Usain Bolt:Ebbe nach dem Schrei

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Der letzte Auftritt von Usain Bolt endet im Schmerz: In der 4x-100-Meter-Staffel sinkt er verletzt zu Boden und verlässt London ohne Goldmedaille. Die Zeit der Seriensieger ist fürs Erste vorbei.

Von Joachim Mölter, London

Samstagnacht ist Partynacht, gerade in London. Und deshalb war es kein Zufall, dass die Organisatoren der Leichtathletik-WM die Finals über 5000 und 4x 100 Meter der Männer auf diesen Samstagabend gelegt hatten. Die Ausrichter der globalen Titelkämpfe haben immer etwas Spielraum bei der Gestaltung des Zeitplans, und auch wenn die Weltmeisterschaften erst am Sonntagabend zu Ende gingen - diese beiden Rennen waren dazu auserkoren, die Stimmung im Stadion auf den Höhepunkt zu treiben.

Die 5000 Meter waren das letzte WM-Rennen für Mo Farah, 34, Großbritanniens bislang erfolgreichsten Leichtathleten, viermal Olympiasieger, sechsmal Weltmeister. Farah wird noch zweimal bei Diamond-League-Meetings laufen. Danach setzt er seine Karriere auf der Straße fort, bei den lukrativen Marathonläufen.

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Und die 4x 100 Meter boten natürlich Usain Bolt auf, den weltberühmten Sprinter aus Jamaika, achtmal Olympiasieger, elfmal Weltmeister, in seinem letzten Rennen. Bolt beendete in London seine Laufbahn, in acht Tagen wird er 31.

Dieser Samstagabend war also die letzte Chance, zwei Helden der Leichtathletik noch einmal in Aktion zu erleben, die Unbesiegbaren noch einmal siegen zu sehen und dann ihren Abschied zu feiern. 56 000 Zuschauer waren ins Olympiastadion gekommen - let's get the party started!

Block für Block waren die Menschen aufgesprungen, war ihr Gebrüll angeschwollen, als Mo Farah auf seiner letzten Runde an ihnen vorbeizog. Es sah aus und hörte sich an wie eine Welle, die ihn zum Sieg tragen sollte - und die langsam verebbte, als er bloß Zweiter wurde, im Spurt geschlagen von einem Äthiopier namens Muktar Edris. "Ich habe alles gegeben", sagte Farah, "am Ende war nichts mehr übrig." Er sprach über die Teamtaktik der Äthiopier, mit der sie ihn zur Strecke gebracht hatten: "Es waren drei gegen einen!" Wie gemein!

Aber ein noch größeres Drama sollte erst noch folgen.

Wieder sprangen die Menschen auf, wieder schwoll ihr Gebrüll an, als wenig später die 4x-100-Meter-Staffeln ihre Runde drehten. Diesmal mündete alles in ein entsetztes "Oooohhh", als Usain Bolt weit vor dem Ziel ins Straucheln kam, als er auf einem Bein hüpfte, einen Purzelbaum schlug und mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen blieb. Von seinen Lippen konnte man einen handelsüblichen englischen Fluch ablesen: "F...!" Jamaikas Teamarzt Kevin Jones diagnostizierte später "einen Krampf in seinem linken Oberschenkelmuskel", der Bolt niedergestreckt habe: "Aber ein Großteil seines Schmerzes kommt von der Enttäuschung über die Niederlage."

Usain Bolt hatte ja schon das 100-Meter-Finale verloren bei dieser WM, gegen die Amerikaner Justin Gatlin und Christian Coleman. Und nun hatte er seine Staffel gar nicht mehr ins Ziel gebracht. Es war ausgerechnet sein Bezwinger Gatlin, der vom Londoner Publikum auch am Samstag wieder ausgebuhte ehemalige Dopingsünder, der Bolt in Schutz nahm. Gatlin erzählte, dass die Sprinter länger als gewohnt auf ihren Start warten mussten, nachdem sie ihre Trainingsanzüge schon ausgezogen hatten. Die Siegerehrung der 5000-Meter-Läufer hatte sich hingezogen, weil noch ein Filmchen mit Mo Farahs größten Momenten über die Videoleinwände geflimmert war - und weil der dann auch noch seine Frau und drei seiner vier Kinder für Abschiedsfotos zu sich aufs Siegerpodest holte. "Es war ein bisschen frisch da draußen, bei mir hat sich die ganze Körperwärme verflüchtigt", erklärte Gatlin, "ich glaube, daher kam auch der Krampf bei Usain - dass er kalt rausgegangen ist." Selbst in seinem letzten Rennen blieb Bolt also einzigartig: 32 Läuferinnen und 32 Läufer waren an diesem kühlen Abend unterwegs in den Staffeln, nur bei ihm versagten die Muskeln ihren Dienst.

Aber wenn diese Leichtathletik-WM von London für etwas steht, dann dafür, dass nicht alles so gelaufen ist wie erwartet. Bemerkenswert viele Favoriten stürzten. Diese WM markiert wohl das Ende der Ära von Seriensiegern wie Bolt und Farah und das Comeback der Unvorhersehbarkeit, das den Sport ja viel mehr ausmacht als die Gewissheit über die Gewinner.

Diese Gewissheit weckt ja auch Zweifel; selbst der im Stadion gefeierte Farah sieht sich zunehmend Fragen ausgesetzt: Sein Aufstieg vom bloßen Finalteilnehmer zum Dauersieger ist verknüpft mit dem Wechsel zum amerikanischen Trainer Alberto Salazar. Gegen den ermittelt die Anti-Doping-Behörde der USA seit Längerem. Zu unrecht, klagte Farah immer wieder. Am Sonntag warf er britischen Reportern vor, sie würden seine Erfolge "zerstören".

Das Publikum findet trotzdem immer einen Grund für eine Party, am Samstag war es Großbritanniens Männer-Staffel: Die hatte das US-Team überlistet und das WM-Gold geholt, das von Farah erhofft worden war. Während die Briten umjubelt wurden, rappelte sich Bolt auf, schüttelte den Krampf aus dem Bein und verließ wortlos das Stadion. Auf der Bahn war ein Rollstuhl herbeigeschafft worden, der Anblick hatte ihm wieder auf die Beine geholfen. Als am Sonntagabend alle Rennen vorbei waren, als die große WM-Party vorüber war, ließen ihn die Organisatoren dann noch eine Ehrenrunde im Stadion traben, er sollte sich ordentlich verabschieden können von seinem Publikum. Usain Bolt grinste, er zwinkerte. Das waren die Bilder, die von ihm in Erinnerung bleiben sollten.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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