Verwirrung um russisches Doping-Geständnis:"Eine Wagenburg-Mentalität, die alle Beweise abstreitet"

OLYMPIA Olympische Spiele 2014 KRASNAJA POLJANA RUSSLAND 23 FEB 14 DIVERS OLYMPIA SKI NORDISCH

Ein russischer Goldgewinner küsst bei den Spielen in Russland ein russisches Siegerpodest: Auch dieses Bild, das den Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow bei der Siegerehrung 2014 in Sotschi zeigt, steht heute nicht mehr für ungetrübte Athletenfreude. Legkow ist vorläufig suspendiert - und wehrt sich dagegen.

(Foto: GEPA/Imago)
  • Es herrscht Verwirrung um ein Doping-Geständnis von Anna Anzeliowitsch, Chefin der nationalen Anti-Doping-Agentur Russlands.
  • Sie spricht in der New York Times von einer "institutionellen Verschwörung", die es um die Winterspiele 2014 in Sotschi gegeben habe.
  • Doch nur wenige Stunden nach Publikation des Artikels versucht Moskau, den Ausspruch wieder einzukassieren.

Von Johannes Aumüller

Russlands Dopingsumpf versetzt die Sportwelt mal wieder in Aufregung. Doch diesmal geht es nicht um neue Fakten in der Causa, sondern um einen kurzen bewertenden Satz, der in der deutschen Übersetzung so lautet: "Es war eine institutionelle Verschwörung." Diese Worte sind im Zusammenhang mit dem umfangreichen russischen Manipulationssystem schon des Öfteren gefallen. Bemerkenswert war, wer sie dieses Mal benutzte: Anna Anzeliowitsch, Chefin der nationalen Anti-Doping-Agentur Rusada.

Am Mittwoch zitierte die New York Times die Funktionärin mit diesem Satz. Bisher hatten Russlands Vertreter ein solches Bekenntnis stets vermieden; nun klang es so, als würden sie endlich einen ohnehin längst dokumentierten Vorwurf eingestehen.

Doch nur wenige Stunden nach Publikation des Textes versuchte Moskau, den Ausspruch wieder einzukassieren. Die Rusada erklärte, der Satz sei aus dem Kontext gerissen. Anzeliowitsch habe nur die Formulierung wiedergegeben, die der von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) eingesetzte Ermittler Richard McLaren benutzt habe. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sekundierte, man müsse prüfen, ob die Aussage so gefallen sei. Die Zeitung wiederum wehrte sich gegen den Vorwurf, unsauber gearbeitet zu haben.

Entsprechend irritiert ist nun der Rest der internationalen Sportwelt. "Wenn das das letzte Wort bleibt, sind wir genauso weit wie vorher. Es herrscht eine Wagenburg-Mentalität, die alle Beweise abstreitet", sagte Clemens Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV): "Der russische Sport disqualifiziert sich selbst." Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das seit einigen Jahren mit Russland eng verbandelt ist und viele Entscheidungen im Sinne des Kreml traf, teilte mit, es warte auf Klärung.

Es ist derzeit offensichtlich, dass Russland gemeinsam mit seinen sportpolitischen Verbündeten nach Wegen sucht, um sich als einsichtig und verändert darzustellen. Bisher sind nur einige Sportler suspendiert sowie Weltcup-Rennen in verschiedenen Winterdisziplinen entzogen worden; das dürfte in den nächsten Wochen noch zunehmen. Aber es gibt auch noch gewichtigere Themen wie die Ausrichtung der Fußball-WM 2018 oder die Teilnahme an den Winterspielen 2018. Und auch wenn Russland bisher sicher sein konnte, dass seine Interessen in den Führungsetagen von Fußball-Weltverband Fifa und IOC gut aufgehoben sind, begleiten diese Fragen nun jede Weiterung des Dopingsumpfes.

Vor diesem Hintergrund hätte sich ein Eingeständnis nun als Schritt der Erkenntnis verkaufen lassen. Und besonders spektakulär war die Einlassung ohnehin nicht. Denn dass es eine "institutionelle Verschwörung" gab, ist durch Aussagen des früheren Moskauer Labor-Chefs Grigorij Rodtschenkow sowie McLarens Arbeit ohnehin bekannt und belegt.

Die Rusada-Chefin sei "schockiert" gewesen

Demnach waren das Sportministerium, der Geheimdienst FSB, das Kontrolllabor sowie die Rusada, für die Anzeliowitsch in der fraglichen Zeit als Abteilungsleiterin arbeitete, selbst beteiligt. Der Laborchef mixte für ausgewählte Sportler für die Winterspiele 2014 in Sotschi einen Doping-Cocktail. Während der Wettkämpfe tauschte der Geheimdienst Proben gegen saubere aus. Und unter Überwachung des Sportministeriums, insbesondere des Vize-Ministers Jurij Nagornych, wurden Positivtests über Jahre systematisch vertuscht.

In gewissem Sinne kommt die Beurteilung "institutionelle Verschwörung" der russischen Seite sogar entgegen. Sonderermittler McLaren erstellte zwei Berichte: einen im Sommer vor den Spielen in Rio, einen zweiten Anfang Dezember. Die aktuelle Version ist einerseits belastender, weil sie weitere Fakten liefert; weil sie noch genauer die abenteuerlichen Vorgänge beim Austausch der Urinproben oder der gezielten Verunreinigung durch Salz oder Kaffeepulver belegt; und weil sich die Anzahl der Athleten, die von dem Manipulationssystem profitiert hätten, auf mehr als 1000 erhöht. Andererseits ist der zweite Report in manchen Punkten auch zurückhaltender - das betrifft unter anderem die generelle Einschätzung des Systems.

Die russischen Verantwortlichen behaupten, ein staatliches Dopingsystem habe es nie gegeben

Ein Schlüsselwort des ersten Reports war "State Run System", also eine Betonung der staatlichen Rolle im System. Im zweiten Report fehlte das; nun war noch von besagter "institutioneller Verschwörung" die Rede, an der aber staatliche Stellen wie das Sportministerium oder der Geheimdienst beteiligt gewesen seien.

In einem Interview mit dem Sport Express wies McLaren kurz nach der Publikation explizit darauf hin: "Wenn Sie den zweiten Teil aufmerksam durchlesen, sehen Sie, dass ich die Terminologie gewechselt habe. Ich benutzt jetzt nicht mehr das Wort ,staatlich'." Der New York Times wiederum sagte er zur Frage der Definition: "Da sind viele verschiedene Labels, die Sie auf die Fakten kleben können. Es ist ein bisschen ein Spiel mit den Begrifflichkeiten."

Den russischen Verantwortlichen reichen die Darlegungen trotzdem aus, um mit Verweis auf den McLaren-Report zu behaupten, dass es nie ein staatliches Dopingsystem und schon gar keine Beteiligung der unmittelbaren Staatsspitze gegeben habe. Sondern dass es lediglich einzelne Übeltäter waren wie der frühere Labor-Chef Rodtschenkow, der seit einem Jahr in den USA lebt und mit seinen Aussagen den Grundstein für McLarens Report legte, oder der entlassene Vize-Sportminister Nagornych. Glaubhaft klingt das nicht.

Nebst dem Satz zur Verschwörung sagte Anzeliowitsch in dem Gespräch auch noch, dass sie "schockiert" gewesen sei vom McLaren-Report. Diese Einschätzung wollte sie auch tags darauf nicht zurückziehen. "Ich denke, dass wir alle davon schockiert waren", teilte die Rusada-Chefin mit. Es ist immer nur die Frage, was genau einen Schock auslöst.

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