Letzter Segler bei Vendée Globe:Der fliegende Finne landet

Letzter Segler bei Vendée Globe: Die Seenotfackeln braucht er jetzt nicht mehr: Ari Huusela im Ziel in Les Sables-d'Olonne.

Die Seenotfackeln braucht er jetzt nicht mehr: Ari Huusela im Ziel in Les Sables-d'Olonne.

(Foto: Loic Venance/AFP)

Boris Herrmann ist längst zurück in Hamburg, doch die Vendée Globe endet erst jetzt. Als Letzter läuft Amateursegler Ari Huusela ein - und erhält einen feierlichen Empfang.

Von Thomas Gröbner

Den letzten Verrückten empfingen sie in Les Sables-d'Olonne wie einen Sieger: Die finnische Fahne war gehisst worden auf der Burg am Hafen, Menschen säumten die Straßen, die Einwohner des Städtchens an der französischen Atlantikküste strömten wie für jeden einlaufenden Segler der Vendée Globe an den Kanal. Am Freitagmorgen kamen sie zum letzten Mal, um Ari Huusela zu sehen: Nach 116 Tagen und 17 Stunden kam der fliegende Finne aus Helsinki an bei der Weltumseglung, als Letzter, fünf Wochen nach dem Sieger. Den Spitznamen hat er sich nicht auf dem Meer verdient, sondern in der Luft, als Pilot von Finnair fliegt er Langstrecke über den Atlantik. Im Cockpit hatte der 58-Jährige davon geträumt, den Wellen näher zu sein, die Welt auf dem Wasser zu umrunden. "Ich dachte immer, das ist nichts, was ein Mensch schaffen kann. Und jetzt bin ich hier", waren seine ersten Worte nach der Ankunft.

Huusela war nicht angetreten, um Rekorde zu brechen. Sein Ziel war nur, anzukommen und sein Boot im besten Zustand zurückzubringen, sonst drohe eine "persönliche Finanzkrise". Erst kurz vor dem Rennstart konnte eine Versicherung für das Schiff noch bezahlt werden, immerhin 175 000 Euro Selbstbehalt sind dabei inkludiert. Seine Kinder waren wenig begeistert von seinem Abenteuer, seine Tochter wollte ihm das Segeln ausreden, die Freunde seines Sohnes hielten ihn für durchgeknallt, erzählte Huusela. Nicht schlimm, findet der Finne, "es gibt viele Verrücktheiten in dieser Welt".

Als einziger Amateursegler neben dem spanischen Feuerwehrmann Didac Costa hatte er sich bei der härtesten Solo-Regatta der Welt durch Wellentäler und Sturmtiefen geschlagen, und er musste viel lernen für die Einsamkeit: Sich selbst Wunden zu nähen und Spritzen zu setzen; er hat auch an der Universität Helsinki im Schlaflabor gelegen, um sich vorzubereiten. Der Konkurrenz war er unterlegen, das war ihm klar: "Ich wusste, ich würde weit hinter den anderen sein." Während der Deutsche Boris Herrmann längst bei Markus Lanz plauderte, goss sich Huusela mit heißem Wasser Trockennahrung im Atlantik auf: "Ich habe mir nicht die Mühe gemacht zu kochen, während ich nach Donner Ausschau hielt", sagte Huusela dazu.

Der Favorit Beyou lernt die Freude am Segeln neu, als er ohne Chance ist

Sein Rennen war einsam, manchmal ging für die anderen die Sonne auf, während sie für Huusela noch nicht untergegangen war. Die Laune des zähen Finnen war trotzdem unverwüstlich: "Grüße vom superglücklichen Segler", so endeten seine Videobotschaften zuletzt.

Seinen Platz zu finden und Frieden zu machen mit dieser Regatta, das ist für viele beschwerlicher als Flauten und Stürme. Der Favorit Jérémie Beyou lernte das auf die harte Tour. Nach einem frühen Schaden segelte er ohne Siegchancen hinterher: "Ich wollte so sehr gewinnen, dass ich die Freude am Segeln vergessen hatte, ich war kaum noch ich selbst", sagte der 44-Jährige nach seiner vierten Vendée Globe. Nun habe er eine Seite entdeckt, die er tief in sich unterdrückt hatte, glaubt Beyou. Er lernte, hinterherzufahren, das Segeln zu genießen: "Es war ein großer Sieg über mein Selbst."

Auch der Britin Samantha Davies war viel zugetraut worden, doch sie segelte nach einer Kollision vor dem Kap der Guten Hoffnung außer Konkurrenz und kam eine Woche vor Huusela ins Ziel. Vorher zog sie mit ihrem Boot noch eine Schleife, sie schrieb eine Botschaft aufs Meer, die erst über die Positionsdaten entziffert werden konnte: ein Herz, als Dankeschön.

Jeder, der ankommt, ist ein Sieger, das ist der Kodex bei der Vendée Globe. Das ist ein Gedanke, der in vielen anderen Sportarten fehlt. Überrundete Biathleten werden schnell aus dem Verkehr gezogen, wer das Zeitlimit überschreitet bei der Tour de France, wird ausgespuckt vom Rennen. Der Besenwagen fährt hinterher und kehrt die Abgeschlagenen auf, so gnadenlos ist das in vielen Wettbewerben. Die Vendée Globe geht anders um mit ihren Letzten.

Ein Franzose drehte einst kurz vor dem Sieg wieder um: "Ich bin voll von falschen Göttern"

Doch in der Geschichte dieser Jagd um die Welt gab es monströse, zehrende Rennen, und für manche wurde der Druck zu mächtig. Der Franzose Bernard Moitessier war im März 1967 der Erste, der drauf und dran war, die weltumspannende Jagd ohne Stopp zu gewinnen - bis er beschloss, umzudrehen. Er wollte dem Trubel und dem Ruhm entgehen, der in Frankreich auf ihn gewartet hätte. Die englische Zeitung Sunday Times hatte das Golden Globe Race ausgeschrieben, das nun als Vorbild für die Vendée Globe dient, und lange hatte sich Moitessier einspannen lassen in die Jagd. Irgendwann reifte die Erkenntnis: "Rekorde", schrieb Moitessier, "sind eine dumme Idee auf See", eher er umdrehte. "Ich bin voll mit falschen Göttern", notierte er, und floh mit seinem Boot in die Einsamkeit der Südsee auf Tahiti.

Huusela gehört nicht zu den Asketen und Weltflüchtigen, er freut sich auf den Trubel in der Heimat: "Mein Leben wird anders sein, so viele Menschen wissen jetzt, wer Ari Huusela ist." Er ist der erste Finne bei der Vendée Globe, er hat deshalb ein Buch geplant und ein Liste mit Leckereien parat, die er essen will an Land: Profiteroles mit Creme, danach Mousse au Chocolat und Crêpes mit Karamell.

Die süße Nachricht kam schon vor dem Ziel an: Huusela würde wieder zurückkehren können in seinen Job. Den Atlantik sieht er also wieder von oben. Und er wird sich wundern, wie klein die Wellen aussehen von dort.

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