Süddeutsche Zeitung

USA nach der Achtelfinal-Niederlage:Traurige Wand, stolzes Land

Einer allein reicht dann doch nicht aus: Trotz eines grandiosen Tim Howard im Tor unterliegen Jürgen Klinsmanns US-Boys Belgien mit 1:2 nach Verlängerung - die Nation schwankt zwischen Trauer und riesigen Ambitionen. Amerika hat gelernt, sich für "Soccer" zu interessieren.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Am Ende nahm der Mann des Abends nur seinen Schmerz mit nach Hause. "Es bricht mir das Herz", erzählte der völlig niedergeschlagene US-Keeper Tim Howard kurz nach Abpfiff einem amerikanischen TV-Reporter. "Ich glaube nicht, dass wir noch mehr hätten geben können. Was für ein großartiges Fußballspiel. Wir wurden von einem richtig tollen Team geschlagen. Es ist traurig. Es tut weh."

16 Schüsse hatte Howard pariert, so viel wie seit der WM 1966 kein Torwart mehr. Die Nervenstärke, mit der er sich als lebende Wand den anrennenden Belgiern entgegenstellte, hielt die stellenweise arg überfordert wirkende US-Elf lange Zeit im Spiel.

Mehr noch: Hätte Chris Wondolowski in der 92. Minute nicht freistehend das 1:0 vergeben (und der Linienrichter nicht fälschlicherweise auf Abseits entschieden) oder Clint Dempsey in der 114. Minute nicht belgische Abwehrbeine, sondern zum 2:2 ins Tor getroffen - womöglich hätten sie Howard in seinem Heimatstaat New Jersey ein kleines Denkmal hingemeißelt.

Konjunktive sind ein schwacher Trost, zumal für einen 35-Jährigen, der gerade aus seinem letzten großen Turnier ausgeschieden ist. Doch im US-Fußball denken sie ohnehin in Generationen. Die WM 2014, so hatte nicht nur Coach Jürgen Klinsmann die Erwartungen stets gedämpft, war in diesem Sinne amerikanische Pionierarbeit.

Dass diese durchaus gelungen ist, zeigt sich auch an den Reaktionen der US-Fans daheim. Sie schlichen nach dem Spiel nicht von dannen; sie verließen die Sportsbars und Public-Viewing-Plätze erhobenen Hauptes, um dann mit ihren Trikots und Stars-and-Stripes-Flaggen in die Masse der fußballerisch Desinteressierten einzutauchen.

Ausgestorbene Straßen zum Anpfiff und Hunderttausende auf Fanmeilen mögen in den Vereinigten Staaten ewig eine Utopie bleiben: Das Belgien-Drama und die spannenden Last-Minute-Spiele gegen Ghana und Portugal haben den Sport aus der "Wir-gucken-halt-aus-Patriotismus"-Nische geholt und das hartnäckige Vorurteil widerlegt, der Mangel an Toren mache Fußball per se langweilig. Die Fernsehquoten der amerikanischen Spiele waren ordentlich, die Resonanz in der Öffentlichkeit beachtlich. "Amerika interessiert sich jetzt offiziell für Fußball", zog die Online-Seite Daily Beast Bilanz.

"Die USA haben verloren und alles ist ätzend", trauerte hingegen das bekannte Sportblog Deadspin. Damit ist allerdings nicht die sportliche Bilanz gemeint. In den ersten beiden Spielen zeigten die USA, dass sie mit ihrem engagierten und teilweise taktisch disziplinierten Auftreten die Mängel des Kaders ausgleichen können. Gegen Deutschland und vor allem im Belgien-Spiel aber zeigten sich die Grenzen des Kollektivs. "Wir sind richtig gewachsen", bilanzierte US-Coach Klinsmann, um dann doch etwas zu übertreiben. "Wir wissen nun, dass wir den großen Nationen Auge in Auge gegenüberstehen können."

Ähnlich wie 2006 mit Deutschland ist Klinsmann als Coach trotz des Ausscheidens der Gewinner; anders als damals will er Nationaltrainer bleiben. Auf Twitter gab es nach dem Spiel vor allem Lob für den kalifornischen Schwaben, der Zorn ob seiner riskanten Ausbootung von US-Rekordmann Landon Donovan ist inzwischen so gut wie verflogen.

Und so träumt die Nation schon von der WM in Russland 2018. Ziemlich sicher ohne Fußballpionier Howard, vielleicht mit Coach Klinsmann und ziemlich sicher mit der 19-jährigen Sturmhoffnung Julian Green. Der technisch anspruchsvolle Anschlusstreffer des eingewechselten Deutsch-Amerikaners von der zweiten Mannschaft des FC Bayern weckte nicht nur Hoffnungen auf ein kurzfristiges Weiterkommen, sondern auch auf langfristige Erfolge.

Endstation Achtelfinale mag 2014 deshalb ein stolzes Ergebnis sein, für 2018 ist ein solch zeitiges Ausscheiden keine Option. Jetzt, wo der Fußball ihre Aufmerksamkeit hat, wollen die amerikanischen Sportfans ihre Mannschaft auch um den Titel spielen sehen.

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