Süddeutsche Zeitung

Verfolger Leverkusen:Jugend forsch

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Bayer 04 überzeugt durch den Swing eines Teens, einiger Twens - und taktische Kniffe. Gegen Frankfurt hilft zudem die Auswärtsphobie der Hessen.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Wer begreifen will, warum Leverkusen eine der formstärksten Mannschaften der Bundesliga stellt, braucht zunächst einmal nur auf die Ersatzbank zu gucken. Dort saßen am Samstag - trotz der Verletzungen von Kevin Volland (Syndesmoseriss), Nadiem Amiri (Kapselruptur des Schultereckgelenks) und Lars Bender (profane muskuläre Probleme) - so namhafte Spieler wie Kerem Demirbay, Jonathan Tah, Lucas Alario und Leon Bailey. Auf dem Platz wirbelte stattdessen der lange verschmähte Brasilianer Paulinho. Im Sommer 2018 an seinem 18. Geburtstag für 18,5 Millionen Euro von Vasco da Gama ausgelöst, sammelte der Brasilianer lange nur Kurz- bis Kürzesteinsätze, 21 an der Zahl, bevor er gegen Eintracht Frankfurt erstmals in der Bundesliga in der Startelf auftauchte. Der Teenager dankte es mit zwei Toren, einer Vorlage und einem demütigen Auftritt nach dem 4:0 (2:0). "Ich habe mich lange gedulden müssen", sagte Paulinho, "das war nicht immer einfach. Aber ich wusste, wenn meine Chance kommt, muss ich da sein." Nach dem 3:0 verneigte er sich vor den Fans und erklärte: "Ich wollte mich einfach mal vorstellen. Einige kennen mich vielleicht noch nicht so gut."

Der zweite Grund für Bayers Hoch heißt Kai Havertz. Der 20-Jährige, in der Hinrunde noch blockiert und fehlerbehaftet, von den eigenen Fans leise ausgepfiffen und von Fragezeichen begleitet, ist besser in Form denn je. Er spielt flott und unberechenbar, den Kopf oben, das Spiel lesend, so als sei er von der Last des Transferpokers rund um den wohl unvermeidlichen Wechsel im Sommer befreit. Niemand will bestätigen, dass etwas entschieden ist, aber gewöhnlich spielen Fußballer vor allem dann so auf wie Havertz, wenn sie nicht von Zukunftssorgen gebremst werden. "In der Hinrunde lag viel Druck auf meinen Schultern", sagte der Nationalspieler bei Sky. Jetzt sei er aber "wieder der Alte". Am Samstag verbesserte Havertz einen edlen Rekord: Keinem Spieler seines Alters gelangen so schnell 30 Liga-Tore - die Legende, die er beerbt, ist immerhin Klaus Fischer, nun die Nummer zwei der ewigen Liste.

Grund Nummer drei für die Serie des Werksklubs (elf Siege aus den vergangenen 13 Pflichtspielen) sind die Ideen von Peter Bosz. Es ist ja schön, auf talentierte Spieler zurückgreifen zu können, aber man muss sie erst einmal ins ideale Verhältnis zueinander setzen. Der Trainer, in Dortmund vor zweieinhalb Jahren noch an starren, rasch vorhersehbaren Mustern gescheitert, rochiert und taktiert mit Wonne und Erfolg. Gegen Frankfurt verzichtete der Niederländer auf einen echten Mittelstürmer, schickte dafür Havertz und/oder Paulinho in die Spitze, flankiert von den unermüdlichen Dauerläufern Karim Bellarabi und Moussa Diaby. Letzterer, auch erst 20 Jahre alt, vermittelt sogar Lust an Deckungsaufgaben - dort hinten hat er nach Ballgewinnen ja noch mehr Platz für seine frappierenden Speed-Dribblings.

Der Franzose, für heutzutage nachgerade läppisch anmutende 15 Millionen Euro aus Paris geholt, ist ein weiterer Beweis für die umsichtige Einkaufspolitik von Bayer; ein anderer ist der 21-jährige Innenverteidiger Edmond Tapsoba (18 Mio.), der auftritt, als stünde er schon seit Jahren in der Startelf - so ließ er die Auswechslung des Routiniers Sven Bender (Knie) fast vergessen; kaum getestet wurde außerdem ein anderer Wintertransfer, der 21-jährige Exequiel Palacios (17 Mio.).

Derzeit hat Bosz die richtige Mischung gefunden aus Coolness (Havertz, Tapsoba) und Feuer (Paulinho und die zum Aktionismus neigenden Bellarabi und Bailey), aus Tempo, Dribbelkunst und Abgeklärtheit. Das scheint sogar Mitläufer mitzureißen: Außenverteidiger Wendell, jahrelang eher durch unfreiwillige Purzeleien als durch brasilianische Fertigkeit aufgefallen, zeigte am Samstag eine seiner besten Leistungen im Bayer-Dress. Neu bei den Rheinländern ist auch die Effizienz, die schon gegen Dortmund (4:3) und Union Berlin (3:2) auffiel: In der Hinrunde verschleuderten sie Großchancen wie Kamelle - in der Rückrunde brauchen sie wesentlich weniger Versuche; am Samstag wurden die ersten vier Chancen allesamt in Tore umgemünzt.

Nicht ganz falsch ist der relativierende Einwurf, dass Leverkusens jüngste Gala auch ein Verdienst des Gegners war, der im freundlichen Abstand betrachtete, was Bayer da so trieb. Eindrucksvoll bewiesen die Hessen, warum kein Ligateam auswärts so wenig gepunktet hat wie sie (sieben Zähler in zwölf Versuchen), und man konnte verstehen, warum Adi Hütter "sehr sauer" war: Diese Art, Zweikämpfen aus dem Weg zu gehen, konnte der Trainer seinen Spielern unmöglich mitgegeben haben. Abwehr-Dynamo Martin Hinteregger glaubt längst an ein psychologisches Problem: "Wir gehen ins Spiel rein und denken: ,Schon wieder auswärts. Wir würden lieber daheim spielen.'" Dass in der Arena zwei Teams agierten, die noch in drei Wettbewerben vertreten sind, hätte ein Außenstehender kaum geglaubt. Für die Eintracht, die ihr 43. Pflichtspiel der Saison bestritt (Paderborn zum Beispiel kommt auf 27, Bayer immerhin auf 37), scheint der Luxus der drei Hochzeiten längst zur Last geworden zu sein. Während Leverkusen sich auf den Trip zu den Glasgow Rangers freut, erwartet Frankfurt den FC Basel am Donnerstag mit gemischten Gefühlen. Aber wenigstens daheim.

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SZ vom 09.03.2020
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