Formel 1:Unter Druck baut Vettel zu oft Mist

Formel 1 - Sebastian Vettel nach dem Großen Preis von Silverstone 2019

Fuhr Max Verstappen ins Heck: ein enttäuschter Sebastian Vettel

(Foto: Getty Images)
  • In Silverstone saust Sebastian Vettel Max Verstappen hinten ins Heck.
  • "Das geht auf meine Kappe", sagt der Ferrari-Pilot nach dem Rennen.
  • Es könnte schon der Crash seiner Titelhoffnung gewesen sein. Zum wiederholten Mal.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Die Unfallaufnahme ist schnell beendet, es gibt wenig Diskussionen über die Schuldfrage, der Verursacher ist voll geständig. Wer auffährt, ist der Dumme, das ist in der Formel 1 nicht anders als in einer Zone 30. Direkt nach dem Großen Preis von Großbritannien, den Sebastian Vettel nach seinem Crash mit Max Verstappen im Kampf um Platz drei nur als Drittletzter beendet, fügt sich der Ferrari-Pilot in die Sünderrolle: "Das geht auf meine Kappe." So sagt er es dem Niederländer entschuldigend, so sagt er es der BBC, es wird zum erklärenden Mantra eines Enttäuschten.

Später, als er in der Fahrerlagerburg seines Rennstalls noch einmal das zehnte Rennen der Saison reflektieren soll, herrscht kurz Aufregung: Die Kappe ist weg. Nicht die imaginäre, sondern die richtige, ein Pflichtbekleidungsstück. Als Vettel sie noch rechtzeitig vor der öffentlichen Beichte aufsetzen kann, scheinen die Geschehnisse von der Rennstrecke fast Nebensache zu sein. Vettel wird von links gefragt und antwortet mit Blick nach rechts, wo die Wimbledon-Übertragung läuft. Es ist jene Phase des letzten Satzes, als Roger Federer drauf und dran ist, zu gewinnen. Dann wird die digitale Wand plötzlich schwarz. Vettel kann sich nur noch selbst spiegeln, wenn auch schwach.

Der beste Grand Prix der bisherigen Saison

Die Frager aber sind immer noch in der ominösen 37. Runde, auch wenn es im besten Grand Prix der bisherigen Saison spektakulärere Szenen gegeben hat. Doch für den 32-Jährigen geht es um mehr als nur ein Missgeschick. Es könnte schon der Crash seiner Titelhoffnung gewesen sein. Zum wiederholten Mal.

100 Punkte Rückstand in der WM auf den Tabellenführer Lewis Hamilton, das sind vier Siege Rückstand bei noch elf Rennen. Und jetzt kommt Hockenheim. Im badischen Motodrom begann vor einem Jahr die Fehlerserie, als Vettel in Führung liegend auf nasser Strecke von der Piste rutschte und Rivale Hamilton von Rang 14 aus zum Triumph fuhr - und anschließend gleich durch zum fünften Titel. "Ein kleiner Fehler mit großen Auswirkungen", erinnert sich Vettel, "das hat sehr wehgetan." Lädierte Frontflügel kann man austauschen, die Seele eines Rennfahrers nicht, von den Auswirkungen auf die Stimmungslage eines Teams ganz zu schweigen. Vettel besitzt seinen eigenen Verdrängungsmechanismus, den er jetzt wieder aktivieren muss. "So ist das mit dem Rennfahren", sagt er, "so wunderschön es sein kann, so grausam ist es manchmal."

In der Begründung der Rennkommissare, die ihm zehn Sekunden Zeitstrafe und zwei Strafpunkte aufbrummten, liest sich der Vorfall distanziert: "Beim Auto mit der Startnummer fünf blockierten die Vorderräder während des Bremsvorgangs. Deshalb krachte es ins Heck des Autos mit der Startnummer 33." Vettel hatte sich beim Versuch, im Kampf um Platz drei wieder am Red-Bull-Honda vorbeizukommen, einfach beim Spurwechsel und beim Bremsen verschätzt: "Das war schon doof. Ich sah eine Lücke, wo dann keine mehr war. Ich habe mein Rennen selbst zerstört." In den Gesamtzusammenhang gesetzt, bleibt als Fazit: Unter Druck macht der viermalige Weltmeister zu viele Fehler. Was wieder zum vergangenen Sommer in Hockenheim führt. Ein fataler Kreisverkehr.

Wird die Vettel-freundliche Stallorder gelockert?

Ähnlich große Auswirkungen wie in der WM-Tabelle, in der Vettel jetzt Vierter ist, hat das Ergebnis auch im Binnenverhältnis. Zum dritten Mal in Serie lag sein Teamkollege und Widersacher Charles Leclerc vor ihm, bis auf drei Pünktchen ist der Monegasse an den bei Ferrari vor Saisonbeginn an Nummer eins gesetzten Deutschen herangekommen. Leclercs Duell mit Verstappen war über zehn Runden hinweg die packendste Auseinandersetzung des Rennjahres. Aus allem zusammen schöpft der 21-Jährige die Hoffnung, dass die Scuderia die Vettel-freundliche Stallorder lockert oder vielleicht ganz aufgibt. "Zu Beginn der Saison hat Sebastian mehr profitiert, aber ich denke, es wird immer alles mit Blick auf das Wohl des ganzen Teams entschieden", antwortet Leclerc höflich - und dennoch fordernd - auf die Frage nach einer Wachablösung.

In Italien verschieben sich die Sympathien schon seit Vettels Patzer im Duell mit Hamilton im zweiten Rennen des Jahres in Bahrain mehr und mehr in Richtung des Junior-Partners. Das erzeugt zusätzlichen Druck für Teamchef Mattia Binotto, der sagt, dass er an Vettel glaubt.

Leclerc kommt mit dem SF 90 H besser zurecht als Vettel, der vor allem über eine nervöse Hinterachse klagt, die einfach nicht zu seinem Fahrstil passen mag. Die Schwierigkeiten erinnern stark an Vettels Abschiedsjahr bei Red Bull Racing, als dieser sieglos geblieben war und das Nachsehen gegen das Talent Daniel Ricciardo hatte - am Ende der Saison wechselte er frustriert zu Ferrari. Einen Vergleich, den er selbst für nicht zulässig hält. Insgesamt sei er nicht in Sorge, behauptet Vettel. Aber man spürt förmlich, wie der Misserfolg an ihm nagt. Gebeten, seine bisherige Saison in einem Wort zu beschreiben, lässt er sich das prägnante "Sch..."-Wort nicht in den Mund legen. Er grinst die Versuchung weg und sagt dann: "Schwierig." Vom Tonfall her macht das aber keinen Unterschied.

Bloß keine Sentimentalitäten

Vielleicht tut es Vettel gut, dass ihn wenigstens sein Widersacher Lewis Hamilton noch nicht abschreiben will: "Sebastian ist einer der Großen dieses Sports. Er wird stärker zurückkommen, davon bin ich überzeugt. Denn das machen großartige Athleten so." Der Triumphator, der auf dem besten Weg ist, jene Rekordmarken zu setzen, die Vettel sich mit Ferrari erhofft hatte, vermisst den direkten Zweikampf mit dem WM-Vierten allerdings nicht. Bloß keine Sentimentalitäten: "Für so etwas bin ich nicht der Typ. Ich vermisse eher meine Hunde und solche Dinge."

Umgekehrt ist die Sehnsucht eine deutlich größere. Hamilton kann minutenlange Monologe darüber halten, welch unglaubliches Vertrauen er in seinen Rennwagen und sein Team habe, und wie dieses sein eigenes Selbstwertgefühl beeinflusst. Das Bewusstsein bei Vettel ist ein anderes: Er spürt, dass es jetzt vor allem auf ihn selbst ankommt. Alles auf eine Kappe.

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