USA im Finale der Frauenfußball-WM:Hope Solo will Genugtuung

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Die einen sagen, sie wäre unwürdig, das Nationaltrikot zu tragen. Die anderen verehren sie: Amerikas Torhüterin Hope Solo

(Foto: fotogloria)
  • Privat produziert Hope Solo meist negative Schlagzeilen: Körperverletzung, Alkohol am Steuer - und ständig Ärger mit der Polizei.
  • Bälle halten kann die amerikanische Fußball-Torhüterin jedoch wie keine Zweite. Nun steht sie in Kanada im Finale und hat die Chance auf ihren ersten WM-Titel.
  • Doch eigentlich glaubt sie nicht an Happy Endings.

Von Kathrin Steinbichler, Vancouver

Zur Stelle zu sein, wenn keiner damit rechnet, ist einfach. Aber da zu sein, wenn alle es erwarten, ist schwer. "Du weißt bei Menschen nie, wie sie sich im nächsten Moment verhalten", hat Hope Solo einmal gesagt. Mal lieben sie dich, mal hassen sie dich, in der einen Sekunde vertraust du ihnen, in der nächsten wirst du schon wieder enttäuscht. Verlässlichkeit ist eine unzuverlässige Größe im Leben der Hope Solo. Das größte Geschenk, dass die Fußball-Nationaltorhüterin der USA daher in ihren Augen machen kann, ist ihre Verlässlichkeit. Zumindest auf dem Platz.

An diesem Sonntag (1 Uhr MESZ/ZDF und Eurosport), wenn die USA gegen Titelverteidiger Japan das Finale der siebten Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Vancouver bestreiten, wird Hope Solo jedenfalls im Tor stehen. Voller Hoffnung, und doch auch sehr alleine. Seit dem WM-Auftakt gegen Australien (3:1) ist Solo ohne Gegentor, seit 423 Turnierminuten hat niemand mehr sie bezwingen können. Und das in einer Situation, in der Solo eigentlich andere Sorgen hat: Von Mitte Juli an wird sich die 33-Jährige in einem seit Monaten anhängigen Verfahren weiter vor Gericht verantworten müssen. Der Vorwurf: häusliche Gewalt bei einer Familienfeier.

"Wer ist der Penner da hinterm Tor?" - "Das ist mein Vater."

Es bewahrheitet sich also, was Hope Solo vor zwei Jahren im Eingangssatz ihrer Biografie festgestellt hatte: "Ich glaube nicht an Happy Endings, aber meine Mutter glaubte daran, als ich geboren wurde . . . Meine Familie versteht sich allerdings nicht auf Happy Endings. Bei uns gibt es traurige Enden oder frustrierte Enden oder gar keine Enden. Wir sind abgehärtet darin, die nächste Unterbrechung, ein Verschwinden oder ein gebrochenes Versprechen zu erwarten." So war es beim Vater, bei der Mutter - und wie es aussieht, setzt sich das bei Hope Solo so fort.

"Auf dem Platz war mein Leben in Ordnung", schreibt Solo, sie legte daher von klein auf all ihre Energie und Konzentration ins Training und in den Fußball. Abseits des Platzes ist sie jederzeit für einen Aufreger gut. Nacktfotos. Betrunkene Autofahrten. Handfeste Streitigkeiten. Auf einen Alltag, wie ihn in den USA die Durchschnittsfamilie lebt und oft auch zum verbindlichen Maßstab erhebt, versteht sich Hope Solo jedenfalls gar nicht.

Der Vater sitzt im Staatsgefängnis von Walla Walla, die Mutter besucht ihn dort und wird schwanger - so geht es los. Die Alkoholikerin bringt Hope und ihren Bruder alleinerziehend und mit vielen Schulden durch: Solos Vater, ein Vietnam-Veteran mit der Veranlagung zur Hochstapelei, muss immer wieder für diverse Vergehen ins Gefängnis einrücken. Als sie sieben Jahre alt ist, will Hopes Vater mit den beiden Kindern an der Hand nur schnell einen Scheck bei der Bank einlösen - und wird dann vor den Augen von Hope und ihrem Bruder von der Polizei in Handschellen gelegt. Betrug und Raub sind es diesmal, Vater Solo muss erneut ins Gefängnis.

Zehn Jahre später spielt Hope Solo in der College-Liga in Seattle, als sie ihren Vater dort zufällig in einem Park entdeckt: Er hat die Rückkehr in die Gesellschaft nicht geschafft und lebt als Stadtstreicher in den Wäldern um die Metropole. Doch Hope Solo lädt ihn zu ihren College- Spielen ein, wo er sich in seinen stinkenden Klamotten immer in die Nähe ihres Tores stellt, von anderen Zuschauern argwöhnisch beobachtet. "Wer ist der Penner da hinterm Tor?", fragt irgendwann eine Mitspielerin. "Das ist mein Vater", sagt Solo.

Sie steht zu ihm, besucht ihn oft im Wald und unterstützt ihn. Als 2007 ihr erstes Länderspiel als Nummer 1 der USA in New York ansteht, organisiert Solo ihrem Vater den Flug zur Partie. Der ehemalige Soldat soll seine Tochter endlich im Nationaltrikot sehen. Doch bevor er ins Flugzeug steigen kann, stirbt er an einem Herzinfarkt. "Was auch immer er gemacht hat: Er war mein Vater", schrieb Solo. "Er half, den Menschen aus mir zu machen, der ich bin. Er hat mich mit Liebe überschüttet, er wusste einfach nur nicht, wie man ein Ehemann oder Vater oder ein verantwortungsbewusstes Mitglied der Gesellschaft ist."

Sie selbst weiß das heute allerdings auch noch nicht so recht.

Solo spricht nicht öffentlich

Sie ist eine Berühmtheit, ja, und sie hat mit ihrem Sport und als Werbepartnerin bereits Millionen verdient. Sollte Solo aber am Sonntag wirklich erstmals den WM-Titel gewinnen, den insgesamt dritten für die US-Frauen, wird sie deshalb nicht plötzlich an die Dauer des Glücks glauben. Sondern eher an Genugtuung.

Während der WM spricht Solo wegen ihres laufenden Verfahrens nicht in der Öffentlichkeit. Als einzige Spielerin des gesamten Turniers wird sie bislang nach allen Partien, jeweils von einem Security-Mann begleitet, an allen Kameras und Aufnahmegeräten vorbei durch die Mixed Zone geschleust. Ohne ein Wort zu sagen, dafür oft mit einem ironischen Lächeln. Als ob sie verstehen würde, welch absurde Situation das eigentlich ist: Dort hinter dem Absperrgitter die Medien, die auf ein Wort der Frau warten, deren Privatleben sie in den USA so gerne verfolgen. Und auf der anderen Seite sie, die doch eigentlich so gerne öffentlich auftritt. Die ihre Situation jetzt aber mit jedem Wort nur noch komplizierter machen kann.

Bei der WM zeigt sie bislang eine extrem gute Leistung

Hope Solo hatte im Juni vor einem Jahr in ihrem Haus, das sie sich für 1,2 Millionen US-Dollar in Kirkland/Washington gekauft hat, um nahe bei der Familie zu sein, eine kleine private Feier gegeben. Im Lauf des Abend wurde die Polizei gerufen. Ihre Halbschwester Teresa Obert zeigte Solo an: Sie habe sie und ihren Sohn angegriffen und sei betrunken handgreiflich geworden, was Solo abstreitet. Allerdings haben solche Vorwürfe Hope Solo schon häufig in Konflikt mit der Polizei gebracht, genauso wie ihren Ehemann Jerramy Stevens, 35. Der frühere Footballprofi aus der NFL war wegen Drogenbesitzes, Trunkenheit am Steuer und öffentlicher Handgreiflichkeiten bereits wiederholt für einige Tage im Gefängnis, sogar den Vortag seiner Hochzeit mit Solo im November 2012 verbrachte er in Polizeigewahrsam. Hope Solo selbst hatte ihn angezeigt, sie betrunken angegangen zu haben. Die Hochzeit fand tags darauf dennoch statt.

In diesem Frühjahr dann stoppte die kalifornische Polizei in Manhattan Beach einen unsicher fahrenden Mannschaftsbus des US-Nationalteams. Am Steuer: der angetrunkene Stevens, der mit Solo auf dem Beifahrersitz einen unerlaubten Ausflug gemacht hatte. Bei der Fahrt auf die Wache randalierte Solo, was auch ihr eine Anzeige einbrachte. Stevens erhielt die Auflage, zwei Jahre lang keinen Alkohol zu trinken. Solo wurde für 30 Tage aus dem Nationalteam suspendiert und entschuldigte sich öffentlich, ihre Familie und die Mannschaft enttäuscht zu haben. Diese 30 Tage waren in Amerika allerdings vielen zu kurz: Connecticuts Senator Richard Blumenthal forderte vor der WM, Solo müsse ganz ausgeschlossen werden. Sie sei angesichts der wiederholten Vorfälle nicht würdig, das Nationaltrikot zu tragen.

Ob würdig oder nicht: Solo zeigt bei der WM bislang ein extrem gute Leistung. Sie tritt zwar stumm, aber seriös auf. Und solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist, sagt Verbandschef Sunil Gulati, "kann der Verband nicht jetzt und auch nicht im Vorgriff eine qualifizierte Athletin von einer Weltmeisterschaft ausschließen".

Ein Senator findet, sie sei nicht würdig, das Nationaltrikot zu tragen

Jerramy Stevens hat sich - auch wegen der öffentlichen Diskussionen - entschlossen, seiner Frau zu allen Spielen hinterherzureisen. Die meisten aus dem US-Team werden ja an den Spielorten und in den Stadien von ihren Familien unterstützt. Am Flughafen in Winnipeg sprach Stevens auf die Frage eines Reporters von USA Today von einer "Hexenjagd", der seine Frau ausgesetzt sei. Sie sei unschuldig und würde von den Medien in eine Ecke gedrängt. Wieder ging daraufhin in den USA ein Sturm der Entrüstung los, wieder rieten viele, auch Stevens solle besser schweigen. Das tut er jetzt auch. Wenn man ihn anspricht, auf dem Flug vom Halbfinale in Montréal zum Finale nach Vancouver, wo er im Flugzeug ganz vorne sitzt, gibt sich der 2,01 Meter große, 118 Kilogramm schwere ehemalige Tight End höflich - und schweigsam. Ob er etwas Aufklärung bringen könne dazu, was in Wirklichkeit passiert ist? "Kein Kommentar. Auch wenn ich es könnte: Ich werde nicht für sie sprechen. Bitte akzeptieren Sie das."

Auch US-Spielführerin Carli Lloyd blockt alle nicht-sportlichen Fragen zu Solo ab. "Das sind ganz alte News" und: "Hope ist meine Zimmerpartnerin, wir sprechen nicht darüber."

Am Freitag hat der Weltverband Fifa bekannt gegeben, dass Hope Solo neben Japans Ayumi Kaihori und Deutschlands Nadine Angerer für die Auszeichnung der besten WM-Torhüterin nominiert ist. Im Finale am Sonntag erwarten jetzt alle, dass Hope Solo noch einmal ihr Bestes gibt. Sie wird da sein.

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