Kopf - die Schalke Fans vollends ausflippen. Die Flanke hatte im Übrigen wieder Barnetta geschlagen. Es schien fast so, als ob sich der bisweilen phlegmatische Mittelfeldspieler fest vorgenommen hatte, sich bei Stevens auf subtile Weise für die einst erlittene Demütigung und die Verbannung auf die Tribüne revanchieren zu wollen.

Der Niederländer hatte allerdings ganz andere Sorgen. In der Schlussphase beobachtete Stevens den biederen und unansehnlichen Auftritt seiner Mannschaft regungslos. Er hatte die Kommunikation zu seinen Spielern längst eingestellt.

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