Usada-Bericht zum Fall Lance Armstrong:Wer nicht dopt, fliegt

Der Bericht der US-Anti-Dopingagentur Usada über Lance Armstrong und sein US-Postal-Team ist eine Tragödie für den Sport. Er offenbart ein System aus Druck und Angst: Die Athleten stehen vor der Wahl, leistungssteigernde Drogen zu nehmen oder aus dem Team zu fliegen. Wie konnte dieser gigantische Dopingfall jahrelang geheim bleiben?

Thomas Hummel

Der 10. Oktober 2012 wird in der Geschichte des Radsports vermutlich in Erinnerung bleiben als Tag der Wahrheit. Nach monatelangen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen hat die amerikanische Anti-Dopingagentur Usada ihren Bericht zum Fall des früheren US Postal Service Pro Cycling Teams (zu lesen als PDF hier) veröffentlicht. Die Geschichte, die dort auf 202 Seiten erzählt wird, ist eine Tragödie für den Sport.

Lance Armstrong, Hauptbetroffener des Berichts, reagierte bereits über den Online-Kanal Twitter: "Was mache ich heute Abend? Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, ungerührt, und denke über folgendes nach:" und anschließend verlinkt er auf die Internetseite seiner Krebsstiftung "Livestrong". Darin schreibt Armstrong, wie unglaublich stolz er sei, nun bereits 15 Jahre lang Krebspatienten geholfen zu haben. "Die Zukunft unserer Organisation leuchtet hell und ihr könnt euch darauf verlassen, dass wir den Kampf gegen Krebs mit größerer Intensität führen werden als je zuvor."

Das Engagement gegen den Krebs von Lance Armstrong ist bemerkenswert - und rührt daher, dass er selbst einmal eine Krebserkrankung überstanden hat. Danach wurde er zum erfolgreichsten Radfahrer der Geschichte, gewann sieben Mal die Tour de France. Doch abgesehen von seiner Stiftung Livestrong deutet derzeit wenig daraufhin, dass die Zukunft des Lance Armstrong hell leuchtet. Der Usada-Bericht legt eher nahe, dass nun ein ziemlich dunkler Abschnitt im Leben des 41-Jährigen beginnt.

Die Anti-Dopingagentur fasst zusammen, dass es im früheren US-Postal-Team das "ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport je gesehen hat", gab. Die Verschwörung sei professionell entworfen worden, um die Athleten unter Druck zu setzen, damit sie gefährliche Drogen nehmen. Das berichten insgesamt 26 Zeugen, darunter 15 Fahrer. Darüber hinaus bietet die Behörde viele Dokumente wie Bankauszüge, E-Mail-Korrespondenzen, Labortests und wissenschaftliche Gutachten auf.

Der Radprofi David Zabriskie berichtete, dass er 2003 von Teamchef Johan Bruyneel überredet worden sei, EPO zu nehmen ("Jeder macht das"). "Als ich in meine spanische Wohnung zurückkam, brach ich zusammen. Ich rief heulend zuhause an. Ich hatte dem Druck nicht standgehalten", erzählte Zabriskie. Armstrong selbst habe den Ex-Teamkollegen Tyler Hamilton in einem Restaurant körperlich bedroht ("Wir machen dein Leben zur verdammten Hölle"). Levi Leipheimers Frau habe er einschüchternde SMS geschrieben. Zudem habe er mehrfach versucht, andere Fahrer zu falschen eidesstattlichen Versicherung zu nötigen.

Den Druck, dem die Mitglieder des US-Postal-Teams ausgesetzt waren, beschreibt auch Christian Vande Velde. Armstrong habe ihm in dessen Appartement 2002 eine Standpauke gehalten und ihm gedroht: Sollte sich Vande Velde nicht strikt an die Anweisungen in Doktor Michele Ferraris Dopingprogramm halten, werde er seinen Platz im Team verlieren.

Der Bericht offenbart erstmals deutlich, was viele in der Radsport-Szene seit Jahren raunen: Doping war hier keine Frage des Wollens, sondern ein Zwang, dem sich alle Fahrer unterwerfen mussten. Das System ließ es weder zu, dass Fahrer nicht dopten, noch, dass jemand darüber sprach. Sanktion bei Zuwiderhandlung war stets der Rauswurf aus dem System. Wer Rad-Profi sein wollte, der musste dopen und schweigen.

Wie Armstrong Dopingproben umging

Travis Tygart, Chef der Usada, schreibt: "Viele Athleten haben uns ihr Dilemma geschildert: Dope oder du kannst nicht am Wettbewerb auf höchstem Niveau teilnehmen. Viele gaben ihre Träume auf und verließen den Sport, weil sie ihre Gesundheit nicht gefährden wollten. Das ist eine tragische Wahl, kein Sportler sollte sie treffen müssen." Er lobt den enormen Mut der Zeugen, nun die Wahrheit zu sagen und er warb darum, diesen Zeugen zu vergeben und sie zu schützen. "Die Athleten haben die Chance, einen starken Einfluss auf die Zukunft des Sports auszuüben."

Die Verschwörung beinhaltete die Mithilfe von Ärzten (Michele Ferrari und Gercia del Moral wurden lebenslang gesperrt, Teamarzt Pedro Celaya will ein öffentliches Schiedsgericht anrufen) genauso wie die Beteiligung des Teammanagers Johan Bruyneel und vier anderer Betreuer. Außerdem steht der Verdacht im Raum, dass der Radsportweltverband UCI geholfen hat, die Dopingpraktiken Lance Armstrongs und seines Teams zu verschleiern. Im Usada-Bericht geht es unter anderem um eine mögliche vertuschte Dopingkontrolle Armstrongs im Jahr 2001 bei der Tour de Suisse. Demnach habe Martial Saugy, Chef des Anti-Doping-Labors in Lausanne, der Usada bestätigt, dass mehrere Proben der Schweiz-Rundfahrt 2001 verdächtig auf das Blutdopingmittel Epo seien. Die UCI habe ihm mitgeteilt, dass eine der Proben von Armstrong sei. Der Fall wurde nicht weiter verfolgt.

Floyd Landis und Tyler Hamilton hatten bei ihren Geständnissen ausgesagt, dass Armstrong mittels einer Geldzahlung eine Dopingprobe von 2001 vertuscht habe. Die UCI hatte in der Vergangenheit bereits eingeräumt, Geldspenden von Armstrong in Höhe von 125.000 Dollar erhalten zu haben. Die Usada wirft der UCI im Bericht ferner vor, Kontrollen von Armstrong nicht ausgehändigt und brisante Aussagen nicht weiter verfolgt zu haben. Auch André Birotte, der kalifornische Bundesanwalt, der die Ermittlungen im Februar ohne Angabe von Gründen eingestellt hatte, steht nun im Zwielicht.

Dass dies alles geheim gehalten werden konnte, dass jahrelang niemand diesen gigantischen Betrug an die Öffentlichkeit brachte, muss den Sport als Ganzes erschüttern. Auch die Politik wird sich fragen müssen, ob die bisherigen Gesetze und Kontrollen rund um das Millionengeschäft Sport angemessen sind.

Die Hinweise auf noch so viele Dopingproben bei Sportveranstaltungen sind angesichts dieses Falles kaum den Strom wert, mit dem sie über das Internet verschickt werden. Im Bericht finden sich Angaben, wie die Fahrer die Tests umgingen: Die Fahrer gaben an, sie seien zu Vorsichtsmaßnahmen aufgefordert worden. In den ersten Jahren habe es zum Teil schon genügt, den Kontrolleuren einfach die Wohnungstür nicht zu öffnen. Später hätten die Teamchefs um Bruyneel stets im Voraus erfahren, wann ein Test anstand.

Weil die Dopingkontrollen von Jahr zu Jahr intensiver wurden, habe sich Armstrong mitunter in Wohnungen von Teamkollegen versteckt. Zudem hätten die Team-Mediziner penibel genaue Zeitfenster für die Doping-Einnahme errechnet, um später nicht aufzufallen. Einen positiven Kortison-Test Armstrongs habe Teamarzt Garcia del Moral durch ein gefälschtes nachträgliches Rezept verschleiert.

Nach der Veröffentlichung der Usada-Akten kam es zu einer Reihe von öffentlichen Geständnissen. Die Radprofis George Hincapie, Michael Barry, Vande Velde, Leipheimer, Tom Danielson und Zabriskie, die in dieser Saison noch aktiv waren, gaben in Statements mitunter jahrelange Doping-Vergehen zu. Die sechs Fahrer erhielten wegen ihrer Zusammenarbeit mit der Usada eine mildere Sperre von sechs Monaten.

Am 10. Oktober 2012 ist vieles offengelegt worden, was die Kritiker des Radsports jahrelang vermuteten oder wussten, aber nicht beweisen konnten. Die Folgen für die UCI und für Lance Armstrong sind nicht abzusehen. Sollten Bruyneel, Celaya und Trainer Pepe Marti wie angekündigt vor ein Schiedsgericht ziehen, könnte Lance Armstrong im Zeugenstand unter Eid aussagen müssen. Weil das Radteam von der staatlichen US-Post gesponsert wurde, und somit das Dopingsystem teilweise von Staatsgeldern finanziert war, könnte die Politik in den USA aktiv werden.

Der Dopingfall Lance Armstrong ist noch nicht vorbei. Für den Radsport aber könnte dies der Beginn einer Reinigung sein. Dieser Bericht kann der größte Schritt sein raus aus einem System der Angst und des Betrugs.

Mit Material von dpa/dpad

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