Vettel vor Großem Preis von Abu Dhabi:Helden mähen nicht Rasen

Red Bull Formula One driver Sebastian Vettel of Germany attends a news conference ahead of the Abu Dhabi F1 Grand Prix at the Yas Marina circuit in Abu Dhabi

Das Privatleben ist tabu: Sebastian Vettel

(Foto: Reuters)

Sebastian Vettel ist ein sympathischer Seriensieger, aber seine Fans bewegt er noch nicht wirklich - zu wenig ist von dem viermaligen Formel-1-Weltmeister bekannt. Nach seinem vierten Weltmeistertitel in der Formel 1 stellt sich die Frage: Ist Vettel mehr als ein Star? Ein Sportheld?

Von Michael Neudecker, Abu Dhabi

Sebastian Vettel war mal bei David Letterman, er ist damals gleich nach dem Rennen in Montréal rübergeflogen nach New York. Bei Letterman hat er eine lustige Geschichte erzählt, sie geht so: Bei seiner Einreise in die USA musste Vettel wie alle Fluggäste durch den Zoll und die üblichen Fragen beantworten, der Beamte fragte ihn, den damals zweimaligen Weltmeister der Formel 1: "Was war der Grund Ihres Aufenthalts in Kanada?"

"Das Formel-1-Rennen", sagte Vettel.

"Und?", fragte der Beamte, "hatten Sie einen schönen Platz?"

"Äh, ja", sagte Vettel, "ich bin gefahren."

Die Geschichte war ein großer Lacher bei Letterman, Sebastian Vettel hat auch gelacht, zwei Jahre ist das nun her. Jetzt ist Sebastian Vettel in Abu Dhabi, es ist sein erstes Rennen, seit er vor einer Woche in Indien zum vierten Mal Weltmeister geworden ist; vier Mal Weltmeister zu werden, ist eine außergewöhnliche Leistung, sein Name steht jetzt neben Fangio, Schumacher, Prost, nur diese drei haben das auch geschafft. Fangio, Schumacher und Prost sind Ikonen, Kultfiguren, genau wie Senna, der dreimal Weltmeister wurde.

Und Vettel?

Er hat auch in Abu Dhabi einige Sponsorenauftritte absolviert, schreibt Autogramme, lässt sich fotografieren, er ist im arabischen Fernsehen in Werbespots zu sehen, und seine Pressesprecherin wird auch in Abu Dhabi von den Anfragen erdrückt, sie geht schnellen Schrittes durch das Fahrerlager, denn langsam gehen kostet Zeit. Das Rennen in Abu Dhabi, das drittletzte der Saison, ist Vettels 118. Rennen, 36 Siege, 59 Podiums, 43 Poles, 1376 Punkte, das sind die Zahlen seiner ja immer noch jungen Karriere, Vettel ist 26. Die Zahlen sind beeindruckend. Aber sonst?

Adrian Newey, der Chef-Designer von Vettels Team Red Bull, hat vor kurzem einen interessanten Satz gesagt, es ging um die Frage, was einen wirklich großen Sportler ausmacht. "Nicht alleine die Anzahl der Siege und der WM-Titel wird für die Größe entscheidend sein", sagte Newey, "sondern etwas nicht Greifbares: Charisma, Aura, menschliche Größe oder etwas, das ich Würde nennen würde."

Charisma, Aura, Würde, Adrian Newey hat offengelassen, ob Vettel all das hat. Newey hat eine hohe Meinung von Vettel, natürlich, Vettel ist der letzte Baustein in einem Gebilde, das er erschaffen hat: Ein Auto, das der Konkurrenz überlegen ist, seit Jahren schon, ganz egal, welche Regeländerung sich der Weltverband einfallen lässt.

Vettel ist der perfekte Fahrer für Neweys Auto, weil er besondere Fähigkeiten besitzt: Er ist trotz fehlender Hochschulbildung imstande, komplizierte technische Prozesse zu verstehen, er hat ein Gefühl für Geschwindigkeit und Straßenlage, er hat ein Gefühl für Maschinen, und er hat eine Menschenführung, die ein Team zusammenschweißt. Nach der Sommerpause hat er allen Frauen, die in der Fabrik des Teams in Milton Keynes arbeiten, Schweizer Schokolade geschickt; das, sagen sie in seinem Umfeld, ist typisch für ihn.

Sebastian Vettel ist viermaliger Weltmeister, er ist der Star in Abu Dhabi, aber da ist nun auch diese Frage, die hier überall in der drückend heißen Luft umherfliegt: die Frage, ob er mehr ist als ein Star, mehr als ein viermaliger Weltmeister. Ein Held, einer, der die nächste Ebene erreicht hat. Die Ebene, die über den Zahlen liegt.

Adrian Newey ist diese Frage nicht gestellt worden, er würde sie nicht beantworten wollen. Die Antwort wäre: eher nein.

Qualitätsfetischisten in klinischer Ausprägung

Helden werden nicht geboren, sie entstehen. Boris Becker ist schon mit 17 auf diese höchste Ebene gesprungen, als er als erster Deutscher Wimbledon gewann. Franz Beckenbauer hat dem Land zwei Fußball-Weltmeistertitel geschenkt, als Spieler und als Trainer, Max Schmeling hat sich aus einfachen Verhältnissen nach oben geboxt und Joe Louis besiegt, einen Amerikaner, der als unschlagbar galt. Becker, Beckenbauer und Schmeling haben nicht einfach einen Wettkampf gewonnen, nicht einfach beeindruckende Zahlen geliefert. Sie haben die Menschen bewegt.

In Abu Dhabi ist Sebastian Vettel oft gefragt worden, was er in der Woche nach seinem historischen Rennen in Indien getan habe. Er habe sich erholt von der Feier am Sonntag, hat Vettel erzählt, er sei zu Hause gewesen auf seinem Bauernhof in der Schweiz und habe Zeit mit seiner Freundin verbracht, und: "Die meisten Leute werden sich jetzt kaputtlachen: Ich hab' ein bisschen Rasen gemäht."

Sebastian Vettel ist oft witzig, er beantwortet geduldig jede Frage, auch in Abu Dhabi ist er bei jeder Fragerunde der letzte der Fahrer, der geht, er ist sympathisch und intelligent. Er ist der nette Weltmeister, den sie am Zoll in Amerika für einen Fan halten.

Er ist: der Weltmeister, der zu Hause den Rasen mäht. Mähen Helden Rasen?

Nichts, an dem sich die Menschen festhalten können

Vettel sagt: "Es ist nicht so gesund, so viel über sich nachzudenken. Deshalb versuche ich einfach, meinen Job zu machen." Er macht ihn besser als die anderen, im Fahrerlager respektieren sie ihn deshalb. Aber er ist auch Teil des Systems Red Bull, einer Marke, über deren Erfolgsgeheimnis Gründer Dietrich Mateschitz neulich der Welt sagte: "Wir sind Qualitätsfetischisten in nahezu klinischer Ausprägung."

Es verhält sich mit Sebastian Vettel wie mit Red Bull: Es gibt nichts, an dem sich die Menschen festhalten können. Weil, von seinem engsten Umfeld abgesehen, in dem der fast 50-jährige Vorarlberger Hotelbesitzer Joschi Walch eine wichtige Rolle spielt, niemand weiß, wer Sebastian Vettel wirklich ist. Er will es so.

Vor einer Woche, in Indien, gab Vettel drei Journalisten ein Interview, in dem er am Ende auch über seinen Hund sprach, es hat sich so ergeben, weil einer der Journalisten einen Hund der gleichen Rasse hat. Aber dann wies seine Sprecherin auf Vettels Wunsch die Journalisten darauf hin, dass er nicht möchte, dass geschrieben wird, dass er einen Hund hat. ESPN hat die ganze Sache belustigt "Dog-gate" genannt, aber für Vettel war das kein Spaß. Sein Privatleben ist tabu, so sieht er das, und sein Privatleben fängt mindestens beim Hund an.

Sebastian Vettel mag es nicht, wenn man ihn mit Michael Schumacher vergleicht, aber in dieser Hinsicht sind die beiden sich ähnlich. Wenn das Drehkreuz am Eingang des Fahrerlagers aufgeht, baut Vettel eine Art Schild um sich herum auf, er ist dann nur noch Vettel, der Rennfahrer. Schumacher ist trotzdem zum bewunderten Helden geworden, weil er der erste Deutsche war, der Formel-1-Weltmeister geworden ist, und danach noch sechs weitere Male. Schumachers Zahlen sind nun wie ein Gefängnis für Vettel, er muss sie durchbrechen, wenn er das will, was alle Rennfahrer wollen: der Beste sein.

Muss er ein Held sein? Will er das?

Becker, Beckenbauer, Schmeling?

Sebastian Vettel freut sich, wenn er in einem Satz mit solchen Legenden genannt wird, aber ansonsten, findet er, ist er von ihnen noch weit, weit entfernt. Er ist so, wie er sein will, sagen sie in seinem Umfeld: Ein ganz normaler Serienweltmeister.

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