Vettels vierter WM-Titel:Schneller als sein Team erlaubt

F1 Grand Prix of India - Race

Sebastian Vettel und sein Auto - von niemandem einzufangen.

(Foto: Getty Images)

Mit einer beeindruckenden Aufholjagd beim Rennen in Indien sichert sich Sebastian Vettel vorzeitig den vierten WM-Triumph in der Formel 1. Der 26-Jährige ignoriert sogar die Anweisungen seiner Ingenieure, bitte etwas langsamer zu fahren. Er ist einfach nicht zu stoppen.

Von Johannes Knuth

Die Zuschauer jubelten, als Sebastian Vettel am Sonntagmorgen die Rennstrecke betrat, wenige Minuten vor dem Großen Preis von Indien. Das war durchaus beachtlich. In der jüngeren Vergangenheit hatten die Zuschauer gepfiffen und gebuht, sobald sie Vettel erspähten: Zu dominant, zu rücksichtslos, zu arrogant gegenüber der Konkurrenz, so lautete die Anklage im Publikum. Jetzt also der Jubel, Vettel lächelte kurz, dann schaute er schüchtern auf den Boden. Er hatte noch ein Rennen zu fahren, einen Weltmeistertitel zu gewinnen. Für große emotionale Gesten war jetzt nicht der Moment.

Noch nicht.

Eineinhalb Stunden später rauschte Vettel als Erster über die Ziellinie. Jetzt verspürte er den Drang, den Zuschauern für ihre Unterstützung zu danken, den Druck entweichen zu lassen. Er parkte sein Auto vor der Haupttribüne. Drehte den Boliden wild im Kreis, blauer Rauch stieg auf (was die Rennkommissare später mit 25.000 Euro Strafe ahndeten). Als der Rauch sich legte, stand Vettel bereits auf dem Frontflügel wie eine lebende Statue, warf beide Hände in die Luft. Dann kniete er vor seinem Auto nieder, der "Hungrigen Heidi", wie er sie einst getauft hatte. Hier war jemandem ein ganzer Formel-1-Kurs vom Herzen gefallen.

"Ich hab mir dann gedacht: Weißte was, leck mich! Ich fahre auf die Zielgerade", erklärte Vettel später seinen Ausflug, "es hat sich unheimlich gut angefühlt."

Mit dem vierten WM-Titel in Serie hat sich Vettel nicht nur einen Platz in der Ruhmeshalle des Rennsports gesichert. Vier Titel in Serie, das haben bisher nur die Formel-1-Heiligen Michael Schumacher und Juan Manuel Fangio fertiggebracht, wobei Vettel der jüngste Vierfach-Weltmeister der Formel-1-Historie ist. Vettels viertes WM-Projekt war ja auch von besonderen Kontroversen begleitet gewesen, von Vorwürfen gegen die angeblich faule Konkurrenz ("Die anderen hängen ihre Eier in den Pool") , woraufhin die angeblich faule Konkurrenz mit Liebesentzug reagiert hatte ("Respektlos", sagte etwa Nico Rosberg).

Nach dem Rennen klang das Feedback der Konkurrenz versöhnlicher: "Gigantischer Job, das ganze Jahr über, voll verdient", stammelte Mercedes-Pilot Rosberg. Und Fernando Alonso, der Vettels WM-Party in Indien als letzter hätte verhindern können, sagte pflichtbewusst: "Man muss ihm gratulieren." Der Beste hatte soeben gewonnen, das mussten sie alle anerkennen.

Sebastian Vettel hat in seiner Karriere die Branche mit einigen riskanten Manövern verärgert. Dabei war es in der laufenden Saison eine unaufgeregte Statistik, die Vettels Triumph begründete: Bis auf die Fahrt in Silverstone erreichte der 26-Jährige stets in den Punkten das Ziel, selbst unter schwierigen Umständen, wie in Indien.

"Don't even think about it!"

Vettel war von der Pole-Position gestartet, mit Mühe hatte er den Angriff der Mercedes-Flotte abgewehrt. Doch bereits zwei Runden später rollte Vettel an die Box, er tauschte die mittelharten gegen die weichen Reifen, unerwartet früh. Auch Alonso steuerte die Box an, er war Vettels Teamkollege Mark Webber ins Heck gerauscht, der Frontflügel war beschädigt. Die beiden Titelkandidaten begannen ihr Duell am Ende des Feldes.

"Du fährst nicht gegen die Führenden", funkte der Kommandostand besorgt an Vettel, der 26-Jährige war von nun an auf den Intermediate-Reifen unterwegs, länger als geplant. Deshalb sollte er den Wagen reifendschonend fahren und lediglich darauf achten, Alonso zu kontrollieren. Aber Vettel war die Ansage egal.

Er fuhr die schnellste Runde des Rennens. Noch eine. Und noch eine, die Grafiker im TV kamen mit ihren Einblendungen kaum hinterher. Nach einem Drittel des Rennens hatte sich Vettel auf Rang zwei vorgearbeitet, er war durchs Feld gerauscht, als sei er auf einer für ihn reservierten Spur unterwegs. Alonso kam derweil so schnell voran wie im Berufsverkehr. "Das Auto war phantastisch, die Saison war phantastisch", würde Vettel später sagen. "Es macht so viel Spaß, in dieses Auto zu hüpfen."

Nach zwei Dritteln des Rennens war Vettel auch den letzten Konkurrenten los. Teamkollege Mark Webber war liegengeblieben, die Lichtmaschine. Webber lächelte bitter, dann verschwand er im Fahrerlager. Ein passendes Bild zum nahenden Ende der Dreiecksbeziehung Red Bull-Webber-Vettel. Vettel konnte jetzt nicht einmal mehr ein Defekt stoppen, zu weit hing Alonso zurück.

Der 26-Jährige hätte das Rennen in aller Ruhe ausklingen lassen können. Aber Vettel wollte noch diesen Sieg, die schnellste Rennrunde des Rennens. "Don't even think about it", schallte es in Vettels Kopfhörer, für Red Bull ging es am Sonntag immerhin noch um die Konstrukteurs-WM (die sie mit Vettels Sieg ebenfalls vorzeitig gewannen). Von solchen Befehlen hat sich Vettel noch nie aufhalten lassen. Der Sonntag bildete keine Ausnahme.

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