Verletzungen im Skirennsport:Es kann jeden erwischen

Schwere Verletzungen prägen den Skirennsport dieser Saison - ob die Ursachen je wirksam bekämpft werden, bleibt offen.

Michael Neudecker

Es war kalt im Zielraum, sonnenlose minus 13 Grad, aber Werner Heel war das egal. Er ging von Mikrofon zu Notizblock, antwortete jedem, der fragte. Er, der Südtiroler, numero uno für das Publikum hier, hatte einen guten zweiten Trainingslauf für die samstägliche Abfahrt gezeigt, wurde Zweiter hinter dem Schweizer Didier Cuche, aber darum ging es jetzt nicht. Es geht sowieso um andere Themen im alpinen Skirennsport dieser Tage, wichtigere als Zeiten und Siege; es geht darum, dass sich etwas ändern muss. Werner Heel holte eine Broschüre aus seinem Rucksack und verteilte sie, 15 computerbedruckte Seiten in einer Klemm-Mappe. Wie als Beweis, dass sich tatsächlich was tut.

Verletzungen im Skirennsport: Risiko im Schuh: Die Kräfte im Abfahrtsrennen wirken immer unmittelbarer - Tobias Stechert verletzte sich, ohne zu stürzen.

Risiko im Schuh: Die Kräfte im Abfahrtsrennen wirken immer unmittelbarer - Tobias Stechert verletzte sich, ohne zu stürzen.

(Foto: Foto: dpa)

"International Skiers Association (AIS) - Presentation" steht auf der Broschüre, erstellt im Dezember 2009. Es ist ein Vorstellungsheft der AIS, der Gewerkschaft der Skirennfahrer, die sich im April gegründet hatte, vor allem auf Betreiben der Italiener. Auf Seite sechs sind unter der Überschrift "Sicherheit" ein paar kritische Stichpunkte zu lesen: fehlende Rettungshubschrauber, unvernünftige Trainingszeiten, und als letzter Punkt: "etc. . . .". Die Sicherheit ist das zentrale Thema im Skirennsport, "und wir Athleten wollen nicht mehr, dass man ständig über unsere Köpfe hinweg entscheidet", sagt Werner Heel. Schon nach dem Unfall des Österreichers Matthias Lanzinger im März 2008 habe man Forderungen gestellt, und nichts sei passiert, schimpft Heel. Er ist aufgebracht.

Die Station in Gröden ist die sechste für die Männer in dieser Saison, es ist zugleich die erste in Europa, bei der Speed-Rennen gefahren werden, Abfahrt und Super-G. Bislang ist kaum ein Weltcup ohne Verletzte über die Bühne gegangen, in Gröden hat es schon im ersten Training am Mittwoch einen erwischt: Der Deutsche Tobias Stechert verletzte sich bei der Landung nach einem weiten Sprung, ohne zu stürzen - Kreuzbandriss links, der 24-Jährige wurde noch am Mittwochabend operiert. Man kann sich vorstellen, welche Kräfte auf einer Abfahrtspiste wirken, wenn bei einer Landung ohne Sturz das Kreuzband reißt. Dabei gilt Gröden als eher gemäßigte Piste; Gröden ist nicht Kitzbühel.

Stecherts Kreuzbandriss

Aber was heißt das schon, gemäßigt - über Lake Louise wurde bislang gesagt, die Piste sei nicht anspruchsvoll, und dann verletzten sich der Kanadier John Kucera und der Amerikaner TJ Lanning schwer. Es kann jeden erwischen, das klingt plakativ, aber es ist so: Bei den Frauen in Val d'Isère stürzte am Mittwoch die Kanadierin Larise Yurkiw, Diagnose Kreuzbandriss, am Donnerstag wurde ihre Landsfrau Kelly Vanderbeek per Rettungshubschrauber abtransportiert.

Verletzungen gab es schon immer viele, nun scheinen sie aber schwerer zu sein. "Es gibt eine Zunahme von gefährlichen Situationen, die 'major risks' sind mehr geworden", sagt Peter Spitzenpfeil, Professor an der Sportfaktultät der TU München. Er beobachtet den Skirennzirkus seit 15 Jahren, bis vor zwei Jahren analysierte er die Gefahren und Risiken in diesem Sport wissenschaftlich. Aber er musste die Untersuchungen einstellen, es fand sich kein Geldgeber mehr, und das sagt viel über das Selbstverständnis dieses Sports.

Spitzenpfeil spricht wie eigentlich alle von mehreren Faktoren, die zu dieser Verletzungsserie geführt haben. Als Hauptprobleme sieht er die Pistenpräparierung, Kunstschnee in Verbindung mit Eis, und die fehlenden Schutzmaßnahmen am Athleten und seiner Ausrüstung. Zum Beispiel die Schuhe: Im Laufe der Jahre sind sie immer kleiner geworden, es passe "kein Löschblatt mehr zwischen Fuß und Schale", wie der österreichische Speed-Trainer Andreas Evers bemängelt. Spitzenpfeil sagt: "Man will eine optimale und möglichst direkte Übertragung der Kräfte vom Körper auf den Ski - aber das gilt für den Ernstfall natürlich auch in die andere Richtung."

So kam etwa der Kreuzbandriss von Tobias Stechert zustande: "Man spricht da von 'boot induced'", erklärt Spitzenpfeil, einer Verletzung also, die durch den Schuh entsteht. Bedeutet: Stechert kam bei der Landung in Rücklage, und weil sich das Körpergewicht nach hinten verschob, der Fuß aber im Schuh straff vorne fixiert war, riss das Kreuzband. Deshalb findet Spitzenpfeil, man sollte bei all den Maßnahmen, die nun besprochen werden, auch eine Veränderung der Bindung bedenken: "An der Sicherheitsbindung hat sich seit Jahrzehnten nichts grundlegendes geändert", kritisiert er.

Herausforderung soll bleiben

Gröden soll nun ein Wendepunkt der Diskussion werden. Am Mittwochabend trafen sich die Athleten, um Forderungen an den Ski-Weltverband Fis zu formulieren; etwa bessere medizinische Versorgung, mindestens zwei Helikopter bei jedem Rennen an der Strecke, oder auch, dass die Fahnen an den Toren im Steilhang nur per Klettverschluss befestigt werden, damit sie wegreißen, wenn ein Fahrer in ein Tor gerät. Am Donnerstagabend dann trafen sich die Trainer mit Rennleiter Günter Hujara, um die Vorschläge zu besprechen (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe).

Es tut sich was - aber wie viel, bleibt abzuwarten. Nach dem Mittwochstraining fragte Hujara den Österreicher Michael Walchhofer, einer der besten Abfahrer im Feld, ob die Präparierung der Bodenwellen in der für Gröden charakteristischen Schrägfahrt in Ordnung sei, "und ich hab gesagt, die sind im Rahmen der Challenge in Ordnung", erzählt Walchhofer. "Eine Challenge wolln mir ja auch haben."

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