Vedad Ibišević im Interview:"Die hässlichen Tore gefallen mir am besten"

Vedad Ibišević im Interview: Vedad Ibišević vom VfB Stuttgart feiert ein Tor. Der Stürmer hat die bosnische Nationalmannschaft zur WM geschossen.

Vedad Ibišević vom VfB Stuttgart feiert ein Tor. Der Stürmer hat die bosnische Nationalmannschaft zur WM geschossen.

(Foto: imago sportfotodienst)

Überall, wo er spielt, schießt er Tore. Im SZ.de-Gespräch erklärt Vedad Ibišević vom VfB Stuttgart, warum das seit Kindertagen schon so ist und warum der FC Bayern mit Mario Mandžukić besser spielt als ohne echten Stürmer.

Von Matthias Schmid

Vedad Ibišević, 29, hat zuletzt die bosnisch-herzegowinischen Nationalmannschaft mit seinem Tor in Litauen zur Weltmeisterschaft in Brasilien im kommenden Jahr geschossen. Der Stürmer vom VfB Stuttgart spricht im Interview über das, was er am liebsten macht: Tore schießen

SZ.de: Herr Ibišević, Sie haben in Ihrer Karriere schon viele Tore geschossen. Können Sie sich noch an Ihr erstes in einem offiziellen Spiel erinnern?

Vedad Ibišević: Sehr gut sogar. Das muss so 1996 gewesen sein in Tuzla. Es war die Zeit nach dem Krieg, als sich das Leben langsam zu normalisieren begann. Wir konnten es kaum erwarten, wieder in echten Trikots und mit richtigem Schiedsrichter auflaufen zu dürfen. Wir waren alle so glücklich. Endlich ging es um etwas. Bis dahin kannten wir nur Training und Freundschaftspiele. Es war ein Spiel in der höchsten Liga. Wir haben zu Hause gespielt und 3:0 gewonnen, ich habe dann noch ein zweites Tor gemacht.

Wie haben Sie Ihr Tor gefeiert?

Ich habe gejubelt wie Fabrizio Ravanelli, der damals bei Juve spielte. Ich habe mir das Trikot über den Kopf gezogen und wusste gar nicht mehr, wohin ich laufe.

Wollten Sie schon immer nichts anderes tun, als Tore zu schießen?

Damals spielte ich im Mittelfeld, halb rechts. Aber nach jedem weiteren Tor war mir klar, dass ich weiter vorne spielen wollte, als Stürmer. Dieses Gefühl des Toreschießens war unbeschreiblich schön.

Was ist das Faszinierende an dem Moment nach einem Tor?

Das ist ein super Gefühl. Das ist sehr schwierig zu beschreiben. Ich kann auch nichts Vergleichbares finden. Es ist auch unwichtig, ob man im Training trifft oder in einem wichtigen Spiel. Es ist immer wieder überragend.

Die Freude ist bei Ihnen noch die Gleiche wie damals in Tuzla?

Ganz genau. Bei wichtigeren Spielen sind heute allerdings noch viel mehr Emotionen dabei.

Schauen Sie sich Ihre Tore nach den Spielen im Fernsehen oder auf DVD an?

Unmittelbar nach dem Spiel sehe ich mir die Treffer noch ein-, zweimal an. Ich will wissen, wie sie gefallen sind.

Boris Becker hat einst den Centre Court von Wimbledon als sein Wohnzimmer bezeichnet, würden Sie den Strafraum als Ihr Wohnzimmer betrachten?

Ich habe grundsätzlich in jedem Stadion, in jedem Strafraum ein gutes Gefühl. Aber zu Hause ist es besser, man bekommt als Spieler die Unterstützung der Fans mit. Aber egal wo: Um Tore zu schießen, brauche ich ein gutes Gefühl, die Ruhe vor dem Tor ist wichtig. Du musst ganz bei dir selbst sein.

"Ich war immer Fan von Jari Litmanen"

Kann man sich dieses besondere Gespür fürs Toreschießen antrainieren oder ist einem diese Gabe gegeben?

Abschlüsse kann und muss man immer trainieren. Daran habe ich sehr viel gearbeitet. Das fliegt einem nicht zu.

Haben Sie sich von Vorbildern was abgeschaut?

Ich habe mir verschiedene Dinge abgeschaut und versucht, diese im nächsten Training umzusetzen. Meine Vorbilder wechselten allerdings mit der Zeit. Ich war immer ein Fan von Ajax Amsterdam mit Patrick Kluivert und Jari Litmanen. Später von Ronaldo.

Und heute? Schauen Sie sich auch Ihre Konkurrenten an wie Mandžukić, Huntelaar oder Lewandowski?

Es ist jetzt nicht so, dass ich mir Spiele aufnehme und dann genau analysiere, wie sie spielen. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, schaue ich meinen Stürmerkollegen zu, auch in den ausländischen Ligen. Mich interessiert schon sehr, was sie machen und wie sie manche Situationen lösen. Ich will mich ja stetig weiterentwickeln und verbessern.

Sie verfolgen bestimmt die Debatte um den "richtigen" oder "falschen" Neuner. Befürchten Sie, dass es Vollblutstürmer wie Sie bald nicht mehr gibt?

Die echten Neuner bleiben immer, sie sterben nicht aus. Die Debatte ist nicht so wichtig. Nehmen wir das Beispiel Mandžukić beim FC Bayern. Er hat schon so viele wichtige Tore für den Klub gemacht, ich denke nicht, dass sie ohne ihn besser gespielt haben. Oder nehmen Sie Barcelona: Sie haben in den vergangenen Jahren mit Messi vorne gespielt - ich glaube, dass sie mit Eto'o besser waren. Und sie überlegen gerade, wieder einen richtigen Neuner zu verpflichten. Es ist schwierig zu sagen, was richtig oder falsch ist. Aber ich bin der Meinung, dass man Spieler, die Tore schießen, immer in der Mannschaft brauchen wird.

In Ihrer Karriere ist auffällig, dass Sie überall, wo Sie spielten, Ihre Tore machten. Nur für Paris Saint Germain gleich zu Beginn Ihrer Karriere trafen Sie nicht. Ist die erste Station im Profiußball die schwerste?

Am Anfang war es nicht einfach für mich, weil ich kaum eine Chance hatte zu zeigen, was ich kann. Ich durfte nur zehn, 15 Minuten spielen und in denen wollte ich zu viel. Im Rückblick weiß ich, dass das ganz normal ist. Du brauchst Geduld und ein gesundes Selbstvertrauen, du wirst ja nur an deinen Toren gemessen.

Welche Fähigkeiten braucht denn ein Strafraumstürmer am meisten?

In erster Linie muss man körperlich fit sein. Das ist die Grundvoraussetzung für alles. Schnelligkeit in den Beinen ist nicht so wichtig, dafür die Schnelligkeit im Kopf. Stürmer müssen Spielzüge schon früher als alle anderen vorausahnen. Dieser Bruchteil ist entscheidend dafür, ob man ein Tor macht oder nicht.

"Jeder Stürmer muss egoistisch sein"

Einer, der zwar kein Strafraumstürmer ist, aber auch gerne Tore schießt, ist Ihr Mannschaftskollege, der 17-jährige Timo Werner. Bringt der alle Voraussetzungen fürs Toreschießen mit?

Das ist schwer zu sagen. Er ist kein richtiger Neuner, der im Strafraum auf seine Chancen lauert. Er ist viel schneller als ich und kommt über den Flügel.

Sucht er den Kontakt mit Ihnen, um zu lernen?

Nicht so oft. Aber wir sind alle für ihn da. Ich finde es unheimlich wichtig für jüngere Spieler, sich mit älteren Profis auszutauschen. Er traut sich im Moment noch nicht so richtig. Aber das wird ganz bestimmt noch kommen.

Gegen Freiburg hat Sie Timo Werner im Strafraum übersehen und hat lieber selbst geschossen. Was wäre denn mit ihm passiert, wenn er nicht getroffen hätte?

Das wäre nicht gut für die Mannschaft gewesen. Er hat nach dem Spiel auch eingesehen, dass es sicherer gewesen wäre, wenn er mir zugepasst hätte. Das sind solche Dinge, die er noch lernen muss. Ich bin mir sicher, dass er beim nächsten Mal abspielen wird.

Muss ein Stürmer nicht eigensinnig sein?

Jeder Stürmer muss egoistisch sein, aber es gibt Situationen, in denen man abspielen muss.

Was sind für Sie schöne Tore?

Ich bin nicht für Tore außerhalb des Strafraums bekannt. Ich freue mich aber über Treffer besonders, wenn ich an der richtigen Stelle stehe und den Abpraller reinmache. Das ist kein schönes Tor, aber es zeigt einem Stürmer, das man den Angriff richtig vorausgeahnt, gut antizipiert hat. Es sind die hässlichen Tore, die mir am besten gefallen.

Das wichtigste Tor Ihrer Karriere haben Sie neulich erst erzielt?

Mein Siegtreffer in der WM-Qualifikation in Litauen war tatsächlich mein wichtigstes, weil wir uns dadurch einen Traum erfüllt haben, bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein. Das war unglaublich wichtig.

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