Formel 1:Vettel berauscht sich am neuen Motor

Formel 1: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel auf dem Siegerpodest nach dem Großen Preis von Kanada 2018.

Sebastian Vettel genießt nach dem Großen Preis von Kanada das Ende einer beschwingten Woche.

(Foto: AFP)
  • Sebastian Vettel gewinnt in Montreal und ist nun wieder WM-Führender in der Formel 1 vor Lewis Hamilton.
  • Der Brite hatte am Mittwoch von Mercedes erfahren, dass sein Team im Vergleich zur Konkurrenz erst später neue Motoren bekommt.
  • Doch allein am Motor hat Vettels Triumph in Kanada nicht gelegen, zumal Hamiltons Team-Kollege Valtteri Bottas auf Rang zwei, also drei Plätze vor Hamilton, landete.

Von Philipp Schneider

Die Stimme von Lewis Hamilton knarzte gut hörbar im Boxenfunk, 34 von 70 Runden waren gefahren in Montréal. Dazu muss man wissen, dass niemand bei Tempo 300 so lässig funken kann wie der viermalige Weltmeister aus England. Hamiltons Stimmlage zeigt dann einen Grad an innerer Erregung, den andere Menschen haben, wenn sie nach Feierabend in der warmen Badewanne liegen und Pink Floyd hören. "It's Hammertime", funkten die Mercedes-Ingenieure zur Bestätigung an Hamilton zurück, und an normalen Renntagen sorgt dieser Satz bei den Konkurrenten für Grausen. Hammertime ist so etwas wie Hamiltons persönliche Bezeichnung für jene innere Gemütslage, in die er sich versetzt, bevor er, meist im Qualifying, eine neue Bestzeit auf die Strecke setzt. Am Sonntag aber bewirkte die Reminiszenz an Hamiltons maximales Leistungsvermögen kein Grausen, sondern amüsierte Verwunderung. Schließlich stritt der sich gerade nicht etwa mit seinem WM-Konkurrenten Sebastian Vettel um den Rennsieg. Er duellierte sich mit Kimi Räikkönen. Um Platz fünf.

Vettel dagegen rollte 36 Runden später ziemlich lässig als Erster über die Ziellinie, nach einem berauschenden und zu keiner Zeit gefährdetem Start- und Zielsieg. Beziehungsweise nach 35 Runden. Weil das kanadische Model Winnie Harlow - als eine Art Maskottchen - die Zielflagge schwenken durfte, und sie diese bereits eine Runde zu früh schwenkte. Kein Witz. Auswirkungen auf das Ergebnis hatte das nicht. "Grazie, Grazie, Grazie Ragazzi!", rief also Vettel seinen italienischen Teamkollegen zu, 14 Jahre nachdem ein von Michael Schumacher gelenkter Ferrari in Kanada der Schnellste gewesen war.

Es war der 50. Rennsieg in der Karriere des viermaligen Weltmeisters aus Heppenheim, oder wie sie nun in ganz Italien rufen werden: Il Cinquanta! Hamilton wurde Fünfter, hinter seinem Teamkollegen Bottas und den Red Bulls von Max Verstappen und Daniel Ricciardo. Für Vettel genügte all dies, um nach dem siebten von 21 Rennen wieder die Führung in der Gesamtwertung zu übernehmen. Mit einem Punkt Vorsprung vor Hamilton. Und wenn man so will, ging für den Engländer eine leidige Geschichte zu Ende, die am Mittwoch begonnen hatte.

"Es ist nun schon das siebte Rennen mit dem selben Motor", klagt Hamilton

Am Mittwoch hatte sich Mercedes für eine Schludrigkeit entschuldigen müssen. Eigentlich hätten die Rennwagen in Kanada neue Motoren erhalten sollen, der neue und verbesserte Antrieb wird nun aber erst in zwei Wochen beim Rennen im französischen Le Castellet geliefert werden. Als Grund wurden "Qualitätsprobleme" genannt, offenbar waren am Kurbelgehäuse Abweichungen um Winzigkeiten festgestellt worden. Ferrari dagegen verbaute in dieser Woche planmäßig einen neuen Motor in Vettels Dienstwagen und verhalf ihm damit am Samstag in der Qualifikation zu einer Rekordzeit auf dem 4,3 Kilometer langen Circuit Gilles Villeneuve.

Mit einem neuen Motor in Kanada zu starten, während der größte Konkurrent noch mit dem alten unterwegs ist, ist nicht etwa zu vergleichen mit der Freude eines Radfahrers bei der Tour de France, der sich als einziger von einem E-Bike den Mont Ventoux hochschieben lässt. Das nicht. Aber ganz nett ist es schon.

Entsprechend schlecht gelaunt war Hamilton, als ihm Mitte der Woche dämmerte, dass Konkurrent Vettel in einem kräftigeren Auto in ein höchstwahrscheinlich beschwingteres Wochenende starten würde. "Es ist nun schon das siebte Rennen mit dem selben Motor", klagte Hamilton. "Mit steigender Laufleistung verliert man immer mehr Power. Auf einem Kurs wie Montreal sind die negativen Auswirkungen dann umso größer."

In der Tat fallen einem nicht viele Rundkurse ein, auf denen sich ein Fahrer mehr an überlegener Motorenleistung erfreuen kann als auf jenem auf der Ile Notre-Dame. Nirgendwo wird härter gebremst, und auf den vielen langen Geraden lässt es sich vortrefflich überholen.

Platz vier ist für Hamilton in der Regel eine Bestrafung

Aus Hamiltons Sicht noch ärgerlicher als die Warterei auf den neuen Motor dürfte allerdings gewesen sein, dass sein Teamkollege Bottas mit dem alten schneller kreiste als er. Und dass sich im Qualifying auch noch Verstappen im Red Bull zwischen ihn und Vettels roten Wagen schob. Platz vier ist für Hamilton in der Regel kein Startplatz, sondern eine Bestrafung.

Eine der spannenderen Fragen vor dem Start war, welche Rolle die Reifenwahl der Teams spiele würde. Während Ferrari und Mercedes auf Ultrasoft-Reifen starteten und den zweiten Teil des Rennens mit dem Supersoft-Gummi über die Bühne bringen wollten, riskierten Verstappen und Ricciardo, die ebenfalls einen neuen Motor in Kanada präsentierten, den Start auf den Hypersoft-Reifen. Das sind die weichsten, schnellsten, aber auch verschleißträchtigsten Reifen. Die Frage war also: Wie lange würden die Reifen der Red Bulls halten? 14 bis 15 Runden müssten sie schon stabil bleiben, damit die Strategie aufgehen würde, rechnete Red Bulls Teamchef Christian Horner vor. Ansonsten müssten Ricciardo und Verstappen mehr als einmal an ihren Versorgungsstation halten.

Weiter hinten gerieten Lance Stroll und Brendon Hartley aneinander

Vettel kam gut weg von der ersten Pole Position für Ferrari in Kanada seit der von Michael Schuhmacher 2001. Am besten aber Verstappen, der sich gleich in der ersten Kurve auf die Höhe von Bottas schob. Irgendwann merkte der Holländer, dass es zum Überholen nicht reichen würde, und siehe da: Er zog zurück. Auf unveränderten Positionen gingen die Führenden durch die ersten Kurven, weiter hinten gerieten Lance Stroll und Brendon Hartley aneinander: Stroll drückte mit seinem Williams Hartleys Toro Rosso an die Bande, der hob ab und landete direkt vor dem Williams, es war ein Abflug der wilderen Art, der auch schlimmer hätte ausgehen können. Hartley und Stroll ließen sich nach dem Crash im Medical Center untersuchen, Hartley wurde für weitere medizinische Tests ins Krankenhaus von Montreal geschickt. "Der Kerl hat mich von der Straße gedrückt", funkte Hartley auf der Strecke verärgert, und es gab niemanden, der ihm da widersprechen wollte. Das Safety Car rückte aus; und nachdem es wieder losgegangen war, drehte Vettel regelmäßig die schnellsten Runde. Nach zehn Umdrehungen betrug sein Vorsprung auf Bottas schon 3,2 Sekunden.

Vettels Dominanz war frappierend, immer weiter enteilte er dem Rest des Feldes, nach 16 Runden betrug sein Vorsprung auf den viertplatzierten Hamilton schon zehn Sekunden. Allerdings klagte der Brite auch im Funk über Leistungsverluste. Verstappen und Hamilton bogen als erste Fahrer aus der Spitzengruppe an die Box, Verstappen, weil er seine weichen Reifen los werden wollte, Hamilton, um seinen offenbar heiß gelaufenen Motor zu kühlen. Ricciardo hielt erst eine Runde später - und als er wieder auf die Strecke bog, war er vorbei an Hamilton.

"Wir fahren auf Plan B", funkte die Scuderia an Vettel. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht klar, was gemeint sein könnte. Nach 30 von 70 Runden waren nur Vettel, Bottas und Räikkönen, die ersten drei, noch nicht an der Box. Bottas und Vettel fuhren dann als Letzte an ihre Garagen, an der Reihenfolge änderte sich nichts mehr. Verstappen fuhr vier Runden vor Schluss sehr dicht heran an den zweitplatzierten Bottas, Hamilton setzte sich fest im Heck von Ricciardo. Vorbei kam er, Hammertime hin oder her, nicht mit seinem alten Motor.

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