Veröffentlichung der Dopingstudie:680 Seiten Details fehlen

Berichte zur Studie über Doping in der Bundesrepublik Deutschland sind trotz aller vorgeschobenen Gründe der Beteiligten nun online abrufbar. Nach SZ-Informationen wollte vor allem Hans-Peter Friedrich den Vorwurf entkräften, er habe etwas zu vertuschen. In den Unterlagen fehlen jedoch wichtige Details - zum Beispiel Namen einflussreicher Politiker.

Von Boris Herrmann

Im Grunde ist nichts ungewöhnliches passiert. Am Montagmorgen wurde vermeldet, dass das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) im Laufe des Tages die Studie "Doping in Deutschland" veröffentlichen werde. Unter normalen Umständen müsste man sagen: Ja und? Der Bäcker backt Brot, der Busfahrer fährt Bus und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft veröffentlicht eben seine sportwissenschaftlichen Studien.

Das ist Sinn und Zweck dieser staatlichen Institution. Im Zusammenhang mit der Studie "Doping in Deutschland", die das BISp vor vier Jahren bei der Berliner Humboldt-Universität (HU) und der Uni Münster in Auftrag gegeben hatte, ist zuletzt allerdings so viel Ungewöhnliches geschehen, dass der Normalzustand zur Überraschung wird.

Bis Ende vergangener Woche hatte sich das BISp strikt geweigert, den bereits im vergangenen Jahr angefertigten Bericht der HU zu publizieren. Die Auftraggeber - also das BISp selbst sowie dessen übergeordnete Behörde, das Bundesinnenministerium (BMI) - werden darin in vielen Details beschuldigt, seit den Siebzigerjahren Doping und Dopingforschung staatlich subventioniert zu haben.

Auch ein vereinbarter Veröffentlichungstermin am 31. März 2013 scheiterte, am Widerstand des BISp, beziehungsweise des BMI. Ende Juni sollte das BMI dann den Sportausschuss des Bundestags über die Ergebnisse der mit Steuermitteln finanzierten Studie unterrichten. Der BMI-Staatssekretär Christoph Bergner erschien aber nur mit einer Erklärung, weshalb der Text leider noch nicht freigegeben werden könne.

Nun, an einem Wochenende im Sommerloch, kam also die radikale Kehrtwende. Am Montagmorgen konnte es mit der Veröffentlichung plötzlich gar nicht mehr schnell genug gehen. Weder die Forscher der HU noch die Parlamentarier des Sportausschusses wurden vorab von der Freigabe des Textes informiert.

Die Süddeutsche Zeitung hatte in ihrer Samstagsausgabe aus dem unveröffentlichten Abschlussbericht zitiert. Danach wuchs der Druck auf Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), die Veröffentlichung der Studie endlich zur Chefsache zu erklären. Das ist am Montagvormittag im Rahmen einer Krisensitzung von BMI und BISp offenbar geschehen.

Nach SZ-Informationen hat das BMI das BISp dazu angehalten, die Studie schnellstmöglich zu veröffentlichen, um den Vorwurf zu entkräften, der Innenminister habe etwas zu vertuschen. Das erklärt auch, weshalb das BMI exklusiv vermeldete, das BISp werde den Bericht noch am Montag veröffentlichen.

Am späten Nachmittag war es dann soweit. Das BISp stellte insgesamt sechs Forschungsberichte auf seine Website. Darunter drei Texte der Uni Münster, die weit weniger Sprengstoff bergen als jene der Berliner Arbeitsgruppe. Dazu eine Zusammenfassung beider Universitäten von insgesamt 43 Seiten sowie einen administrativen Bericht der HU zum Ablauf des Projektes.

"Substanzielle Unterschiede"

Der inhaltliche Teil der Berliner Gruppe, den das BISp jetzt veröffentlichte, hat 117 Seiten. Er datiert vom 30.3.2013 und kann nach Angaben von Ingmar Schmidt, dem Leiter der Forschungsabteilung der HU, als der offizielle Berliner Abschlussbericht bewertet werden.

Die Version, die der SZ vorliegt, ist ein paar Monate älter. Sie trägt ebenfalls den Titel "Abschlussbericht" - und hat 804 Seiten. Die HU hat diesen Bericht auf Anweisung des BISp eingekürzt. Ein Abschlussbericht, hieß es, müsse bestimmte formale Kriterien erfüllen.

Das ging auf Kosten des Inhalts. In der Version von 2013 fehlen keine grundsätzlichen Thesen, aber es fehlen Details, rund 680 Seiten. Zahlreiche anschauliche Zeitzeugenberichte sind nicht enthalten. Und es fehlen einige Namen, zum Beispiel von einflussreichen Politikern. Ingmar Schmidt sagt: "Die beiden Versionen unterscheiden sich schon substanziell."

Das erklärt vielleicht auch, weshalb die Hindernisse, die einer Veröffentlichung stets im Weg standen, nun so plötzlich verschwunden sind. Sie waren ohnehin sehr flexibel. Zunächst beriefen sich BISp und BMI auf den Datenschutz. Als alle Datenschutzfragen geklärt waren, hieß es, die Mitglieder des BISp-Beirates müssten noch ihre Stellungnahmen abgeben - und einige bräuchten eben etwas länger. Schließlich ging es bis zuletzt um Haftungsfragen.

Auf SZ-Anfrage teilte das BISp noch am vergangenen Freitag mit, es sei Sache der HU-Forscher, ihren Bericht zu veröffentlichen und für mögliche Prozesskosten notfalls selbst geradezustehen. BISp und BMI versuchten zudem den Eindruck zu erwecken, das Erstveröffentlichungsrecht habe stets bei der HU gelegen. BISp-Direktor Jürgen Fischer hatte allerdings Ende 2010 erklärt: "Im Übrigen behält sich das Bundesinstitut vor, dass die Erstveröffentlichung über das BISp erfolgt." Das geht aus dem Protokoll einer Beiratssitzung hervor, das der SZ vorliegt.

Der SPD-Sportsprecher Martin Gerster glaubt, dass all die Hindernisse nur vorgeschoben waren, um die für die Bundesregierung unangenehme Publikation zu verschleppen. "Man hat versucht, das Thema über den Wahlkampf zu retten", sagt Gerster. Das deckt sich mit einer Aussage von CDU-Sportsprecher Klaus Riegert Ende Juni im Sportausschuss: "Das klären wir in Ruhe in der nächsten Legislaturperiode."

Der Plan ist nun hinfällig. Die FDP unterstützt inzwischen die Forderung der Opposition nach einer Sondersitzung des Sportausschusses noch vor der Bundestagswahl. Gerster sagt: "Wir fordern auch, dass Minister Friedrich in dieser Sitzung anwesend ist. Wir wollen uns nicht mit Leuten aus der zweiten Reihe abspeisen lassen."

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