Süddeutsche Zeitung

Verbandsarzt:"Verbote ergeben wenig Sinn"

Lesezeit: 3 min

Werner Krutsch über Regularien, Überbelastung und Langzeitschäden durch das Kopfballspiel.

Interview von Ludwig Haas

Der ehemalige englische Fußball-Nationalspieler Ryan Mason erlitt nach einem Zusammenprall während eines Spiels der Premier League einen Schädelbruch und lag zwei Tage im Koma. Daraufhin musste er mit erst 26 Jahren seine Karriere beenden. Jetzt fordert Mason neben mehr Aufmerksamkeit für Kopfverletzungen, dass Kinder im Fußball keine Kopfbälle mehr machen dürfen. Werner Krutsch ist Verbandsarzt des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) und führt momentan im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaften eine Studie durch, die sich mit den Auswirkungen des Kopfballspiels und dem Umgang mit Kopfverletzungen im Fußball beschäftigt.

SZ: Herr Krutsch, Ryan Mason fordert, dass Kinder gar keine Kopfbälle mehr machen sollten, beispielsweise wegen der häufig falschen Technik. Wäre ein Verbot oder eine stärkere Regulierung sinnvoll?

Werner Krutsch: Nein, für den Alltag ist das nicht praktikabel. Das größere Problem, und das hat Ryan Mason auch so dargestellt, sind ja ohnehin Kopfverletzungen. Man darf die Themen Kopfbälle und Kopfverletzungen nicht verwechseln. Wir sehen, dass letztere im Fußball häufig vorkommen. Die notwendige Ausfallzeit und Regeneration werden jedoch meist nicht ausreichend eingehalten. Das hat sich in den vergangenen Jahren zwar gebessert. Trotzdem spielen Profis oft einfach weiter.

Sind Kopfbälle dann also unabhängig vom Alter gesundheitlich unbedenklich?

Das können wir nicht beweisen. Dafür müsste es Hinweise und konkrete Beispiele geben, dass das Kopfballspiel an sich gefährlich ist.

Wie kann das rausgefunden werden?

Man braucht Langzeitstudien mit denen belegt werden könnte, dass Spieler, die vor 30 Jahren Kopfbälle gemacht haben, jetzt gesundheitliche Probleme davon haben. Meist zeigen Studien aber nur die Wirkung auf den Kopf und selten, was sich dadurch im Gehirn abspielt.

In den USA wurde in den sogenannten "Concussion Guidelines" die Regel eingeführt, dass Kinder unter elf Jahren keine Kopfbälle mehr machen dürfen. Für die Altersgruppe von zwölf bis 13 gibt es auch Limitierungen. Warum eignet sich diese Studie nicht als Vorbild?

Die Entscheidung aus den USA basiert nicht auf wissenschaftlichen Daten oder praktischen Erfahrungen. Das ist nur eine Reaktion auf die Vorkommnisse im American Football. Die relativ kleinen US-Fußball-Verbände haben darauf radikal reagiert. In Europa ist das mit der besseren und längeren Erfahrung ganz anders.

Also ist die Situation im Football und im Fußball schwer zu vergleichen?

Durch die Historie an Kopfverletzungen im Football wird das deutlich intensiver untersucht. Mit den Auswirkungen vom reinen Kopfballspiel ist das kaum zu vergleichen. Wir schauen gerade auch die Frequenzen beim Kopfballspiel an und sehen: Kinder haben eine deutlich niedrigere im Vergleich zu Profis. Es gibt Studien, die zum Beispiel beschreiben: Circa 50 Kopfbälle bei Schülern und Studenten zeigen Schwindel und Kopfschmerzen. Da muss dann aber auch die Frage gestellt werden: Wann macht ein Spieler das überhaupt?

Wie bewerten Sie solche Studien?

50 Kopfbälle am Stück wären für jeden unangenehm. Aber Überbelastung ist im Wachstum schon schwerer zu kompensieren. Fakt ist, dass übermäßiges Kopfballtraining direkt hintereinander nicht zu befürworten ist, da kommt es einfach auch auf die Dosis an. Nach 50 Schüssen würde einem auch mal der Fuß weh tun. Was einem bedenklichen Niveau entspricht, wissen wir nicht - da wir dieses Niveau nicht wirklich kennen. Studien dazu sind bisher widersprüchlich und stützen sich ausschließlich auf Symptome.

Sieht der Bayerische Fußballverband im Thema Kopfbälle eine Problematik?

Das ist auf jeden Fall ein Thema. Wir warten von sportmedizinischer Seite aber zunächst die Forschungsergebnisse ab. Was unsere Studie schon zeigt ist, dass es im Fußball bei Kindern kaum zu Situationen kommt, bei denen diese mit hohen Bällen konfrontiert werden. Deshalb ergeben Verbote weniger Sinn. Und Kopfverletzungen kommen oft zustande, wenn Kinder beispielsweise bei einem Einwurf einen Pulk bilden und dann gegeneinander rennen.

Herrscht dann im BFV Ihrer Ansicht nach kein Reformbedarf?

Nein, da es keine Beispiele für Langzeitschäden gibt. Sollte es wirklich Anzeichen für eine gesundheitliche Gefährdung geben, sollte man sich natürlich damit beschäftigen. Aber es gibt ja auch schon einige Vorkehrungen. Unterschiedliche Größen und Gewichte von Bällen sind bereits Standard in den Juniorenbereichen. Außerdem macht kaum einer noch klassisches Pendeltraining.

Also gibt es weder eine Dramatisierung noch eine vollständige Entwarnung. Aber müssen dann nicht präventiv Kopfbälle eingedämmt werden, bis fundierte Ergebnisse existieren?

Ohne konkrete Hinweise aus der Forschung kann ein elementarer Bestandteil des Fußballs nicht verändert werden, das halte ich schlichtweg für übertrieben.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2019
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