Sebastian Vettel:Die Ein-Mann-Windmaschine

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Endlich mal kein Desaster: Sebastian Vettel freut sich über Platz zwei in Hockenheim. (Foto: AFP)
  • Beim Regenrennen auf dem Hoffenheimring beweist Sebastian Vettel, welch fantastischer Fahrer er ist.
  • Vettel profitierte bei seiner Fahrt von Platz 20 auf zwei von der richtigen Taktik. Er traute sich als erster Spitzenfahrer den Wechsel auf Trockenreifen zu - und hatte mit seinen Entscheidungen teils sein Team überstimmt.
  • Vettel trug mit seiner Leistung auch ein sehr überzeugendes Argument vor, weswegen er noch immer derjenige ist, auf den Ferrari setzen sollte.

Von Philipp Schneider, Hockenheim

Man weiß es ja nicht, vielleicht ist alles Zufall, auch Sebastian Vettel wird diesen irren Rennverlauf unmöglich vorhergesehen haben. Oder etwa doch?

Samstagnachmittag am Hockenheimring. In der Formel 1, und das gilt überall auf der Welt, werden im Anschluss an die Darbietungen auf der Strecke kleine Karrees aus mobilen Zaunelementen geformt. Inmitten dieser Vierecke stehen dann die Fahrer, und von außerhalb strecken ihnen Reporter ihre Mikrofone über die Absperrung entgegen. Die armen Fahrer sehen manchmal so aus, als wären sie in dieser Umzäunung gegen ihren Willen eingepfercht, was natürlich nicht stimmt. Niemand aber hätte es Vettel übel genommen, wäre er am Samstag ausgebüchst, hätte den Zaun gequert mit einem Hocksprung. Und dann auf nimmer Wiedersehen.

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Die Qualifikation im Deutschland-Grand-Prix bedeutete für Vettel den Tiefpunkt in einer von Tiefpunkten gesättigten Saison. Und es war nicht seine Schuld. Ein Defekt am Turbo, keine einzige gewertete Runde, Startplatz 20. Beim Heimrennen! Obwohl die Ferraris in der Hitze von Hockenheim zuvor so rund gelaufen waren, dass Vettel sich zu Recht Hoffnung auf die Pole Position gemacht hatte. Und nun? Technisches Versagen auch bei Teamkollege Charles Leclerc, Platz zehn. Vettel stand also im Karree, gab allerlei Mürrisches von sich. Er war schon so gut wie weg, als ihm der Reporter vom Bayerischen Rundfunk noch eine Frage nachrief:

Ob sich denn die allerorten beliebte Vettel-Kritik nicht allmählich mal gegen jemand anderen richten müsse bei Ferrari? Vettel blieb stehen. Die Frage gefiel ihm, er überlegte. Drei, vier Sekunden. "Der Wind dreht sich schnell", antwortete er.

"Das Auto kam richtig zum Leben", sagte Vettel - und schoss von Platz 20 auf Rang zwei

Welcher Wind? Vettels Satz ließ sich gleich auf mannigfaltige Weise interpretieren. Meinte er den Wankelmut der Kritik in der Formel 1? Heute noch steht der Fahrer am Pranger, ein paar defekte Teile später aber der Teamchef Mattia Binotto, der auch Technikchef ist? Oder hob Vettel mal wieder ab auf eines seiner liebsten Themen? Es lautet: Macht nicht immer so viel Alarm, im Rennsport dauert die Entwicklung zu einem Spitzenteam halt sehr lange. In jedem Fall drehte sich der Wind.

24 Stunden später war Vettel vorgeblasen, von Platz 20 auf Rang zwei, und er war dafür ganz allein verantwortlich. In einem Rennen unter widrigsten Umständen, in dem der Regen mal stärker fiel, mal wenig stark, in dem die Rennstrategen Meteorologen sein mussten, die Piloten gezwungen waren, immer wieder zwischen profillosen und profilierten Reifen zu wechseln, in dem es reihenweise Ausrutscher gab und vier Einsätze des Safety Cars, da war Vettel der einzige Pilot aus dem Kreise der Spitzenfahrer, dem kein Fehler unterlief. Jener Vettel, der sich oft den Vorwurf anhören musste, er begehe ständig Fehler unter Druck. Dafür unterlief ihm nun kein einziger Fehler unter Extrembedingungen.

Max Verstappen? Startete als Zweiter, gewann das Rennen. Aber er verlor auf Trockenreifen die Kontrolle, drehte sich um 360 Grad, fing seinen Red Bull zumindest sehenswert ab. "Ich kann nun sagen, es war ein Dreher für die Galerie", sagte er. Lewis Hamilton? Rammte seinen Frontflügel auf Höhe des Boxeneingangs gegen die Mauer. Dann bog er ab zu seinen Technikern, fuhr die Box aber nicht regelkonform an und erhielt dafür eine Fünf-Sekunden-Strafe. "Das ist wohl der schlechteste Tag, den ich seit sehr, sehr langer Zeit hatte", sagte er. "Es war mein Fehler, und Fehler sind menschlich."

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der Mensch Hamilton seit Samstag mit Halsschmerzen gequält hatte und diese Erkrankung nach dem Rennen auch sehr offensiv und nicht gerade beiläufig thematisierte. Kein Vorwurf. Valtteri Bottas? Flog ab, sieben Runden vor Schluss. Charles Leclerc? Ließ seinen Ferrari aus einer Kurve ins Kiesbett trudeln, dort versanken die Reifen, wirbelten Steinchen auf, Leclerc schrie und hämmerte seine Fäuste aufs Lenkrad. Er gab zunächst dem Asphalt die Schuld, der Grip habe gefehlt. Vettels Teamkollege ist 21 Jahre alt, es war sein erstes Regenrennen in der Formel 1. Er wird dazulernen, lernt ohnehin schnell. Er korrigierte sich: Keinesfalls habe er dem Asphalt die Schuld geben wollen! Dennoch: Im Kies steckte diesmal Leclerc, nicht Vettel. Und am Ende dieses irren Tages am Hockenheimring hatte Vettel der Welt bewiesen, welch fantastischer Fahrer er ist. Sie müsste es wissen. Niemand wird viermal Weltmeister, nur weil sein Auto etwas spritziger läuft.

Vettel trat am Sonntag an mit dem Mut des Beneidenswerten, der sich nur verbessern kann. "Ich wusste: Von ganz hinten kann ich nichts verlieren, und im Regen kann alles passieren", kündigte er an. "Aber dann war das Rennen noch verrückter, als ich erwartet hätte!" Vettel profitierte von der richtigen Taktik, er traute sich als erster Spitzenfahrer den Wechsel auf Trockenreifen zu. Binotto gab sogar zu, dass Vettel das Team mit seinen Entscheidungen teils überstimmt hatte. Die vielen Unterbrechungen und Safety Cars ließen Vettel immer wieder die Lücke nach vorne schließen. Und nach einem finalen Wechsel in der 47. Runde auf Trockenreifen fuhr er wie enthemmt. "Das Auto kam richtig zum Leben", sagte Vettel. Mit dem von ihm selbst erweckten Auto schoss er vorbei an sechs Kollegen, nur Verstappen rettete sich gerade noch vor Vettel ins Ziel. Von Zwanzig auf eins? Viel fehlte nicht. Gerade einmal 7,3 Sekunden. Eine Fahrt für die Motorsportgeschichte war es auch so.

Werden die Diskussionen um Vettels Zukunft bei Ferrari verstummen? Die Debatten, ob ihm der Status als Nummer eins nicht besser jetzt schon entzogen und an seinen jungen Kollegen übergeben werden sollte? Vermutlich nicht. Aber es ist auch so: Wäre diese Saison ein klassisches Drama, dann dürfte man das elfte von 21 Rennen auf dem Hockenheimring als das sogenannte retardierende Moment bezeichnen. Jenen Augenblick der letzten Spannung im Handlungsverlauf, in dem sich der Leser fragen darf: Wird der Held etwa doch noch einmal gerettet? Der Held dieser Geschichte ist noch immer Sebastian Vettel, ein viermaliger Weltmeister, der vor fünf Jahren auszog bei Red Bull, um dem edelsten aller Rennställe den ersten Titel seit 2007 zu bescheren. In den Pfützen am Hockenheimring hat Vettel am Sonntag ein sehr überzeugendes Argument vorgetragen, weswegen er noch immer derjenige ist, auf den die Italiener setzen sollten. "Ich bin genauso ungeduldig wie jeder andere auch", meinte Vettel, das Team arbeite mit viel Leidenschaft daran, sich zu verbessern. "Ich hoffe, dass die Leute Geduld haben und uns die Freiheit geben."

Wie schön wäre es, der Wind würde sich nicht mehr drehen?

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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