Verzweifelte Andrea Petkovic:"Wie Folter. Jede Minute"

Andrea Petkovic

Deprimiert und leer: Tennisspielerin Andrea Petkovic

(Foto: dpa)
  • Nach quälenden und frustierenden Monaten erwägt Andrea Petkovic ihre Tenniskarriere zu beenden.
  • "Ich war so deprimiert, dass ich eigentlich überhaupt nicht aus dem Bett kommen wollte", sagt die 28-Jährige.
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Von Matthias Schmid

Für Andrea Petkovic sind Besuche in Museen keine verschwendete Zeit. Die Tennisspielerin hält sich gerne in Ausstellungen auf, umgibt sich mit Künstlern, sie liebt Literatur, Philosophie, Diskurse jeglicher Art, sie ist abseits des Platzes ein Freigeist. Gerade New York hält vielfältige Möglichkeiten bereit, so etwas wie Zerstreuung vom Sport zu finden. Es kann also durchaus sein, dass Petkovic sich die Sonderausstellung im Guggenheim-Museum von Alberto Burri während ihres Aufenthalts in dieser Woche dort ansehen wird. Barbara Rittner kann sich das vorstellen. "The Trauma of Painting" heißt die Retrospektive des italienischen Malers, der sich in seinen Werken seinen Kriegserlebnissen widmet. Rittner, deutsche Fed-Cup-Chefin, hofft, dass Petkovic die Tage in den Staaten helfen, "um Abstand vom Tennis zu bekommen und Ruhe zu finden".

Petkovic muss gerade traumatische Erlebnisse in ihrem beruflichen und privaten Umfeld verarbeiten. Sie müssen so gravierend sein, dass die 28-Jährige nun sogar die Fortsetzung ihrer Karriere als Berufsspielerin infrage stellt, wie sie der Internetseite der Spielerinnen-Organisation WTA anvertraut hat. Ihre Wortwahl klingt dramatisch, wie ein Hilferuf. "Ich hasse derzeit mehr Teile meines Jobs, als ich andere mag. Als ich zu Hause war, habe ich mich wirklich glücklich gefühlt. Aber ab jener Minute, als ich wieder auf die Tour zurückgekehrt bin, war ich irgendwie deprimiert. So deprimiert, dass ich eigentlich überhaupt nicht aus dem Bett kommen wollte", bekennt sie, noch offener als sonst.

Um ihren finsteren Gemütszustand besser verstehen zu können, muss man wissen, dass Petkovic bisweilen zur Drama-Queen neigt, auch mal übertreibt und öffentlich weint. Ihrer Persönlichkeit wohnt eine Widersprüchlichkeit inne, die sie selbst nicht durchschauen kann. Einerseits trifft sie sich mit Intellektuellen, die sich aus Regeln nichts machen. Andererseits ist sie dieses "Disziplin-Tier", wie sie sich selber nennt, das alles in Form pressen muss und nicht nach links und rechts schaut. "Dass ich diese beiden Seiten nicht vereinen kann, ist der rote Faden in meinem Leben, der mich immer wieder entzweit", hat sie einmal der FAZ erzählt, "ich habe eine zerrissene Seele."

"Ich habe Zeit für andere Dinge verloren, weil ich Tennis spiele"

Auf dem Platz kann diese extreme Form der Selbstreflexion zur Selbstblockade führen, weil sie ihr Handeln und ihre Worte ständig hinterfragt. Oft ist das gut, mitunter aber hinderlich. Barbara Rittner versucht schon seit Jahren auf sie einzuwirken, ihr klar zu machen, dass sie das Tennisleben lockerer sehen, entspannter sein soll. "Aber das ist mir leider noch nicht gelungen", sagt die frühere Profispielerin. In den vergangenen Monaten und Wochen musste sie sogar feststellen, dass sich Petkovic davon entfernt hat, Tennis als Leidenschaft zu betrachten. "Für sie war Tennis nur noch ein Beruf", sagt Rittner. Kein Privileg mehr.

Das ist auch Petkovic nicht verborgen geblieben. Dabei hatte ihre Saison ganz wunderbar begonnen, sie gewann das Turnier in Antwerpen und kehrte in die Top Ten zurück. Doch die Erfolge halfen nicht, die kindliche Freude für den Tennissport zurückzugewinnen, im Gegenteil. Sie wollte einfach nur zu Hause sein, bei der kranken Mutter. "Aber weil ich Profi bin, habe ich einfach weitergemacht mit dem Training und all den Dingen, die zu tun waren", erzählt die French-Open-Halbfinalistin von 2014.

Rittner will ihr das Karriereende ausreden

Es müssen quälende Monate hinter Petkovic liegen. "Das hat sich angefühlt wie Folter. Jede Minute", schildert sie. Mit der fehlenden Freude blieben die Erfolge aus, die Spiele endeten frustrierend, vorläufiger Tiefpunkt war zuletzt die 0:6, 0:6-Niederlage gegen die Spanierin Carla Suarez Navarro in Zhuhai/China, wo zudem das Knie zwickte. Was Petkovic schon seit längerem ahnte, hatte sich nun bestätigt: Der Sport war ihr nicht mehr wichtig genug. Sie sagt: "Ich habe gefühlt, dass es das erste Jahr war, in dem ich Zeit für andere Dinge verloren habe, weil ich Tennis spiele."

Nach ihrer Rückkehr wird sich Rittner mit Petkovic treffen und ihr "mit Rat und Tat zur Seite stehen", wie sie sagt. Die Unterredung könne durchaus schmerzlich verlaufen: "Ich werde Andrea empfehlen, sich mentale Hilfe zu suchen." Sie müsse zurückfinden zu ihren Ursprüngen, zu ihrer Liebe zum Tennissport. Rittner will Petkovic jedenfalls ausreden, die Tour für immer zu verlassen. Sie spürt aber, dass das ziemlich kompliziert werden dürfte. "Das Leben nach der Karriere ist noch lang genug", sagt Rittner mit einem Lächeln. Ob Andrea Petkovic das auch so sieht? Sie will es in den nächsten Wochen herausfinden.

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