Süddeutsche Zeitung

Verletzungen von Hummels und Schmelzer:Das herbeiprophezeite Debakel

Mats Hummels fehlt bis Januar, Marcel Schmelzer bis Dezember: Die Verletzten des Länderspiels gegen England bereiten Borussia Dortmund große Abwehr-Nöte vor dem Duell mit dem FC Bayern. Der BVB reagiert mit der Verpflichtung von Manuel Friedrich.

Von Philipp Selldorf, London

Lars Bender nahm am Mittwochmorgen den Flug 4U 461 von London-Heathrow nach Köln. Beim Betreten der Maschine machte er einen entspannten, ausgeruhten Eindruck. Diese Nachricht mag nicht wie eine Sensation klingen, aber sie hat ihre Bedeutung dadurch, dass Lars Benders Zwillingsbruder Sven bereits am Dienstagabend mit der Air Force One von Borussia Dortmund in den deutschen Westen gereist war.

Es konnte ja nicht schnell genug nach Hause gehen für die BVB-Profis, schließlich hatte das Konkurrenzunternehmen aus München seinerseits ebenfalls die Flugbereitschaft aktiviert. Während also die Münchner gleich nach dem Länderspiel in Wembley Kurs auf den Airport von Ingolstadt nahmen, steuerten die Dortmunder nicht minder eilig und wichtig den Flughafen Paderborn an.

Welche Partei ihre Spieler früher ins Bett gebracht hat, ist nicht überliefert, aber die Dortmunder taten sich zumindest dadurch hervor, dass der Chef persönlich seine Leute in Wembley empfing. Hans-Joachim Watzke machte allerdings keinen entspannten und ausgeruhten Eindruck, als er durch die Tiefen des Stadions marschierte. Er blickte griesgrämig drein.

Der DFB vermerkte nach dem Treffen mit England einen befriedigenden 1:0- Sieg und ein weiteres Zeugnis für den hohen Standard seiner Spitzenmarke. Doch für Watzke und den BVB fiel die Bilanz hinsichtlich des großen Treffens mit dem FC Bayern am nächsten Samstag denkbar schlecht aus. Mats Hummels, zur Halbzeit für (den Münchner) Jerome Boateng gekommen, humpelte schon 20 Minuten nach seiner Einwechslung aus dem Spiel, nach einem Luftkampf war er schlecht gelandet und hatte sich vertreten.

Auch Marcel Schmelzer klagte über Schmerzen in der Wadenmuskulatur und blieb zur Pause in der Kabine. Am nächsten Tag zur Mittagsstunde kam die Nachricht, dass es sich hier mitnichten um eingebildete Kranke handelte, wie mancher Fachmann aus der Ferne schon mutmaßte. Schmelzer trug einen Muskelfaserriss davon und wird wenigstens drei Wochen fehlen, Hummels traf es noch schlimmer.

Die amtliche Diagnose lautete: "knöcherner Bandausriss am rechten Fersenbein". Folge: Zwangspause bis ins neue Jahr. Kurzfristig heißt das für Jürgen Klopp, dass er am Samstag nahezu die komplette erste Abwehrreihe ersetzen muss, denn es fehlt ja bereits der Kreuzband-Patient Neven Subotic. So viele Lücken hinten kann nicht mal der universelle Kevin Großkreutz schließen.

Wie der Hohn der Götter musste es schließlich auf die Dortmunder wirken, dass sich beim Testspielchen der U23 gegen den Zweitligisten Paderborn auch Manuel Friedrich am Knie verletzt hat. Den 34-Jährigen ehemaligen Nationalverteidiger, der sich zuletzt bei Rot-Weiß Oberhausen fit hielt, hatte Klopp in Obhut genommen, um ihn als Ersatz für Subotic zu testen. Immerhin - den Göttern und dem bösen Aberglauben stellte sich der BVB offensiv entgegen. Am Mittwochabend verkündete der Klub, dass Friedrich bis Saisonende verpflichtet wurde. "Manuel Friedrich hat bei uns im Training einen sehr guten Eindruck hinterlassen", sagte Sportdirektor Michael Zorc. Gut möglich, dass der ehemalige Leverkusener bereits am Samstag im Kader steht.

Der Tournee der Nationalelf indes geben die Unfälle von Hummels und Schmelzer den Anklang jenes Politikums, gegen den sich der Bundestrainer immer zu wehren versucht hatte. Bereits beim Test gegen Paraguay im August (3:3) blieb ein Dortmunder auf der Strecke, von jener Rückenverletzung hat sich Ilkay Gündogan bis heute nicht erholt - und vor der imaginären Kulisse des anstehenden Spitzenspiels waren nun auch die Reisen nach Mailand und London von Anfang an kritisch beäugt worden.

Bevor der DFB das Team in München versammelte, hatte Watzke bei Joachim Löw Gleichbehandlung von Bayern und Borussen angemahnt. Der BVB-Chef hatte zwar Blumen um seine Worte gewickelt, als er sagte, er sei "sicher, dass mit der gesamten Situation vor dem Topspiel sensibel umgegangen wird", aber der fordernde Unterton war unverkennbar und verfehlte nicht seinen Nachhall in den Medien. Löw hatte auf die atmosphärischen Einwirkungen reagiert, indem er sich in London dagegen verwahrte und seine Autonomie als Chefcoach der Nationalelf unterstrich.

"Ich als Nationaltrainer schaue auf diesen wichtigen Test, Dortmund gegen Bayern ist nicht mein Thema!", sagte er laut und ärgerlich und ließ wissen, dass er nachträgliche Berechnungen, "welche Dortmunder und welche Münchner wie viele Minuten gespielt haben" für erbärmlich halten würde, weil Fußballer dieses Alters kein Problem mit dem Spielrhythmus haben dürften. Seine Aufstellung in Wembley lässt sich weder von der einen noch von der anderen Seite beanstanden. Wenn, dann hätte sich der Bayer Toni Kroos beklagen müssen, denn er war der einzige, der beide Länderspiele komplett bestritt.

Mit ein wenig Sinn für Theatralik kann man nun also sagen, dass das herbeiprophezeite Debakel eingetreten ist. Niemand kann etwas dafür, aber die Tatsachen ragen übermächtig in die Fußball-Landschaft. Und die Dortmunder müssen es für eine besonders perfide Form von Komik halten, dass an dem Tag, an dem Hummels und Schmelzer ihre üblen Diagnosen erhielten, der von Löw für die London-Reise beurlaubte Nationalspieler Philipp Lahm im Vereinsfernsehen fröhlich kundtat, die freien Tage hätten ihm "sehr, sehr gut getan".

Doch Lahm ist kein Unmensch. Von den Verletzungen der Borussen wusste er noch nichts, als er das Interview gab. Hummels versuchte derweil, die Moral seiner Leute zu stärken: "Die kommenden Wochen werden sehr schwierig, aber wir werden das schon hinkriegen", teilte er auf seiner Facebook-Seite mit.

"Besser geht es ja gar nicht"

Ein Dortmunder immerhin hat in Wembley gejubelt, als das Spiel vorbei war. Roman Weidenfeller hat, noch so ein Witz des Schicksals, nach all den Jahren des Verschmäht-Seins auf eben dieser Länderspielreise sein persönliches Glück gefunden. "Ich bin froh, dabei gewesen zu sein, sauge alles auf. 1:0 in Wembley zu gewinnen, besser geht es ja gar nicht", so beseelt hat er nach dem Spiel gesprochen.

Viel zu halten bekam er nicht, die laufend umformierte Deckung hielt dicht, die Allianz der Bender-Zwillinge im Zentrum und Abwehrchef Per Mertesacker gaben ihr Halt, und auch Hummels war in seinen 20 Minuten ein wichtiger Helfer. Für Löw war Mertesacker nicht nur deswegen der Held, weil er sich als Kapitän und Siegtorschütze (39.) hervortat. Links und rechts von ihm wechselten sich die Mitspieler im Minutentakt ab, "aber Per stand da", sagte Löw. Ein programmatisches Kompliment.

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SZ vom 21.11.2013/fued
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