Segeln:Zum Vorhof der Hölle und zurück

Segeln: Pechschwarz und mit Tragflächen: Mit seiner hypermodernen Yacht könnte der Brite Alex Thomson die Vormachtstellung der französischen Skipper bei der Vendée Globe brechen.

Pechschwarz und mit Tragflächen: Mit seiner hypermodernen Yacht könnte der Brite Alex Thomson die Vormachtstellung der französischen Skipper bei der Vendée Globe brechen.

(Foto: Jean-Francois Monier/AFP)

45 000 Kilometer alleine auf dem Meer, ohne Stopp und ohne fremde Hilfe: Die Vendée Globe ist eine der letzten großen Verrücktheiten unserer Zeit. Gut im Rennen liegt Boris Herrmann, der Greta Thunberg nach New York segelte.

Von Thomas Gröbner

Im Prinzip sei es ja ganz einfach: "Runter, rüber, hoch", sagte Jean Le Cam vor dem Start. Vielleicht muss man die größte Regatta der Welt kleinreden, wenn man dabei schon einmal auf den Tod gewartet hat. Und trotzdem ist der 61-Jährige mit den Bob-Dylan-Haaren, den Schraubstockhänden und den Teddybären an Bord natürlich wieder dabei bei der Weltumrundung. Er kann ja nicht anders: "Entweder man ist Segler oder man ist kein Segler."

Denn in Wahrheit ist die Vendée Globe eine der letzten großen Verrücktheiten unserer Zeit. Oder wie sollte man so eine Regatta sonst beschreiben, bei der die Teilnehmer wissen, dass die Hälfte wohl nicht ankommen wird?

1989 hat sich der Franzose Philippe Jeantot diesen Wahnsinn ausgedacht, seitdem beginnt alle vier Jahre in Les Sables-d'Olonne an der Atlantikküste ein Wettrennen um die Welt: 45 000 Kilometer müssen alleine, ohne Stopp und ohne fremde Hilfe gesegelt werden.

Die Route ist grausam - und die Umrundung des ewigen Eises der Antarktis gefürchtet. Nach dem Kap der Guten Hoffnung führt der Kurs entlang der Eisgrenze durch das Südpolarmeer, an Australien und Neuseeland vorbei in den Pazifik. Dann wartet Kap Hoorn, für manche der "Vorhof der Hölle": Pazifik und Atlantik umarmen sich dort, wütende Winde treiben die Wellen ungehindert auf die Schiffe. Wer hier vorbeikommt, nimmt einen Schluck Whiskey auf die Verblichenen am Meeresgrund; auch um Neptun gnädig zu stimmen. Nach Norden geht es auf die Zielgerade - zurück nach Les Sables-d'Olonne. Ein neues Jahr wird begonnen haben, bis der Sieger in den Hafen einfährt. 74 Tage, das ist der bisherige Rekord.

Viele werden wohl nicht ankommen. Schlafmangel, Eisberge, haushohe Wellen, Wale: Die See ist unerbittlich und das Glück zerbrechlich, davon kann der französische Top-Skipper Nicolas Troussel erzählen: Vor den Kapverden knickte der Mast seiner Hightech-Yacht ein. Auch den Favoriten Jérémie Beyou traf es: Er musste nach einer Kollision umkehren. Im Hafen von Les Sables-d'Olonne schaffte er es tatsächlich, sein Schiff wieder flott zu kriegen und die Verfolgung aufzunehmen. Der Japaner Kojiro Shiraishi versucht derweil verzweifelt, auf offener See sein Großsegel zu flicken.

Ein Wettkampf um des Wettkampf willens? Heute nicht mehr genug

Das ganze Durcheinander nutzte der schrullige Seebär Le Cam mit seinem in die Tage gekommenen Boot Yes We Cam. Er beherrschte anfangs das Starterfeld von 33 Skippern, darunter sechs Frauen, nun aber wird deutlich, das auch das Feld der Vendée Globe eine Zweiklassengesellschaft ist. Vorne liegen die Schiffe, die mit ihren Tragflächen über die Wellen fliegen können, dahinter der Rest. Dabei scheint es, als würde die technisch überlegene Konkurrenz ihre Flügel noch schonen, und doch ist das Feld schon weit auseinandergezogen.

Boris Herrmann, 39, der bislang erste deutsche Teilnehmer, liegt auf Platz sieben gut im Rennen. Er hatte auf seiner Yacht Greta Thunberg nach New York chauffiert, als Probelauf für die Vendée Globe und als Marketingcoup. Nun soll das Schiff um die ersten Plätze segeln - und während der Regatta Daten für die Forschung zum Klimawandel sammeln. Die Deutschfranzösin Isabelle Joschke hat ihr Rennen unter die Flagge der Gleichstellung der Geschlechter gesetzt. Ohne theoretischen Unterbau geht es nicht mehr, ein Wettkampf um des Wettkampf willens? Heute nicht mehr genug.

Vor der Einhand-Weltumseglung Vendée Globe

„Etwa 500 Menschen waren im All. Aber nur rund 100 haben die Welt alleine und nonstop unter Segeln bezwungen. Das ist die Herausforderung“: Boris Herrmann, 39, ist der erste Deutsche bei der Vendée Globe.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Früher war das anders. Robin Knox-Johnston, der erste Nonstop-Weltumsegler tat es, "weil ich es verdammt noch mal wollte, und ich hatte gründlich Spaß". Eine Ewigkeit von 312 Tagen dauerte die Regatta, die als Vorbild der Vendée Globe dient. Von neun Startern kam nur Knox-Johnston ins Ziel, sein härtester Konkurrent, der unglückselige Donald Crowhurst, nahm sich damals wohl das Leben, weil er seine eigene Betrügerei nicht aushielt. Er hatte das Logbuch manipuliert und war einfach umgedreht im Atlantik. "Es ist das Ende meines Spiels. Die Wahrheit ist offenbart worden", schrieb er in seinen Aufzeichnungen, die man auf seinem verwaisten Boot fand.

Der Alltag an Bord ist gut ausgeleuchtet

Heute passiert nichts mehr im Verborgenen. GPS-Daten senden die Positionen, Rettung ist im Zweifel leichter zu organisieren. Und der Alltag an Bord ist gut ausgeleuchtet. Man erfährt in Videoschalten, was Boris Herrmann frühstückt (Porridge), aber wie die Zweifel auch an ihm nagen: "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil mich die Sorgen aufgefressen haben", berichtet Herrmann, als der erste 60-Knoten-Sturm über das Feld fegte. Ein Windstoß, schon drehte sich sein Boot durch den Wind. Und Herrmann? Steckte in seinem Schlafsack fest. "Ab jetzt lasse ich den Reißverschluss offen." Es sind die kleinen Dinge, die auf der Weite des Wassers entscheiden.

Doch der Mythos der Vendée Globe schöpft sich aus den dunklen Momenten, in die trotzdem ein wenig Licht dringt. Als der Franzose Bertrand de Broc sich einen Teil seiner Zunge abbiss - und sich wieder annähte, Stich für Stich, über Funk angeleitet von einem Arzt. Oder als Jean Le Cam 2009 vor Kap Hoorn kenterte und 16 Stunden in einer Luftblase unter dem Kiel seines Bootes aushielt, bis sein Konkurrent Vincent Riou umdrehte und ihn aus dem Wasser zog - und sich beide nach Feuerland retteten. Der Beginn einer großen Freundschaft, natürlich.

Manchmal aber konnten auch grelle Suchscheinwerfer kein Licht bringen ins Schicksal der Unglücklichen. Der Brite Nigel Burgess verschwand in der ersten Nacht der Regatta 1992. Fünf Jahre später setzte der Kanadier Gerry Roufs als Zweiter einen Notruf im Südpolarmeer ab, die Wellen seien "so hoch wie die Alpen". Es war das Letzte, was man von ihm hörte. Teile seines Bootes wurden ein halbes Jahr später vor der chilenischen Küste gefunden.

Seitdem hat sich viel getan. Die Schiffe sind schneller und sicherer, die Routen führen um die Eismeere und weg von verkehrsreichen Abschnitten. Nur eines ist gleich geblieben: Am Ende gewinnt ein Franzose.

Nun allerdings scheint sich auch diese Gewissheit aufzulösen. Denn der Brite Alex Thomson sitzt bei seiner fünften Teilnahme in einem pechschwarzen hypermodernen Foiler, er muss sich nicht mal nass machen, um die Segel zu trimmen. Über 200 Kilometer liegt er vor Le Cam, 400 Kilometer sind es auf Boris Herrmann. Wer bei der Vendée Globe ins Ziel kommt, ist ein Sieger, so heißt es unter Seglern. Das mag für die anderen gelten. "Siegen", sagt Thomson, "heißt für mich gewinnen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: