Verpatzter Olympia-Start:Banges Warten auf britische Helden

Mit ihrer "großartigsten Mannschaft" treten die Briten bei Olympia an - nun müssen sie ein Start-Wochenende ohne Goldmedaille verkraften. Die britische Seele fühlt sich geknechtet, die Zeitungen unterdrücken ihren Zynismus. So wird der dritte Platz von Schwimmerin Rebecca Adlington wie ein Olympiasieg gefeiert.

Jürgen Schmieder, London

Auf der Titelseite der Zeitung, die jeden Tag im OIympic Park verteilt wird, war am Sonntag ein Bild der britischen Schwimmerin Rebecca Adlington abgebildet, darunter stand: "Kann sie es wieder tun?" Das war eine Anspielung auf ihren Olympiasieg vor vier Jahren. Die passendere Frage wäre gewesen: "Kann sie unser Wochenende retten?" Oder: "Holt sie endlich die erste Goldmedaille für das britische Team?"

London 2012 - Schwimmen

Alle erwarteten Gold, es wurde Bronze: Rebecca Adlington aus Großbritannien.

(Foto: dpa)

Die Antwort war: Sie konnte nicht. Über 400 Meter Freistil wurde sie Dritte hinter Camille Muffat und Allison Schmitt. Als Adlington anschlug, jubelten die Zuschauer im Aquatic Centre dennoch, denn sie hatte ein unglaubliches Rennen absolviert und war vom letzten auf den dritten Platz geschwommen. Es war auch ohne die ersehnte erste Goldmedaille die Vorstellung, das Rennen, auf das die Menschen gewartet hatten. Es war laut - und wer ganz genau lauschte, der konnte hören, wie das Olympische Dorf, wie womöglich ganz Großbritannien ein wenig durchatmete.

Wer in den vergangenen Tagen durch dieses Olympische Dorf spazierte, der sah an jedem Haus zahlreiche Flaggen. Manche Nationen haben noch einen Spruch aufgehängt, bei den Dänen etwa ist "Jede Sekunde zählt" zu lesen, bei den Deutschen "Wir für D". Auf dem überdimensionalen Plakat, das die Briten ganz oben an ihrem Haus angebracht haben, da steht recht selbstbewusst: "Our Greatest Team" - unsere großartigste Mannschaft.

Von der Großartigkeit von "Team GB" war zu Beginn der Olympischen Spiele nur wenig zu sehen gewesen. Die Fußball-Männer hatten sich beim 1:1 gegen Senegal konfus präsentiert und das Volk dadurch erzürnt, dass sich die Waliser Ryan Giggs und Craig Bellamy arg zurückhaltend beim Singen der britischen Hymne gezeigt hatten. "Lasst es hören, wenn ihr britisch seid", schimpfte die Daily Mail.

Dazu kamen die sportlichen Enttäuschungen: Marc Cavendish, dessen Sieg beim Straßenrennen der Radfahrer die Briten fest eingeplant hatten, enttäuschte und schob die Niederlage dann ganz unbritisch nicht sich selbst zu, sondern der Tatsache, dass sich alle anderen Teams gegen die Briten verschworen hätten. Am Abend erreichte die Schwimmerin Hannah Miley über 400 Meter Lagen nur den fünften Platz und sagte: "Immerhin einen Platz besser als in Peking."

Die britische Seele fühlte sich arg geknechtet an diesem Wochenende - Zeitungen und Fernsehsender mussten sich größte Mühe geben, ihre Enttäuschung zu verbergen und ihren Drang zu Schmähungen zu unterdrücken. "Don't worry", sagte der Moderator von BBC am Samstagabend, sein Kollege am Sonntagmittag schob ein "Relax" hinterher. Die Zeitungen konzentrierten sich noch einmal auf die großartige Eröffnungsfeier, die dafür sorgte, dass sich die Londoner angefreundet haben mit diesen Spielen.

Nun sollten sie sich auch verlieben - doch dazu brauchte es einen Erfolg. Einen Olympiasieg. Am Sonntagnachmittag hatte Elizabeth Armitstead immerhin Silber im Straßenrennen der Frauen gewonnen, das trug schon mal ein wenig Beruhigung bei. Die Stimmung droht nämlich zu kippen - und wenn diese Stimmung kippen sollte, da waren sich alle einig, dann würde nicht einmal eine zweite Show von Danny Boyle helfen.

Überaus engagiertes Rennen

Aber es gab ja noch die 400 Meter Freistil am am Sonntagabend und Rebecca Adlington - jene Frau, die vom Independent als "Natural Born Swimmer" bezeichnet wurde. Die in Peking vor vier Jahren zwei Goldmedaillen gewonnen und sich danach bei der Pressekonferenz mit "Hi, ich bin Rebecca, wahrscheinlich kennt mich keiner" vorgestellt hatte. Damals hatte sie wirklich noch kaum jemand gekannt.

Mittlerweile ist sie auf Plakaten und Titelseiten zu sehen - und sie war diejenige britische Sportlerin, die das erste Wochenende mit einem Olympiasieg abschließen sollte. "Während der Spiele werden wir alle den Druck spüren und wir werden alle im Rampenlicht stehen", hatte sie vor einigen Tagen gesagt. Nun stand sie in einem Rampenlicht, das eigentlich zu hell und zu heiß war für eine einzelne Frau.

Das Finale hatte sie gerade noch erreicht, als Achte. Camille Muffat, Allisin Schmitt und Coralie Balmy waren jeweils mehr als zwei Sekunden schneller als sie gewesen. "Ich habe mich schneller gefühlt", sagte sie danach, "ich musste ja voll schwimmen, ich hatte keine Wahl, weil ich im ersten Halbfinale geschwommen bin."

Nun also das Finale. Heiß war es im Aquatic Centre, bei vorsichtiger Schätzung dürften es ungefähr 1000 britische Fahnen gewesen sein, die da geschwenkt wurden. Zuerst schwamm die Amerikanerin Dana Vollmer (100 Meter Schmetterling) und der Südafrikaner Cameron van der Burgh (100 Meter Brust) Weltrekord, Paul Biedermann war im Halbfinale über 200 Meter Freistil schneller als Ryan Lochte und qualifizierte sich als insgesamt Vierter fürs Finale am Montag.

Dann kamen die 400 Freistil: Die Menge tobte, Adlington wirkte konzentriert und locker. Den Start verpasste sie, nach 50 Metern wendete sie abgeschlagen als Letzte, nach 100 Metern war sie gerade einmal Sechste. Doch sie weigerte sich aufzugeben. Bei 250 Metern war sie Fünfte. Bei 300 Metern Vierte. "Ich habe die Leute gehört", sagte Adlington später, "sie haben mich angetrieben." Vor den letzten 50 Metern dann war sie Dritte - und die Zuschauer brüllten so laut, dass es auch noch im Olympischen Dorf zu hören gewesen sein muss.

"Diese Erwartungen waren nicht meine", sagte Adlington nach dem Rennen, "es waren die Erwartungen anderer Leute und ich verstehe, dass es diese Erwartungen gibt. Ich hatte meine eigenen Ziele - und die waren: so schnell schwimmen wie möglich und sehen, was dabei rauskommt. Dass es Bronze war, macht mich glücklich."

Die Briten sind also am ersten Wochenende ohne Goldmedaille geblieben, es gab ein Mal Silber und ein Mal Bronze. Rebecca Adlington bewies an diesem Sonntagabend, dass nicht nur ein Sieg für Begeisterung und Erleichterung sorgen kann. Manchmal reicht auch ein überaus engagiertes Rennen.

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