Vettel sorgt für Sensation in Monza:Er denkt mit dem Auto

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Der überraschendste Motorsport-Erfolg dieses Jahrzehntes: Der Deutsche Sebastian Vettel gewinnt in Monza - und will nun versuchen, trotz des Coups auf dem Boden zu bleiben.

René Hofmann

Es sah aus wie ein Kinderspiel. Links und rechts staubte dichte Gischt auf vom nassen Autodromo Nazionale. Im Rückspiegel war verschwommen Heikki Kovalainens McLaren-Mercedes zu erkennen, vorne kein anderes Auto. Die Kamera im Cockpit zeigte, womit sich Sebastian Vettel bei mehr als Tempo 300 die Zeit vertrieb: Er nahm erst die linke Hand vom Lenkrad und wackelte mit den Fingern, dann die rechte.

Champagner für den Sieger: Sebastian Vettel triumphiert in Monza. (Foto: Foto: Reuters)

Fast sah es so aus, als müsste der 21-Jährige auf der wilden Jagd zum überraschendsten Motorsport-Erfolg in diesem Jahrzehnt damit kämpfen, dass ihm die Gliedmaßen nicht einschlafen. Sebastian Vettel aus Heppenheim hat am Sonntag sein erstes Formel-1-Rennen gewonnen. Den traditionsreichen Großen Preis von Italien. In einem Toro Rosso. Die bisher beste Platzierung für ein Auto dieser Marke war ein vierter Platz. "Großartig, fantastisch, ich bin sprachlos", sagte Vettel nach der Champagner-Dusche mit Kovalainen und BMW-Pilot Robert Kubica: "Das ist so viel besser, als man es sich vorstellt. Das ist der beste Tag meines Lebens."

"Glückwunsch, ein sensationeller Sieg", gratulierte Mercedes-Sportchef Norbert Haug. "Unglaublich. Da kann man nur die Kappe ziehen", lobte der dreimalige Weltmeister Niki Lauda: "Das war kein Glück. Sebastian hat von Freitag an alles richtig gemacht. Ich kann mich an keine größere Überraschung erinnern, bei der alle ähnlich mitgefiebert haben, weil es der Kleine ist, der Außenseiter, mit dem niemand rechnet."

Die Hilfe des Regens

"Das war ein außergewöhnliches Rennen mit ziemlich viel Chaos und ziemlich vielen Positionswechseln. Nur einer hat sich bravourös aus allem herausgehalten", fand Michael Schumacher, der Vettel seit langem kennt: Die beiden treten im gleichen Kartklub an. Einige der Trophäen, die Vettel auf den kleinen Flitzern einfuhr, hat er von Schumacher überreicht bekommen. Kein Wunder, dass der Vettel trotz seiner Rolle als Ferrari-Berater auf den letzten der 53 rutschigen Runden, "die Daumen drückte, dass er es auch nach Hause fahren kann". Vettel konnte.

Bei seinem Coup kamen ihm die Bedingungen zur Hilfe. In den letzten 50 Jahren hatte Regen beim Großen Preis von Italien keine Rolle gespielt. In diesem Jahr spielte er eine große. Zwei der drei Trainingssitzungen waren verregnet. In der Qualifikation am Samstag hatte es zunächst geprasselt, dann getröpfelt, dann wieder geprasselt. Mit bangen Blicken verfolgten die meisten die sich ständig wechselten Mustern auf dem Wetterradar. Der WM-Führende Lewis Hamilton kam dabei ebenso durcheinander wie sein Ferrari-Widersacher Kimi Räikkönen. Beide blieben in der zweiten Qualifikationsrunde hängen und durften lediglich als 14. und 15. an den Start.

Hamilton hätte es am Sonntag trotzdem weit bringen können. Wild entschlossen stürmte er bis zu seinem ersten Boxenstopp auf den zweiten Platz vor. Der McLaren-Fahrer hätte die Wettfahrt wohl gewonnen, wenn die Wettervorhersage eingetreten wäre. Die sagte für die Zeit des Rennens voraus: Prasseln, Tröpfeln, Prasseln. Weil daraus aber ein Prasseln-Tröpfeln-Abtrocknen wurde, sah Hamilton nach Zweidritteln der Distanz mit seinen Regenreifen schlecht aus.

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Er musste erneut stoppen und sich andere Pneus aufziehen lassen. Vettel hatte von vorneherein zwei Ausflüge an die Box eingeplant und seinen Heckflügel recht flach stellen lassen, womit er auf den langen Geraden extrem schnell unterwegs war, als der Regen nachließ. "Ich habe noch nie ein Rennen erlebt, das so glatt lief", gab er hinterher an: "Ich hatte überhaupt keine Probleme mit dem Auto."

Im vergangenen Jahr war er in Indianapolis der jüngste Pilot gewesen, der je einen WM-Punkt holte - als Ersatz nach dem Unfall von Robert Kubica in Kanada wurde Vettel auf Anhieb Achter für BMW. Die Referenz brachte ihm kurz darauf eine Anstellung bei Toro Rosso ein, dem Nachwuchs-Team, das der österreichische Red-Bull-Erfinder Dietrich Mateschitz zusammen mit dem ehemaligen Grand-Prix-Piloten Gerhard Berger betreibt. Der sagt: "Sebastians Talent war früh zu erkennen. Am Anfang der Saison hat ihm pro Runde aber noch eine halbe Sekunde gefehlt. Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell, so viel besser wird."

Alonso abgelöst

Am Samstag hatte sich der Schnell-Lerner in Monza einen weiteren Rekord geholt: Er war der bisher jüngste Pilot auf dem besten Startplatz. In seinem 22. Formel-1-Rennen durfte Vettel im Alter von 21 Jahren und 72 Tagen zum ersten Mal ganz nach vorne. Die Bestmarke zuvor hatte Fernando Alonso 2003 in Malaysia aufgestellt: 21 Jahre und knapp 240 Tage. Michael Schumacher war vier Jahre reifer und hatte schon 41 Rennen hinter sich, als er 1994 in Monte Carlo zum ersten Mal als Erster an die Startampel durfte. Frühe Erfolge gelten in der Serie als Beleg für ein herausragendes Talent.

"Ich finde es vermessen, wenn ich mit Michael Schumacher verglichen werde", sagt Vettel, dessen Vater Norbert die Motorsport-Karriere des Sohnes im Alter von drei Jahren begründete, als er nach einem Ausflug auf die Kartbahn ein Zwei-PS-Spielzeug anschaffte. Inzwischen wohnt Vettel junior, der sich selbst managt, seit einiger Zeit in Walchwil in der Schweiz. "Egal, was jetzt auch passiert, ich werde beide Füße auf dem Boden behalten", versicherte Vettel noch in der Stunde des Triumphes: "Ich werde bestimmt nicht zum nächsten Rennen in zwei Wochen nach Singapur fliegen und sagen: ,Hier kommt der Held!'"

Dass er das Zeug hat, ein ganz Großer seines Faches zu werden, bestreitet allerdings kaum einer. "Er denkt mit dem Auto", sagt Niki Lauda. "Es kann in die Richtung gehen", sagt Michael Schumacher, wenn er gefragt wird, ob Vettel einmal Weltmeister werden kann: "Jetzt müssen wir aber erstmal schauen, dass er auch im Fußball ein bisschen besser wird."

© SZ vom 15.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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