In der Affäre um einen langjährigen Vertragsarzt des Olympiastützpunktes Thüringen wird nun bereits gegen einen zweiten Athleten wegen Verdachts auf unerlaubtes Blutdoping ermittelt. Dies bestätigte die Nationale-Anti-Doping-Agentur (Nada) der Süddeutschen Zeitung. "Es stimmt, wir haben nun in einem zweiten Fall, hier gegen einen Radsportler, Ermittlungen eingeleitet und werden jetzt in Kürze auch gegen ihn das Verfahren eröffnen", sagte Nada-Vorstandsmitglied Lars Mortsiefer.
Damit droht sich die Causa des Sportarztes Andreas Franke, der offenbar das Blut zahlreicher Eisschnellläufer, Radsportler und Leichtathleten mit UV-Strahlen behandelte und verbotenerweise reinjizierte, wie befürchtet zur größeren Dopingaffäre auszuweiten ( SZ 14.1.). Zuletzt hatte die Nada ein seit Sommer 2011 laufendes Verfahren gegen eine Erfurter Eisschnellläuferin bestätigt.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt seit Frühjahr 2011 wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz gegen Franke. Auf ihn waren Münchner Justizkollegen im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Unbekannt zur mutmaßlichen Dopingaffäre Claudia Pechstein gestoßen. Am Montag hatte sich Franke mit einer schriftlichen Stellungnahme gemeldet; dabei hatte er Dopingvorwürfe als "absurd" bezeichnet, die von ihm praktizierte UV-Blutbehandlung werde zur "Infektbehandlung" angewandt - und sei nicht leistungssteigernd.
Dies sei auch auf einem Anti-Doping-Seminar des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) "festgestellt" worden. Der DOSB und auch die Nada hatten Franke klar widersprochen. Schon auf einem Seminar im Herbst 2010 sei "ausdrücklich darauf hingewiesen" worden, dass laut des Kodex der Welt-Anti-Doping-Agentur ab 2011 jede Manipulation von Eigenblut verboten ist, hieß es vom DOSB.
Praxisgemeinschaft mit Tausch
Ohnehin ist die Frage, ob sich Franke - der bisher in seiner Erfurter Praxis keine Anfragen entgegennimmt - womöglich unkundiger darstellt, als er in Wahrheit ist. Der renommierte Heidelberger Zellforscher Werner Franke wundert sich jedenfalls über die diffus-relativierenden Darstellungen des Erfurter Namensvetters zur UV-Behandlung. "Das ist ganz klar eine seit fast drei Jahrzehnten benutzte Methode des Dopings, bekannt aus dem DDR-Sportsystem von Dynamo Berlin", betonte er auf Anfrage.
"Es ist eine Frechheit, wie hier gelogen wird, wie all die Jahrzehnte. Wenn man vor einem Wettkampf oder Training Blut - in der Regel sind es 50 Milliliter Konzentrat - zurückführt, wird die Sauerstoff-Kapazität erhöht. Und bezeichnend ist doch, dass bei den Winterspielen 2006 in Turin österreichische Biathleten damit bei einer Razzia aufflogen!"
Die "Methode der Ultraviolett-Behandlung des Blutes" tauchte schon in den Stasi-Akten zum Berliner Dopingprozess gegen Manfred Höppner ("IM Technik") auf; sie liegen der SZ vor. Der einstige Vize des Sportmedizinischen Dienstes in der DDR wurde für seine Rolle im Staatsdopingsystem verurteilt.
Pikanterweise ist der Erfurter Mediziner Franke, der nun jeden Dopingverdacht zurückweist, mit einem anderen Strippenzieher des DDR-Staatsdopings gut vertraut: Mit Horst Tausch unterhielt er nach SZ-Informationen jahrelang eine Praxisgemeinschaft in Erfurt. Tausch, ehedem Sektionsarzt des SC Turbine Erfurt, war als leitender Verbandsarzt am Doping der DDR-Schwimmer beteiligt und wurde im Jahr 2000 zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Frankes Praxispartner trat 2008 in den Ruhestand.
Nada geht von Verstoß aus
In Erfurt wird bisher nur gegen Andreas Franke ermittelt. Seit vielen Jahren begleitet er Spitzensportler; nach eigenen Angaben betreute er etwa im September 2001 "ein Hochgebirgstraingslager der Deutschen Eisschnellläufer in Vorbereitung der Olympischen Winterspiele". Von einer zweistelligen Zahl an Zeugen hatte die Justiz zuletzt gesprochen - diese Sportlerliste birgt Sprengkraft: Die Nada, die Akteneinsicht hat, könnte demnächst ein weiteres Dutzend Verfahren eröffnen.
"Um den Verstoß-Straftatbestand kommt man nicht umhin", findet Vorstand Mortsiefer. "Die Frage im Schiedsgerichtsverfahren ist, ob bei den Sportlern ein bewusstes Verschulden vorliegt." So habe sich die Eisschnellläuferin 2011 nach der Razzia bei Franke und im Stützpunkt Erfurt selbst angezeigt
Die Nada ist grundsätzlich der Ansicht, Blutmanipulation sei nicht erst mit der jüngsten Neufassung des Wada-Codes ab 2011 unzulässig - sondern schon durch die nationalen Code-Fassungen 2006 und 2009. Dass bisher nicht eine Vielzahl weiterer Verfahren eröffnet wurden, erklärt Jurist Mortsiefer mit den laufenden Verfahren.
"Die Frage ist für uns: Was kann man derzeit schiedsgerichtlich verwenden, ohne die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu gefährden?" Zudem ist davon auszugehen, dass die Nada angesichts ihres engen Finanzrahmens - der Bund will ihn 2013 sogar noch verkleinern - zunächst die Urteile zu den ersten beiden Verdachtsfällen vor dem Sport-Schiedsgericht abwartet.