Max Verstappen:Start verschlafen, dann spektakulär zum Sieg

F1 Grand Prix of Austria

Verstappen holt sich seinen sechsten Sieg im 90. Rennen - sofern die Rennkommissare nicht dazwischenfunken.

(Foto: Getty Images)
  • Kurz vor Schluss schiebt sich Max Verstappen an Charles Leclerc vorbei - und gewinnt das Formel-1-Rennen von Spielberg.
  • Das Überholmanöver ist allerdings umstritten und wird von den Rennkommissaren untersucht - doch Verstappen darf den Sieg behalten.
  • Vettel überholt vier Runden vor Schluss noch Hamilton und wird Vierter.

Von Philipp Schneider, Spielberg

17 Runden vor Ende des Rennens funkte Max Verstappen einen im Nachhinein erstaunlichen Satz. "I am losing power", rief er: Sein Rennwagen verliere an Kraft. Die Kamera fing besorgte Gesichter ein am Kommandostand von Red Bull, Teamchef Christian Horner sah aus, als habe er die Nachricht über eine siebenstellige Steuernachzahlung erhalten. Aber so schlimm konnte Verstappens Kraftverlust nicht gewesen sein. Kurz darauf schob er sich vorbei an Valtteri Bottas. "Haha, yes!" rief Verstappen - und nun machte er Jagd auf Charles Leclerc, den Führenden.

Vier Zehntel pro Runde nahm er dem Ferrari-Piloten ab, der zum zweiten Mal in seiner Karriere ein Formel-1-Rennen auf der Pole Position begonnen hatte. Würde ihn Verstappen noch einholen?

Ausgerechnet Leclerc, der in Bahrain ein traumatisches Erlebnis mit einem echten Energieverlust erlebt hatte? Als sein Ferrari in Führung liegend zehn Runden vor Schluss immer langsamer wurde, und er durchgereicht wurde auf Platz drei? "Ich war so nah dran, meinen Kindheitstraum, ein Formel-1-Rennen zu gewinnen, wahr werden zu lassen", sagte er: "Aber ich bin sicher, es wird eines Tages passieren."

Am Sonntag passierte es wieder nicht. Drei Runden vor Schluss fing ihn Verstappen ab. Sie schossen Seite an Seite den Hügel hoch, in Kurve drei presste sich Verstappen innen vorbei, er ließ sich weit nach außen treiben. Die zwei Autos berührten sich, Leclerc blieb nichts übrig, als neben die Piste auszuweichen. Auf der orangenen Tribüne hüpften Tausende Niederländer in die Höhe, manche winkten tatsächlich mit Käse-Imitationen. Die Rennkommissare kündigten eine Untersuchung an. Aber die zog sich. Auch drei Stunden nach Rennende wusste Verstappen noch nicht, ob er den sechsten Rennsieg seiner Karriere würde behalten dürfen. Beide Piloten wurden einbestellt und mussten zu der Szene vorsprechen. Erst um 19.46 Uhr verschickten die Kommissare ihren Beschluss - da hatten die meisten Niederländer längst die Partyzone verlassen und waren weitergezogen. Schon 2018 hatte Verstappen in Spielberg gewonnen, diesmal aber nach einer Wahnsinnsfahrt: auf Platz zwei gestartet, aber zwischenzeitlich weit zurückgefallen. Dritter wurde Valtteri Bottas im Mercedes, Vierter Sebastian Vettel im Ferrari.

"Ich werde die Kommissare entscheiden lassen", sagte Leclerc auf der Pressekonferenz, als er noch Hoffnung hatte, seinen ersten Formel-1-Sieg zumindest am grünen Tisch zuerkannt zu bekommen. "Er hat mir keinen Platz gelassen, um mich zurückkommen zu lassen. Es war eine Schande." Verstappen interpretierte sein eigenes Manöver als "hartes Rennfahren, sonst müssen wir nach Hause gehen". Und Vettel, den die Kommissare zuletzt beim Rennen in Kanada mit einer umstrittenen Entscheidung um den Sieg gebracht hatten, kritisierte nun den Fakt, dass es überhaupt eine Untersuchung gab: "Ich habe nicht gesehen, was passiert ist. Wenn es nicht fair war, war es nicht fair. Ich mag es nicht, dass die Entscheidung an jemanden weitergegeben wird, der auf einem Stuhl sitzt. Wir kämpfen nicht um den Kindergartenpokal, sie sollten uns in Ruhe lassen!"

Wochenlang hatte die Formel 1 nach Vettels Bestrafung über die Sinnhaftigkeit einer harten Reglementauslegung gestritten. Man ahnte, weshalb die Verantwortlichen diesmal ewig tagten.

Hamilton, der nur Fünfter wurde, hatte in Österreich erstmals Schwierigkeiten. Keine großen, er legte in der Qualifikation doch wieder die zweitschnellste Zeit vor. Ferrari aber, insbesondere dem Monegassen Charles Leclerc, kamen die Bedingungen in Spielberg entgegen. Viele schnelle Geraden, wenig Kurven, dazu Temperaturen, bei denen sich Elefanten in der afrikanischen Steppe ins Wasserloch stürzen. Und die Scuderia hatte ihre Frontflügel so modifiziert, dass sie endlich mehr Abtrieb in den Kurven gefunden hatte. Nach acht Mercedes-Siegen in acht Rennen wirkte die frische Landluft in der Steiermark, wo mitunter ein würzig-strenger Geruch von den Kuhweiden rüberweht, auf die ganze Formel 1 fast schon wiederbelebend.

Die Tatsache, dass drei unterschiedliche Teams die ersten drei Startplätze belegten, sei ja wohl "cool", fand Hamilton. Noch cooler fanden viele Beobachter, dass Hamilton nicht dazugehörte zu den ersten Drei. Nach der Qualifikation war er auf Position vier versetzt worden, weil er Räikkönen blockiert hatte. Noch ärgerlicher ging die Zeitenjagd für Vettel aus. Nach einem Defekt rollte er als Neunter los.

Anders als Mercedes und Red Bull starteten die Ferraris auf den weichen Soft-Reifen, nicht auf den härteren Medium-Mischungen. Die Frage war: Wie lange würden sie halten bei Asphalttemperaturen jenseits der 50 Grad Celsius? Die Ampeln gingen aus. Und Verstappen kam nicht in die Gänge.

Der Niederländer fiel zurück von Position zwei auf sieben. Leclerc behauptete seine Führung, Hamilton kam nicht vorbei an Bottas, aber wegen Verstappens Malheur auf Position drei. Kimi Räikkönen im Alfa Romeo war Vierter, er hatte Lando Norris im McLaren überholt. Und dahinter rollte Vettel - nach einer Runde lag er schon auf Rang sechs. Aber nicht lang. Vettel griff an in der vierten Runde, er überholte Norris. In der siebten Runde war er vorbei an Räikkönen und damit Vierter. In Vettels Windschatten pflügte auch Verstappen durchs Feld. Nach zehn Runden führte Leclerc vor Bottas, Hamilton, Vettel und Verstappen.

Die Ferraris liefen rund, Leclerc hatte sich bis auf 3,7 Sekunden abgesetzt, als ihn der Kommandostand informierte, auf "Plan A" zu wechseln. Nach 22 Runden hielten Bottas und Vettel gleichzeitig an ihren Boxen. Blöderweise hatte der Ferrari-Schrauber vorne links keinen Reifen zur Hand. Vettel parkte schon vor der Garage, als der Mann mit dem Pneu angerannt kam, in solcher Eile, dass er fast vors Auto von Bottas geriet, der schon abgefertigt war. Vettels Stopp dauerte 6,1 Sekunden, der von Bottas 3,5. Ferraris Mechaniker hatten Schwierigkeiten mit dem Funk.

Eine andere Strategie verfolgte Mercedes mit Hamilton. Seine Reifen fühlten sich gut an, funkte er. Also blieb er länger auf der Strecke. Ehe er in Runde 31 an die Box kam, büßte er pro Umdrehung viel Zeit ein. Und als er dann hielt, bekam er noch einen neuen Frontflügel verpasst, weil er den Verlust von Abtrieb beklagt hatte. Dies alles kostete Hamilton so viel Zeit, dass er sich als Fünfter hinter Verstappen einsortierte; Vettel war nun Dritter. Aber er hatte sich seine Reifen elf Runden vor dem Niederländer aufziehen lassen. "Du hast einen kleinen Vorteil", funkte der Kommandostand von Red Bull: "Und du hast in Kurve eins einen signifikanten Geschwindigkeitsvorteil, nutze ihn!" Verstappen nutzte ihn in Runde 50. Auf seinen frischeren Reifen rollte er mühelos an Vettel vorbei. Und später noch mit einem knallharten Manöver an Leclerc.

Zur SZ-Startseite
Formula E, Paris E-Prix 2019

SZ PlusRennsport
:Formel Öko

Die Formel E könnte eines Tages die Formel 1 ablösen - obwohl die Flitzer viel langsamer, leiser und unspektakulärer sind. Oder: Vielleicht sogar gerade deswegen?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: