Natürlich wünscht sich ein Profisportler kaum etwas sehnlicher als den perfekten Abschied. Der richtige Zeitpunkt zum Aufhören ist ein Kunst-Stück, das ein Kunst-Werk von Karriere veredelt; oder besudelt, je nachdem. Man glaubt oft, auch wegen zahlreicher Filme zu diesem Thema, dass die beste Variante vor dem Ritt in den Sonnenuntergang ein Triumph sei. So wie es Pete Sampras gelang: Er schlug im US-Open-Finale 2002 noch einmal den großen Rivalen Andre Agassi, gegen den er im ersten Grand-Slam-Endspiel seiner Laufbahn zwölf Jahre davor gewonnen hatte, ebenfalls in New York. Sampras absolvierte danach keine Partie mehr, verkündete ein Jahr später seinen Rücktritt und ließ sich bei den US Open als Zuschauer noch mal so richtig feiern.
Niemand möchte als letzten Eindruck eine Abreibung hinterlassen und damit den mitleidig-erleichterten Gedanken der Zuschauer: Gut, dass es vorbei ist.
Venus Williams hat am Dienstag ihr Doppel mit Leylah Fernandez verloren. Genauer: Sie sind vom Platz gefegt worden von Katerina Siniakova (Tschechien) und Taylor Townsend (USA), dem derzeit besten Duo der Welt. 1:6, 2:6 hieß es am Ende; die Partie war noch eindeutiger, als es das Ergebnis vermuten lässt. Erbarmungslos waren die Favoritinnen, so wie Venus Williams oft erbarmungslos mit ihren Gegnerinnen gewesen ist auf ihrem Weg zu 23 Grand-Slam-Titeln: sieben im Einzel, 14 im Doppel, zwei im Mixed. Der schlimmstmögliche Albtraum, sollte man meinen. Aber das Gegenteil war der Fall. 10 000 Leute im Louis Armstrong Stadium verabschiedeten Williams und Fernandez mit Ovationen im Stehen.
Die 45-jährige Venus Williams lässt die Frage nach ihrer Zukunft offen
Williams, 45, hatte sich bereits am Eröffnungsabend in der größten Tennisarena der Welt wacker geschlagen, im Einzel hatte sie die an elf gesetzte Karolina Muchova (Tschechien) zum Entscheidungssatz gezwungen. Im Doppel gewannen Williams und Fernandez dann drei Partien. Niemand war nach diesem Viertelfinale erleichtert, dass es endlich vorbei ist. Die einstimmige Meinung auf der Anlage in Flushing: Wäre schön, wenn es noch ein bisschen weitergehen würde für Venus!
Und das könnte es selbst jetzt noch. Die Antwort von Williams auf die Frage zu ihrer Zukunft im Tennissport lautet: „Ich weiß es wirklich nicht.“ Sie wird jedenfalls keine weiten Reisen mehr unternehmen wegen des Sports. Möglichkeiten wären also die Frühjahrsturniere 2026 in Kalifornien und Florida – oder ein Sommer in Nordamerika mit dem Grand-Slam-Turnier in New York als abschließendem Höhepunkt. Vielleicht macht es Venus Williams aber auch wie Pete Sampras: Zwölf Monate lang alle rätseln lassen, dann den Abschied verkünden.
Wenn man in New York sah, wie sie fröhlich lächelnd zum Jubel der Leute aus der Arena schritt und ihnen danach ein Rätsel hinterließ: Ist das nicht auch ein toller Schlussakt? Wenn alle bei diesem möglicherweise letzten Auftritt gedacht haben: Schade, dass es schon vorbei ist? Schon das allein ist ein Kunstwerk, das Venus Williams da erschaffen hat.

