Vettels Abschied:Donnerschlag bei Ferrari

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Verlässt zum Saisonende Ferrari: Rennfahrer Sebastian Vettel. (Foto: Getty Images)

Sebastian Vettel und sein Team geben sich kaum Mühe, Bedauern über ihre Trennung zum Saisonende vorzutäuschen. Der viermalige Formel-1-Weltmeister will nicht den Adjutanten seines Rivalen spielen.

Von Philipp Schneider, München

Immerhin, Sebastian Vettel hat es geahnt. An Zeit hat es ihnen nicht gemangelt. Tage, Wochen, zwei Monate verstrichen, seit seiner Abreise aus Melbourne, wo die Mitarbeiter der Formel 1 Mitte März überhastet aus ihren Garagen stürmten und in die Flieger stiegen. Auf der Flucht vor einem Virus, das ein Mitarbeiter von McLaren aus England mit nach Australien geschleppt hatte. Seitdem saß Vettel daheim, in seinem Bauernhof Neumüli im Schweizer Kanton Thurgau, idyllisch gelegen zwischen Ellighausen und Hugelshofen. Vettel im Lockdown. Dort hatte er vor allem eines: Zeit. Zeit, um nachzudenken. Zeit, um zu verhandeln mit seinem Arbeitgeber, der Scuderia Ferrari. Darüber, ob er eine Zukunft haben würde im roten Rennwagen, auch nach dieser Saison. Und, falls ja: Wie lange noch?

Es sei ja noch genug Zeit bis zum ersten Rennen, so sprach Vettel vor einem Monat, in korrekter Antizipation der Rennabsagen, die folgten. Bis dahin werde er sich mit Ferrari schon auf einen neuen Vertrag einigen. Er klang zuversichtlich, er lachte viel, er argumentierte, er habe in seiner Karriere immer nur Dreijahreskontrakte unterschrieben. Von da an war klar: So einen wollte er wieder! Aber das Team Ferrari, das vor Weihnachten mit seinem zehn Jahre jüngeren Teamkollegen Charles Leclerc um fünf Jahre verlängert hatte, wollte sich offenbar nicht so lange binden. Die unmissverständliche Botschaft hinter dem Angebot an Vettel lautete: Unterschreibe hier, und du bist die Nummer zwei.

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Sebastian Vettel war 26, da hatte er bereits vier Formel-1-Titel gewonnen. Nun kündigt er seinen Abschied von Ferrari an - und geht zu Aston Martin. Stationen eines rasanten Lebens.

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Am Dienstag dann die Nachricht wie Donnerhall: Abbruch der Verhandlungen! Ferrari und Vettel trennen sich am Ende der Saison. Einer Saison, von der noch nicht klar ist, ob sie jemals eine werden wird. Die Tatsache, dass keine Eile bestand, dass sie noch hätten weiterverhandeln können, ehe frühestens Anfang Juli in Spielberg gefahren werden kann, zeigt, wie tief der Graben klafft zwischen Vettel und seinem Teamchef Mattia Binotto.

Mit spitzer Zunge formuliert

Und nun? Stellt sich die Frage, wie viele Rennen ihm noch bleiben. Sebastian Vettel, dem viermaligen Weltmeister, 32 Jahre alt, der gerne noch drei Jahre gefahren wäre. Selbst wenn der waghalsige Notfallplan der Formel 1 mit lauter Geisterrennen auch nur halbwegs wie geplant über die Bühne gehen sollte: Wie bitteschön soll Vettel noch zusammenarbeiten mit einem Team, das sich so eindeutig entschieden hat, dass nicht ihm, sondern Charles Leclerc die Zukunft gehört?

Die hübsch bebilderte Pressemitteilung, die Vettel und Ferrari anlässlich ihrer Scheidung verschickten, gibt sich jenseits der üblichen Höflichkeitsfloskeln nicht einmal die Mühe vorzutäuschen, da würde jemand die Trennung bereuen. "Das Team und ich haben gemerkt, dass es nicht mehr den gemeinsamen Wunsch gab, über das Ende dieser Saison zusammenzubleiben", sagt Vettel. Das ist mit spitzer Zunge formuliert. Denn ein Angebot hat ihm sehr wohl vorgelegen, nur keines, das ihm zusagte. Und es sei ja so: "Um die bestmöglichen Ergebnisse in diesem Sport zu erzielen, ist es für alle Beteiligten wichtig, in perfekter Harmonie zu arbeiten." Diese sieht auch Binotto nicht mehr, er argumentiert, es sei die beste Entscheidung für beide gewesen.

Das vermaledeite Coronavirus, das die Erdbevölkerung plagt, hat bekanntlich noch viele Geheimnisse. Aber eines weiß man mit Gewissheit: Es reißt mit Urgewalt auseinander, was vor der Krise nicht turmfest vertäut worden ist - Firmen, Fluggesellschaften, überteuerte Unterhaltungsbetriebe wie die Formel 1. Und nun auch das Team Ferrari, in das mit dem Einzug Leclercs im Vorjahr eine Unruhe und Rivalität eingezogen ist, die nie gescheit moderiert wurde. Das Coronavirus hat Vettels Verhandlungsposition erheblich geschwächt: Weil derzeit nicht gefahren werden kann, hat er als Arbeitsnachweis keine theoretisch denkbaren meisterlichen Wettfahrten der Gegenwart, sondern nur die Bilanz des Vorjahres. Und da war Leclerc schneller: Er gewann zwei Rennen, nicht nur eins wie Vettel; sieben Mal parkte er auf der Pole Position, Vettel nur in Kanada und Japan. In der Endabrechnung stand er auf Platz vier, vor Vettel auf Rang fünf.

Geld sei nicht ausschlaggebend gewesen für die Trennung, das betont Vettel ausdrücklich. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Auch wenn die Gazzetta dello Sport vor wenigen Wochen mit der Meldung gezündelt hat, Binotto habe Vettel für 2021 einen Einjahresvertrag mit einem um zwei Drittel gekürzten Salär angeboten, das bei Wiedervorlage lediglich auf das Niveau Leclercs angehoben worden wäre. Zwei Drittel weniger, das wären noch immer rund zehn Millionen Dollar gewesen und wohl ausreichend, um Neumüli mit Strom und Wasser zu versorgen.

Viel eher ist es Sebastian Vettels Stolz gewesen, der ihn nicht nur hinter dem Steuer schon zu der einen oder anderen Rempelei verleitet hatte. Und der es ihm nun unmöglich machte, ein Angebot zu akzeptieren, das die Hierarchie innerhalb des Teams unweigerlich zu seinen Ungunsten umgestülpt hätte, ohne dass dies explizit hätte ausgesprochen werden müssen. Wer das nicht nachvollziehen kann, hat ein Herz aus Stein.

Vor sechs Jahren verließ Vettel Red Bull, den Rennstall, der ihn ausgebildet hatte, seine sportliche Heimat, in der er vier Weltmeisterschaften gewann. Der Grund: Er wollte auch einen Titel feiern im roten Rennwagen wie Michael Schumacher, sein großes Idol. Wenn dies nun schon nicht gelingt, obwohl er sich müht und müht, so muss er zumindest die persönliche Höchststrafe abwenden: Als Adjutant behilflich zu sein, dass ein zehn Jahre jüngerer Emporkömmling den eigenen Lebenstraum zu Ende träumt.

Spätestens kurz vor Weihnachten - die Formel 1 will die Saison im Jahr der Pandemie bis in den Dezember strecken - rollt Vettel letztmals den roten Dienstwagen in die Garage, übergibt ihn an jemand anderen. Vielleicht an Daniel Ricciardo, vermutlich an den Spanier Carlos Sainz junior, der im Vorjahr seinen McLaren erstaunlich flott um die Kurven gelenkt hatte und der ganz gut auf die Stelle passt, die sie bei Ferrari ausschreiben werden: Gesucht ist ein Rennfahrer, der schnell ist, aber nicht so schnell, dass er schneller wäre als Charles Leclerc. Denn der ist dann die klare Nummer 1. Schaden dürfte auch nicht, dass Sainz kein Weltmeister ist, schon gar kein viermaliger, das hilft beim freiwilligen Unterordnen.

Wohin nun mit Vettel? Wenn er wollte, könnte er wohl Unterschlupf finden bei Renault. Auch McLaren mit dem deutschen Teamchef Andreas Seidl soll interessiert sein. Alles keine Autos, mit denen er Titel gewinnen könnte. Anders als bei Mercedes, wo Ende des Jahres die Verträge von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas auslaufen. Teamchef Toto Wolff, der Vettel schätzt, ließ ihm am Dienstag zumindest warme Worte ausrichten. Seine Loyalität gelte "zunächst" den eigenen Fahrern, er könne allerdings "diese Entwicklung natürlich nicht außer Acht lassen".

Sollte sich Vettel nicht dazu entschließen, die Karriere zu beenden, könnte die Formel 1 auf eine spannende Transferperiode zusteuern. Ein viermaliger Weltmeister ist auf dem Markt. Und der hat jetzt noch mehr Zeit für Verhandlungen.

© SZ vom 13.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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