Valentino Rossi:Fehltritt, der die WM kosten kann

  • Vor dem Finale der Motorrad-WM zieht der führende Valentino Rossi vor den Internationalen Sportgerichtshof.
  • Nach einem vermeintlichen Tritt gegen Marc Márquez wurde Rossi in die letzte Startreihe verbannt - es geht um den Titel.
  • Die Ereignisse spalten die Motorsportwelt.

Von René Hofmann

Inzwischen hat die Eskalation einen Grad erreicht, der nun wirklich bemerkenswert ist. Am Sonntag findet in Valencia das finale Rennen der Motorrad-WM 2015 statt. In der MotoGP, der Königsklasse, kommt es zu einem echten Showdown zweier Schwergewichte: Valentino Rossi, bisher mit neun Titeln dekoriert, aber inzwischen schon 36 Jahre alt, trifft auf Jorge Lorenzo, der im Alter von 28 Jahren schon vier Titel gesammelt hat. Ein Duell wie gemalt für ein großes Abschlussfeuerwerk: Der erfahrene Gesandte der großen Motorrad-Nation Italien gegen die aufstrebende Kraft der großen Motorrad-Nation Spanien - ohne dass dem Material die entscheidende Rolle zukommt; beide reiten eine Yamaha.

Normalerweise lässt sich die Rennserie so eine Gelegenheit nicht entgehen, um noch einmal so richtig die Werbetrommel zu rühren. Normalerweise präsentiert sie die Kombattanten donnerstags pünktlich um 17 Uhr zum verbalen Schlagabtausch auf offener Bühne. Am Circuito de la Comunitat Valenciana aber entfällt dieses Spektakel. Es wurde zu Beginn der Woche abgesagt.

Stattdessen werden Vito Ioppolito, der Präsident der Fédération Internationale de Motocyclisme (FIM), und Carmelo Ezpeleta, der Bernie Ecclestone des Motorrad-Rennsports, alle Fahrer versammeln, um ihnen eine Ansprache zu halten. Der Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt: "Die Ereignisse beim Großen Preis von Malaysia und die weiteren Entwicklungen in der folgenden Woche", heißt es - und überhaupt: "die Außergewöhnlichkeit der Umstände". So steht es wörtlich in der schriftlichen Begründung.

Der Fall beschäftigt den internationalen Sportgerichtshof

Die Motorrad-WM hat in ihrer Geschichte schon so einiges erlebt. Dass die zwei Top-Fahrer vor dem letzten Rennen aber gerade einmal sieben Punkte trennen (Rossi kommt auf 312 Zähler, Lorenzo auf 305), das hat es zuletzt im Jahr 1992 gegeben. Auch ohne die Ereignisse beim Großen Preis von Malaysia am 25. Oktober wäre die Entscheidung also schon eine prickelnde gewesen. Nach dem, was in Sepang geschah, ist sie nun eine explosive.

Bei dem Rennen verkürzte Lorenzo seinen Rückstand: Er wurde Zweiter vor Rossi, der auf dem Weg zu der Podiumsplatzierung mit einem anderen Spanier kollidiert war. Marc Márquez, 22, unmittelbar nach seinem Aufstieg in die höchste Kategorie 2013 zweimal mit dem WM-Titel dekoriert, in diesem Jahr aber mit Blick auf die Gesamtwertung chancenlos unterwegs, hatte Rossi behindert, wohl, um Lorenzo zu helfen. Zumindest hatte Rossi das so empfunden. 13 Runden vor dem Ziel waren er und Márquez sich in Kurve 14 dann so nahe gekommen, dass sie sich berührten. Márquez stürzte und schied aus, Rossi zog voller Genugtuung weiter.

Schon zuvor hatte Rossi über den 14 Jahre jüngeren Márquez gesagt, dieser "denke wie ein Kind: ,Wenn ich nicht gewinnen kann, dann du auch nicht'". Márquez' Team hatte nach dem Aus dann eine ziemlich eindeutige Pressemitteilung verschickt: "Márquez stürzt nach einem unsportlichen Tritt von Rossi", hieß es da.

Valentino Rossi

Valentino Rossi während des Grand Prix in Malaysia

(Foto: dpa)

Die Rennkommissare schlossen sich dieser Sicht im Prinzip an: Sie sprachen eine scharfe Verwarnung gegen Rossi aus und verurteilten ihn dazu, das Saisonfinale von der letzten Startreihe aus in Angriff nehmen zu müssen. Das ist ein großer Nachteil, den Rossi nicht hinnehmen will. Er hat beim Internationalen Sportgerichtshof Cas Einspruch gegen das Urteil eingelegt und hofft, dass der Fall bis zu den ersten Trainingsfahrten an diesem Freitag in Valencia verhandelt wird.

"Bei vielen Menschen hat er Respekt verspielt"

Die 16 WM-Punkte, die ihm der dritte Platz einbrachte, durfte Rossi behalten - was seinem Titelrivalen Jorge Lorenzo wiederum überhaupt nicht gefiel. Er sprach von einer "schlechten Entscheidung" und forderte, Rossi hätte "mindestens" ebenfalls null Punkte erhalten müssen. "Nicht nur bei mir, bei vielen Menschen hat er Respekt verspielt", so Lorenzo. Doch es gab auch andere Stimmen.

Der Italiener Andrea Iannone, der für Ducati fährt, schmückte seine Facebook-Seite am Tag nach der umstrittenen Aktion mit einem Rossi-Foto als Titelbild. "Er hat die Wahrnehmung des Sports verändert", glaubt Iannone, der meint: "Wir müssen dankbar sein, dass wir noch die Ehre haben, mit ihm zu fahren." Fürs Finale kündigte Iannone Unterstützung für seinen Landsmann an: "Natürlich würde ich Vale gerne helfen."

Offenbar ist er da nicht der einzige. Zwei Gesandte eines italienischen Satire-Magazins wurden gerade an Márquez' Haus in Katalonien vorstellig und wollten ihm einen Spott-Pokal überreichen. Dabei traten sie so entschlossen auf, dass es zu einem Handgemenge kam, bei dem der Sportler eine Schürfwunde am Hals erlitt. Erst die von Márquez' Familie alarmierte Polizei beendete den Spuk.

Honda legt Belege für Tritt vor - Yamaha widerspricht

Das Thema wird größer und größer, wozu auch die Unterstützer des vermeintlichen Unfallopfers beitragen. Zu Beginn dieser Woche legte Honda-Teamchef Shuhei Nakamoto die Datenaufzeichnung von Márquez Maschine offen und interpretierte gleich noch wortreich, was darauf seiner Meinung nach zu sehen ist: Márquez sei "bewusst an den äußeren Rand der Strecke" gedrängt worden. Bei dem Versuch, das Motorrad aufzurichten, habe sein Bremshebel einen Schlag erhalten: "Dadurch stürzte er", so Nakamoto, "wir glauben, dass Rossis Tritt diesen Schlag verursacht hat." Es dauerte nicht lange, bis Rossis Mannschaft eine Gegenrede formulierte: "Wir weisen die Aussagen zurück." Bei der Untersuchung sei schließlich keinesfalls festgestellt worden, dass Rossi das Motorrad des Rivalen getreten habe.

Es steht Ansicht gegen Ansicht. Selbst in der Formel 1 ist die Aktion ein Thema. Ferrari-Fahrer Sebastian Vettel findet, "Valentino hat das Richtige gemacht". Dem widerspricht Williams-Lenker Felipe Massa: "Er hat einen Fehler begangen." Für La Stampa bewegt sich dieser gar in sporthistorischen Dimensionen: "Valentinos Fußtritt ist wie Zidanes Kopfstoß, wie Tysons Biss", schreibt die Zeitung, "genervt, absurd, kindisch."

Angesichts der immer schriller werdenden Hintergrund-Musik hat Weltverbands-Chef Ioppolito bereits in der vergangenen Woche einen offenen Brief formuliert, in dem der Venezolaner viele mahnende Worte fand. "Die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit dem WM-Titel 2015 haben unserem Sport geschadet und die Atmosphäre vergiftet", schrieb Ioppolito, der fürchtet: "Wir entfernen uns von Stolz und Sportsgeist und damit vom Kern des Motorradsports."

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