USA im Finale der Fußball-WM:Teestunde auf amerikanische Art

Frauenfußball-WM - England - USA

Ein Tässchen Tee - zur Feier eines Tores gegen England! Alex Morgans spezielle Jubelgeste nach ihrem Kopfball zum 2:1-Endstand.

(Foto: Richard Sellers/dpa)

Das favorisierte Frauenteam der USA zieht nach einem hochklassigen Duell mit England erneut ins WM-Finale ein - Torjägerin Alex Morgan feiert ihr Siegtor am 30. Geburtstag ganz speziell.

Von Anna Dreher, Lyon

Alex Morgan war etwas empört über die Frage. "Pinoe hat so viele verschiedene Arten zu jubeln, aber niemand fragt. Und jetzt habe ich mal eine - und alle wollen was dazu wissen", sagte sie und lachte. "Pinoe" ist der Spitzname der US-amerikanischen Nationalspielerin Megan Rapinoe, die auch gerne und häufig ins Tor trifft. Morgan stand vor einer Stellwand im weitläufigen Parkgeschoss des Stade de Lyon, hell angeleuchtet, dutzenden Journalisten gegenüber. Und sie musste sich erklären. Ein paar Minuten zuvor war sie noch vor 53 512 Zuschauern auf dem Platz gestanden, eingekesselt von ihren Mitspielerinnen, die ihr zum 30. Geburtstag lauthals das vielleicht schönste Ständchen sangen, das Morgan je erhalten hat. Diese Euphorie galt aber nicht allein dem Älterwerden, für das sie ja gar nichts kann, sondern dem, was sie an diesem Abend vollbracht hatte. Mal wieder. Und womit sie zu diversen Rekorden beitrug.

Die Nationalmannschaft der USA hat am Dienstag 2:1 (1:1) gegen England gewonnen, in einem intensiven, umkämpften, schnellen, athletischen, herausragenden ersten Halbfinale der Frauenfußball-WM in Frankreich. Zum dritten Mal in Serie haben die USA das Endspiel erreicht, zum fünften Mal insgesamt. Als einzige Nation haben sie es bei allen Weltmeisterschaften unter die besten Vier geschafft, und am Sonntagnachmittag kann die Mannschaft von Jill Ellis zum vierten Mal den Titel der Weltbesten gewinnen. Morgan hatte mit ihrem Kopfball zum 2:1 in der 31. Minute dafür gesorgt, dass es so weit gekommen ist - als erste Spielerin, die bei einer WM an ihrem Geburtstag traf.

Es war bereits ihr sechstes Tor bei diesem Turnier, zusammen mit der nun ausgeschiedenen Engländerin Ellen White führt sie die Torschützenliste an. Diese beiden gehörten auch im Halbfinale zu den prägenden Figuren - jede auf ihre Weise.

Das erste Ständchen schallte Morgan schon von der Tribüne entgegen, nachdem sie gezeigt hatte, welche Geste sie sich zur Feier des Tages und des Tores überlegt hatte: Sie lief in Richtung Seitenlinie, blieb stehen, spreizte den kleinen Finger ab und imitierte das Trinken einer Tasse Tee. Ausgerechnet gegen England.

Die Schlüsselszene kurz vor Ende: Elfmeter für England - pariert!

Es war nicht die passendste Wahl aus dem Katalog von Zelebrationen. Morgan aber erwiderte, darauf angesprochen, mit einer Nonchalance, als habe sie überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass der Gegner dies als arrogant verstehen könnte: "Diese Jubelgesten machen Spaß, und ich dachte, wir müssen das interessant halten. Um unser Team wird so viel Wirbel gemacht, aber es beeinflusst uns nicht. Also ich denke, wir trinken einfach diesen Tee." Christen Press hatte, ebenfalls mit einem Kopfball, schon in der 10. Minute getroffen. Die vielen lauten USA-Fans flippten aus - und auf dem Feld fiel nicht weiter auf, dass statt Press eigentlich eine andere prägende Spielerin aufgelaufen wäre: Megan Rapinoe, einer der Stars im US-Team, hatte sich an diesem Abend nicht mal aufgewärmt - ihre Oberschenkelmuskulatur war leicht lädiert. Sie wäre nur, wie Trainerin Ellis später verriet, eine Option für ein Elfmeterschießen gewesen. "Wir haben seit Monaten über die Tiefe unseres Kaders geredet, auch während dieses Turniers, und heute hat man das bestens gesehen", sagte Rapinoe. "Ich erwarte aber, dass ich fit bin fürs Finale.

Nur zuzuschauen, das war heute schrecklich." Rapinoe sah aus ungewohnter Perspektive, wie sich England dem großen Turnierfavoriten als bisher einziges Team wirklich in den Weg stellen konnte - und die USA nicht nur zum Stolpern, sondern fast auch zum Fallen brachte. Und das in einem Tempo, bei dem die meisten WM-Mannschaften nicht hätten mithalten können. "So ein Spiel erfordert ein Level an Fokus, Glauben und Entschlossenheit, dass du nicht eine Sekunde nachlassen kannst", sagte Press, "in den heiklen Momenten haben wir zusammengehalten und sind daran gewachsen." Die Ballbehandlung der Spielerinnen war ebenso auffällig gut wie das gegenseitige Antreiben zur Höchstleistung, woraus sehenswerte Kombinationen und Torchancen entstanden. Alle wussten: Niemand darf nachlassen, sonst ist der Finaltraum vorbei. Die unermüdliche White glich für England in der 19. Minute aus. Es folgte Morgan. Und dann wurde es dramatisch.

In der 68. Minute initiierten Keira Walsh und Jill Scott eine englische Pass-Stafette wie aus dem Lehrbuch, an deren Ende der Ball zu White kam. Die 30-Jährige schoss kaltschnäuzig ins Tor, imitierte, weil sie Fan des 1. FC Köln ist, die Brillen-Jubelgeste des Stürmers Anthony Modeste - und war nur wenig später enttäuscht: Schiedsrichterin Alves Batista wurde vom Videoassistenten mitgeteilt, dass White im Abseits stand. Elf Minuten danach setzte White erneut zum Torschuss an, stürzte im Duell mit Becky Sauerbrunn - und bekam, erneut nach Videobeweis, einen Elfmeter zugesprochen. Doch sie musste sehen, wie diese große, große Chance zum 2:2 vergeben wurde: Englands Kapitänin Steph Houghton schoss zu schwach, US-Torhüterin Alyssa Naeher hielt zu stark (84.

). "Das war ein unglaublich großer Moment! Ich konnte mich nicht bewegen, so gestresst war ich", sagte die prominente Zuschauerin Rapinoe. Doch die Engländerinnen bemühten sich auch danach noch ungebremst um den Ausgleich, obwohl Millie Bright nach einem Zweikampf mit Morgan Gelb-Rot sah (86.). Die Gegenwehr verlängerte sich um sieben Minuten Nachspielzeit und ließ nicht nach - es war beeindruckend. In England schauten 11,7 Millionen Menschen zu.

Nationaltrainer Phil Neville visierte bei aller Enttäuschung sofort die nächsten Ziele an: "Meine Spielerinnen haben absolut alles gegeben. Früher wären wir mit einem Halbfinale zufrieden gewesen. Aber sie haben das satt - und ich auch", sagte Neville emotional. Er wolle keine Tränen sehen, sondern ein lächelndes Team, das nun im Spiel um Platz drei noch einiges vorhat. "Mein erster Gedanke nach dem Spiel war: Wie gewinnen wir am Samstag? Mein zweiter: Wie gewinnen wir 2020 Olympiagold? Und wie die EM 2021 in England?", sagte Neville: "Unser Ziel ist es, die Besten zu werden - wie die Amerikanerinnen."

Die haben allerdings an diesem Abend in Lyon ihr Selbstbewusstsein auf ein noch höheres Level gehoben. Und für das Endspiel am Sonntag kehrt ja auch Rapinoe auf den Platz zurück.

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