Usada gegen Lance Armstrong:"Das professionellste Dopingsystem, das der Sport je gesehen hat"

Die US-Anti-Doping-Agentur Usada legt ihre Ermittlungsakten im Fall Lance Armstrong offen. Das Ergebnis ist für den Radsport ein Desaster: Beweise und 26 Zeugen zeichnen das Bild einer ausgeklügelten Dopingverschwörung. Nun könnten Gerichtsverfahren unter Eid folgen.

Andreas Burkert und Thomas Kistner

File picture shows seven-time Tour de France winner Lance Armstrong awaiting the start of the 2010 Cape Argus Cycle Tour in Cape Town

Lance Armstrong, in Bedrängnis wie noch nie.

(Foto: REUTERS)

Ungeduldig wurde Lance Armstrong zuletzt, vor der avisierten Überstellung der Urteilsschrift zu seiner lebenslangen Sperre durch die US-Anti-Doping-Agentur (Usada) an den Radweltverband (UCI) hatte er die Ankläger zur vollständigen Offenlegung ihrer Akten aufgefordert. Der einstige Rekordsieger der Tour de France ließ über seine Anwälte einmal mehr verbreiten, die Dopingfahnder hätten ihre Beweise "einseitig verfälscht" und lieferten "eine ungeprüfte Version der Ereignisse".

Abgesehen davon, dass Armstrong sich ja weigerte, in einem Prozess vor einem unabhängigen Sportschiedsgericht seine Version darzulegen, kommt die Usada nun seinem Begehr nach. Ob dem 41-Jährigen das recht ist, muss bezweifelt werden. Schon der erste Extrakt der mehr als 1000 Aktenseiten, welche die Usada am Mittwoch an die UCI verschickte und komprimiert online stellte, darf als Beleg für einen gigantischen Schwindel gedeutet werden: Elf frühere Kollegen in Armstrongs Team gaben Doping zu, insgesamt bestätigen 26 Personen, darunter 15 Fahrer, das Usada-Urteil einer jahrelangen Doping-Verschwörung.

Kurz nach dem Posteingang bei der UCI, die nun wohl auch formal die Aberkennung von Armstrongs sieben Tour-Erfolgen bestätigen dürfte, veröffentlichte Usada-Chef Travis Tygart eine erste Inhaltsangabe zu den Ermittlungsergebnissen. Bei den elf früheren Teamkollegen, die Doping gestanden und Details zum Betrugssystem des einstigen Kapitäns offenbarten, handelt es sich zumeist um schon benannte Personen: Frankie Andreu, Michael Barry, Tom Danielson, der zuletzt offensiv an die Öffentlichkeit getretene Kronzeuge Tyler Hamilton, Armstrongs einstiger Freund George Hincapie (der sich am Mittwochabend öffentlich für Doping entschuldigte), Floyd Landis (der Auslöser der ursprünglichen Ermittlungen), Levi Leipheimer, Stephen Swart, Christian Vandevelde, Jonathan Vaughters und David Zabriskie.

Der Kanadier Barry fährt im Sky-Team des aktuellen Toursiegers Bradley Wiggins, kündigte aber jüngst seinen Rücktritt zum Saisonende an. Noch aktiv sind zudem Leipheimer (QuickStep), Vandevelde, Danielson, Zabriskie sowie deren Garmin-Teamchef Vaughters. Diese Profis sind vorerst gesperrt, vermutlich für sechs Monate.

Neben den Geständnissen, betonte Tygart, zählen zu den übersandten Unterlagen auch "direkte Beweise über Dokumente wie Banküberweisungen, E-Mails, wissenschaftliche Daten und Testresultate, die den Gebrauch, den Besitz und die Verteilung leistungssteigernder Dopingmittel durch Lance Armstrong und somit die enttäuschende Wahrheit der betrügerischen Aktivitäten des US-Postal-Teams - eines Teams, das Millionen amerikanischer Steuergelder erhielt - belegen".

Tygart resümiert, es handele sich bei Armstrongs Betrug um das "ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport jemals gesehen hat". Auch Vorwürfe, die über den Dopingtatbestand hinaus strafrechtliche Relevanz haben, finden sich: "Die Dopingverschwörung war professionell entworfen, um die Athleten unter Druck zu setzen, gefährliche Dopingmittel zu nutzen."

US-Politiker hatten die Usada attackiert

Die UCI hat jetzt 21 Tage Zeit, den Aktenberg zu sichten. Die Usada hatte alle Ergebnisse Armstrongs ab dem 1. August 1998 aberkannt, darunter seine sieben Tour-Siege. Der Weltverband wiederum, der im Verdacht steht, sein einstiges Zugpferd all die Jahre geschützt zu haben - angeblich sogar bei einer mutmaßlich positiven Dopingprobe bei der Tour de Suisse 2001 -, hatte zunächst Armstrongs Empörung geteilt und von einem unfairen Verfahren der Usada gesprochen. Später kündigte UCI-Chef Pat McQuaid an, im Falle klarer Beweise die Sanktionen übernehmen zu wollen.

Da sah die Sache schon anders aus: Armstrong hatte sich ja geweigert, vor dem Schiedsgericht zu kämpfen. Drei frühere Gefährten und Helfer hingegen, die noch beim Skandalteam RadioShack aktiven Johan Bruyneel (Teammanager) und Pedro Celaya (Arzt) sowie Alberto Contadors Trainer Pepe Marti, haben das Schiedsgremium angerufen. Tygart bestätigte am Mittwoch, dass dieses Trio dann "unter Eid" und in einem öffentlichen Prozess gegen die drohende Sperre argumentieren wird.

Wahrscheinlich wird auch Armstrong in den Zeugenstand gerufen, bis dahin dürfte er sämtliche Beweise seiner Jäger verinnerlicht haben. Den 202-seitigen Kern ihres Reports, den auch die Welt-Anti-Doping-Agentur und der Triathlon-Weltverband (dort startete Armstrong nach seinem Rücktritt als Radprofi 2011) erhielten, machte die Usada im Internet bereits am Mittwochabend zugänglich.

Die Lektüre wirft wohl auch ein trübes Bild auf die politische Landschaft in den USA . Schließlich hat die Usada nur eine Ermittlung fortgesetzt, die zunächst auf Justizebene lief - der kalifornische Bundesanwalt Andre Birotte, ein politischer Beamter und früher selbst ein Fitnesscoach, hatte sie im Februar überfallartig gestoppt. Im Alleingang, ohne Angabe von Gründen. "Ich weiß nicht, was da passiert ist", so Tygart, "es ist ein Mysterium." US-Politiker im Einflussbereich des Texaners hatten die Usada fortgesetzt attackiert, sie gebe viel zu viel Geld aus für die Ermittlungen. Jetzt bleibt abzuwarten, ob sich die Politiker mit demselben Eifer um die Staatsgelder sorgen, die in Armstrongs Postal-Stall für Betrugszwecke ausgegeben wurden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: